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AstraZeneca-Impfstoff: Immunreaktion löst Thrombosen im Hirn aus

Hinter den Sinusvenenthrombosen nach den Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff steckt wohl eine Immunreaktion - und gegen die gibt es sogar ein Medikament. Allerdings sind viele Fragen noch offen.
Antikörper

Hinter den Auswirkungen der ausgesetzten Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff steckte vermutlich eine besondere Immunreaktion, die Blutplättchen aktiviert und so Thrombosen auslöst. Zu diesem vorläufigen Ergebnis kommt eine Arbeitsgruppe um Andreas Greinacher von der Uniklinik Greifswald. Der Effekt entspricht in vielen Details einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) vom Typ 2, bei der sich im Zusammenhang mit Heparin Antikörper gegen einen Proteinkomplex bilden, die wiederum einen Rezeptor auf den Blutplättchen ansprechen. Der Mechanismus legt nahe, dass Menschen mit bekannter Thromboseneigung kein höheres Risiko durch den Impfstoff haben. Vor allem gebe es gegen HIT eine Behandlungsmöglichkeit, die nach Ansicht des Teams auch bei der mutmaßlichen Impfnebenwirkung funktionieren sollte.

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Die Ähnlichkeit der Thrombosen mit HIT wies das Team im Blut von vier Patientinnen mit Sinusvenenthrombose nach. Dabei bilden sich anscheinend Antikörper gegen einen Komplex aus Heparin und dem Signalmolekül PF4, die ihrerseits mit dem Rezeptor CD32 der Blutplättchen wechselwirken und diese so aktivieren. Das löst die Gerinnungskaskade aus, die zu den Thrombosen führt. Die bei den geimpften Personen gebildeten Antikörper ähnelten stark jenen, die bei HIT auftreten, sagte Greinacher auf einer Pressekonferenz. Bisher sei allerdings noch unklar, woher diese Antikörper kommen, ob sie sich also gegen das Impfvirus oder das Spike-Antigen bilden oder vielleicht gegen einen lediglich an der Immunreaktion beteiligten Faktor.

Tests nur bei Thrombosen und anderen Symptomen

Rätselhaft ist nach Angaben des Forschers außerdem, warum trotz dieses Mechanismus Thrombosen allgemein bei Geimpften seltener zu sein scheinen als in der Allgemeinbevölkerung. Weshalb einige wenige Menschen dennoch schwere Thrombosen kriegen und ausgerechnet die Hirngefäße verstopfen, ist bisher ebenfalls unbekannt. Bei HIT selbst gibt es Indizien dafür, dass bestimmte Varianten des Gens für CD32 das Risiko erhöhen. Nach wie vor ist zudem nicht ausgeschlossen, dass auch andere Faktoren, besonders Risikofaktoren für Thrombosen, eine Rolle spielen.

Auf Basis dieser Erkenntnisse empfiehlt die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) in einer Stellungnahme, bei verdächtigen Symptomen auf einen HIT-ähnlichen Ablauf zu prüfen. Geimpfte Personen, die ab dem fünften Tag nach der Impfung Thrombosen oder neurologische Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Sehstörungen haben, sollten demnach auf eine HIT Typ 2 getestet werden. Die GTH weist ausdrücklich darauf hin, dass Unwohlsein in den ersten drei Tagen nach der Impfung normal ist. Eine Überprüfung auf Thrombosen oder einen Mangel an Blutplättchen ist erst bei ab dem fünften Tag neu aufgetretenen Symptomen überhaupt sinnvoll; früher setzt HIT Typ 2 nicht ein.

Sollte dieser Test – der die Antikörper gegen den Heparinkomplex nachweist – positiv sein, empfiehlt die Gesellschaft, intravenöses Immunglobulin G (IVIG) gegen die Aktivierung des CD32 zu verabreichen. Dadurch lasse sich vermutlich der Mechanismus unterbrechen, der zu den Thrombosen führt. Damit sei die Sinusvenenthrombose – wenn die denn überhaupt mit der Impfung zusammenhängt, was nach wie vor unklar ist – nicht nur äußerst selten, sondern nun auch direkt behandelbar, sagt Greinacher. Auch die GTH weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass aus ihrer Sicht die positiven Effekte des AstraZeneca-Impfstoffs die Risiken überwiegen, und begrüßt, dass die Impfungen nun weitergehen.

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