Alte Ernährungsgewohnheiten: Aßen die Neandertaler verfaultes Fleisch – garniert mit Maden?

In den Überresten von Neandertalern entdeckten Forscher eine mysteriöse chemische Signatur – die sich damit erklären ließe, dass die Frühmenschen ihre Nahrung häufig mit einer besonderen Zutat garnierten: Maden. Davon gehen Fachleute in einer Studie aus, die am 25. Juli in »Science Advances« erschienen ist.
Das Ergebnis ergänzt unser Bild, das Forscher und Forscherinnen bisher von der Ernährung unserer nahen ausgestorbenen Verwandten aus der Gattung Homo zeichnen. Schon lange verblüfft Wissenschaftler die Tatsache, dass die Knochen von Neandertalern aus dem Jungpleistozän (von vor 129 000 bis vor 11 700 Jahren), also aus der mittleren und jungen Altsteinzeit, ein bestimmtes Stickstoffisotop in extremen Mengen enthalten. Solch hohe Mengen seien normalerweise für Fleischfresser wie Hyänen und Wölfe typisch. Je mehr Fleisch ein Tier frisst, desto mehr des Stickstoffisotops 15N speichert es in seinem Körper. Folglich weisen die Tiere an der Spitze der Nahrungskette die höchsten Werte von 15N auf.
Doch »unser Darm ist kein Fleischfresserdarm«, sagt der Anthropologe Bruce Hardy vom Kenyon College in Gambier, Ohio, der an der aktuellen Studie nicht beteiligt war. »Unsere Leber kann nur eine bestimmte Menge an Proteinen verarbeiten.« Die Werte der Neandertalerknochen schienen daher unmöglich hoch zu sein.
Ein Rezept mit Maden
Melanie Beasley, Anthropologin an der Purdue University in West Lafayette, Indiana, und ihre Kollegen fragten sich nun, ob die Stickstoff-15-Werte der Neandertaler deshalb so hoch ausfielen, weil sie ihre Nahrung auf eine ganz besondere Weise zubereiteten, und weniger, weil sie große Mengen an Fleisch verschlangen. Beasley, die Hauptautorin der Studie in »Science Advances«, kam durch historische Belege indigener Gruppen auf eine Idee: Die Gruppen verzehrten faulende Nahrung – samt den Maden oder Fliegenlarven, die darauf siedelten. Man denke an die Fermentierung, sagt Beasley. Ganz ähnlich sei die sogenannte Putrefaktion oder Putreszenz – die Fäulnis: »Ein Mensch aus dem Westen würde vielleicht sagen, dass da etwas verfault, aber in Wirklichkeit ist es eine Methode zur Lagerung von Nahrung, um das Fleisch in Bestandteile aufzubrechen.«
Die Anthropologin und ihre Kollegen wollten herauszufinden, ob die Neandertaler möglicherweise nach demselben Rezept ihre Mahlzeiten zubereiteten. Dafür nahmen sie Proben aus dem Muskelgewebe von 34 verstorbenen menschlichen Probanden, die ihre Leichname dem Forensic Anthropology Center der University of Tennessee in Knoxville überlassen hatten und dort seit zwei Jahren verwesten. Das Forscherteam stellte fest, dass mit fortschreitender Verwesung der Gehalt an Stickstoff-15 im Fleisch stieg: Als sie die Konzentration an 15N in hunderten Larven, die im Gewebe steckten, untersuchten, wiesen diese Maden bis zu 43 Promille des Isotops auf. Zum Vergleich: Das menschliche Gewebe enthielt nur rund acht Promille.
Laut diesen Ergebnissen sei es plausibler anzunehmen, dass die rätselhaft hohen 15N-Werte der Neandertaler aus dem Verzehr von verwestem Fleisch und Maden resultieren und weniger aus dem Konsum riesiger Mengen Fleisch. Vermutlich ergab diese Kombination auch eine vielseitigere Mahlzeit als der reine Verzehr von Proteinen, erklärt Beasley. »Wenn man mageres Fleisch und fette Maden zu sich nimmt, deckt man den Nährstoffbedarf besser ab.«
Eine These, die nicht alle Fachleute überzeugt
Wie die Bioarchäologin Amanda Henry von der Universität Leiden darlegt, erweitere die Studie unsere Sicht auf die Nahrungskette – über die westliche Perspektive hinaus. Ihrer Meinung nach wären die Ergebnisse jedoch aussagekräftiger, wenn die Forscher auch Maden und Fleisch von Tieren untersucht hätten, die die Neandertaler tatsächlich aßen, zum Beispiel Wild.
Aber selbst dann ließe sich kaum sagen, ob unsere altsteinzeitlichen Verwandten tatsächlich Fliegenlarven gegessen haben oder nicht, sagt Bruce Hardy. Ohne ein spezifisches Isotop oder einen anderen Marker, der charakteristisch für den Verzehr von Maden ist, »wird es sehr schwer werden zu beweisen, dass dies der Fall war«, so Hardy.
Laut dem Biogeologen Hervé Bocherens von der Universität Tübingen würden die Studienbedingungen der aktuellen Arbeit wahrscheinlich nicht annähernd mit der realen Umwelt der Neandertaler übereinstimmen. Die Frühmenschen lagerten ihr Fleisch vermutlich an verschiedenen Stellen, an denen es bis zu einem gewissen Grad konserviert wurde. Folglich dürfte es anders verwest sein als Leichen in einem forensischen Labor. Er ist auch der Ansicht, dass es andere, »madenfreie« Erklärungen für den hohen Stickstoff-15-Gehalt der Neandertaler gibt: Vielleicht ergänzten sie ihre eiweißreiche Ernährung mit stärkehaltiger pflanzlicher Nahrung.
Um ein besseres Vergleichsszenario zu schaffen, hofft Studienautorin Beasley, mit indigenen Gruppen zusammenzuarbeiten – die noch die Methode der Putreszenz kennen und praktizieren – und die so zubereitete Nahrung zu analysieren. »Wir sind uns des vorläufigen Charakters dieser Schlussfolgerungen bewusst und ermutigen zu weiteren Untersuchungen«, schreiben sie und ihre Kollegen in ihrer Publikation.
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