Es scheint verblüffend einfach: Der Patient bekommt keine Spritze,
er schluckt keine Tablette – stattdessen klebt er ein Pflaster
auf die Haut. Diese so genannten transdermalen therapeutischen
Systeme geben ihren Wirkstoff gleichmäßig durch die Haut
an den Blutkreislauf ab: High-Tech-Produkte, deren Wirkung oftmals
die hergebrachter Arzneiformen übertrifft.
Die Haut ist mit einer Fläche von bis zu zwei Quadratmetern das
größte Organ des Körpers. Weil ihre Hauptfunktion aber im Schutz
des Körpers vor äußeren Einflüssen liegt, wurde die Möglichkeit,
Arzneimittel über sie zu verabreichen, lange nicht gesehen. Das hat
sich geändert. Heute sind transdermale Pflaster etabliert. Das
Schmerzmittel Fentanyl, Nitroglycerol zur Behandlung von Angina
pectoris, Östrogen und Testosteron zur Hormonsubstitution und
Scopolamin zur Vorbeugung von Seekrankheit können einfach aufgeklebt
werden. Nikotinpflaster sollen Rauchern helfen, von ihrer
Sucht loszukommen. In den USA kann seit 2001 sogar mit einem
Pflaster verhütet werden. Auch in Deutschland ist das Produkt mittlerweile erhältlich.
Und so funktionieren therapeutische Pflaster: Unter der Abdeckfolie
befindet sich das Reservoir mit dem Wirkstoff. Von dort durchdringt
die Substanz die äußerste Hautschicht, die Epidermis, bevor
sie von den darunter liegenden Kapillargefäßen in den Blutkreislauf
aufgenommen wird. Die Wirkstoffmoleküle diffundieren durch mikroskopisch
kleine Lücken zwischen den Hautzellen, aber auch
durch die Zellen selbst; nur 0,1 bis 0,5 Prozent gelangen durch Poren
und Drüsen in den Körper. Die Moleküle müssen einerseits fettlöslich
sein, um durch die Haut zu gelangen, andererseits aber auch
gut wasserlöslich für ihre Reise im Blut.
Wussten Sie schon?
Die weitaus meisten therapeutischen
Pflaster auf dem Markt dienen der Hormonsubstitution
in den Wechseljahren.
Allerdings geriet die Behandlung vor
etwa zwei Jahren in die Kritik: Die weltweit
größte Studie zur Hormonersatztherapie
in den Vereinigten Staaten wurde
vorzeitig abgebrochen, weil bei der
kombinierten Behandlung mit Östrogenen
und einem Gestagen die Häufigkeit
von Brustkrebs und Herz-Kreislauf-
Krankheiten deutlich zunahm. Seitdem
wird von einer entsprechenden Behandlung
über einen längeren Zeitraum abgeraten.
Die Therapie über die Haut hat viele Vorteile. So gibt das Pflaster
über einen längeren Zeitraum eine konstante Menge des Wirkstoffs
ab, während bei der Einnahme einer Tablette die Konzentration der
therapeutischen Substanz im Blut kurzzeitig ansteigt, um dann wieder
abzufallen. Darüber hinaus reicht bei einigen hoch wirksamen
Medikamenten eine geringere Dosierung aus, weil der Verdauungstrakt
umgangen wird. Weniger potente Stoffe können dagegen nicht
per Pflaster verabreicht werden, weil sie eine zu große Fläche beanspruchen
würden. Beispiel Acetylsalicylsäure wie in Aspirin: Um die
Wirkstoffmenge einer Tablette über die Haut aufzunehmen, wäre das
Zehnfache der gesamten Körperoberfläche nötig.
Noch eignen sich nur eine Hand voll Arzneistoffe für eine
transdermale Therapie. Größere Moleküle können die Barriere der
Haut nicht durchdringen. Zwar verbessern zugesetzte Substanzen
die Aufnahme, doch ist es nach wie vor nicht möglich, Insulin oder
Impfstoffe per Pflaster zu verabreichen. Wissenschaftler forschen
deshalb an neuen Pflastertypen. So könnte elektrischer Strom aus einer
winzigen Batterie ionisierte Wirkstoffmoleküle durch die Haut
schicken. Alternativ könnten hunderte mikroskopisch kleine, auf
dem Pflaster angebrachte Kanülen die Epidermis durchdringen. Ob
die Haut dabei Schaden nimmt, ist aber noch nicht geklärt. "Wissenschaft im Alltag" ist eine regelmäßige Rubrik in Spektrum der Wissenschaft. Eine Sammlung besonders schöner Artikel dieser Rubrik ist soeben als Dossier erschienen.
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
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