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Umwelt: Atmen mit Tiefenwirkung

Feinste Partikel in der Atemluft können gefährliche gesundheitliche Folgen haben, die bis zu Lungenkrebs und Erbgutveränderungen in Körpergeweben reichen. Und offenbar macht der Schmutz auch vor den Keimzellen nicht Halt.
Maus
In manchen Städten und Industrieregionen möchte man schon fast freiwillig eine Atemschutzmaske tragen, so dicht hängt der Smog über dem Gelände. Jeder Luftzug saugt hier Abermillionen Partikel winziger Größenordnungen tief in die Lungen, wo sie sich festsetzen und bösen Schaden anrichten können. Doch nicht nur dort: An den Partikeln haftende chemische Substanzen können sich im Körper ausbreiten und sogar das Erbgut von Zellen verändern.

Hamilton | Industrieanlagen im Hafen von Hamilton sorgen für schlechte Luft.
Als Christopher Somers von der McMaster-Universität im kanadischen Hamilton und seine Kollegen Mäuse zehn Wochen Freiland- statt Laborluft schnuppern ließen – und zwar verschmutzte Stadtluft zum einen und saubere Landluft zum anderen –, stellten sie danach beunruhigt fest, dass sich bei den Nachkommen der Smogerfahrenen die Mutationsraten in so genannten Tandem Repeats, nicht kodierenden DNA-Abschnitten, die durch zahlreiche Wiederholungen kurzer Sequenzen gekennzeichnet sind, beinahe verdoppelt hatten. Konnte sich die Luftverschmutzung also sogar über die Keimzellen auf die nächste Generation auswirken?

Ultrafeinfilter-Gehege | Ein Luftkurort der besonderen Art: Mit einem Ultrafeinfilter schützten die Wissenschaftler ihre Nager vor winzigen, gesundheitsschädlichen Partikeln.
Um das herauszufinden, gönnten die Forscher nun einigen Tieren wiederum an beiden Orten eine Luftkur mit Hilfe eines Ultrafeinfilters, der beinahe hundert Prozent aller Partikel bis 0,1 Mikrometer Durchmesser abfangen sollte und auch die Menge an noch kleineren Stäubchen drastisch reduzieren konnte. Neun Wochen später sammelten die Forscher ihre Nager wieder ein, paarten sie untereinander und unterzogen dann den Nachwuchs einer strengen genetischen Prüfung.

Und siehe da: Wieder stolperten Somers und seine Mitarbeiter über verdoppelte Mutationsraten bei ungeschützt mit schlechter Luft geplagten Mäusen im Vergleich zu allen drei anderen Varianten. Die Erbgutveränderungen wurden dabei immer vom Vater an die Sprösslinge weitergegeben, wie die Forscher an Hand charakteristischer Mutationsmuster aufklären konnten. Seitens der Mütter gab es kein entsprechendes Erbe.

Da der Filter Gase nicht zurückhalten konnte, mussten die winzigen Partikel in der Luft die Auslöser für die Erbgutveränderungen bergen. Mögliche Kandidaten vermuten die Forscher unter den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK), die beim Menschen beispielsweise Lungenkrebs mit typischen Mutationsmustern auslösen. Die Konzentrationen dieser Verbindungen lagen nicht nur an der belasteten Stelle deutlich höher als am ländlichen Vergleichsstandort, sondern ihr Tagesprofil korrelierte auch eindeutig mit der Windrichtung – eine höchst verdächtige Beobachtung.

Wie allerdings diese chemischen Substanzen letztendlich in die Mauspermien – wahrscheinlich noch vor der Meiose – gelangen, bleibt noch offen. Von der Lunge aus müssten sie ins Blut gelangen, die Passage durch die Leber überstehen, vielleicht in noch stärker DNA-schädigende Varianten umgewandelt werden, zu den Hoden transportiert werden und dort schließlich in die Keimzellen eindringen. Ein langer Weg – aber womöglich beschreitbar.

Und der Befund steht nicht allein im Raum – weder für Mäuse noch für Menschen. Neuen Untersuchungsergebnissen zufolge bringen Frauen, die während der Schwangerschaft erhöhten PAH- und Partikelkonzentrationen ausgesetzt waren, häufiger Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht zur Welt. Dieses Risiko verdoppelt sich sogar, wenn die Belastung in den ersten Monat der Schwangerschaft fiel. Und es gibt bereits erste Hinweise, dass bei erhöhter Luftverschmutzung tatsächlich auch Schäden in männlichen Keimzellen beim Menschen auftreten.

Und trotzdem sollten die Ergebnisse von Somers und seinen Kollegen mit Vorsicht betrachtet werden, mahnen Jonathan Samet von der Johns-Hopkins-Universität, David DeMarini von der amerikanischen Umweltbehörde EPA und Heinrich Malling vom Staatlichen Institut für Umweltgesundheit der USA. Denn zum einen sind die Prozesse, die zu Mutationen in den von Somers und Co betrachteten Tandem Repeats führen, noch weitgehend unverstanden und auch nur sehr eingeschränkt von Maus auf Mensch übertragbar. Außerdem hätten die Forscher nur drei mutagen wirkende Chemikalien genauer untersucht, und auch der Nachweis, dass die Veränderung auch in der dritten Generation noch auftrete, stehe noch aus. Weitere Untersuchungen sind also dringend nötig, um die Ergebnisse zu bestätigen. Aber die Botschaft ist und bleibt beunruhigend.

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