Kernphysik: Atomkerne mit »Heiligenschein« aus Protonen
Ein klassischer Atomkern, wie man ihm im Inneren der meisten alltäglichen Elemente findet, ist im Wesentlichen ein annähernd kugelförmiger Klumpen aus Protonen und Neutronen, fest gebunden durch die starke Kernkraft. Doch wenn die Kerne exotischer werden, wenn sie zum Beispiel ungewöhnlich viele Protonen oder Neutronen haben oder einfach extrem schwer sind, entwickeln sie teilweise sehr bemerkenswerte Strukturen. So können die Kerne der schwersten, künstlich erzeugten Elemente abgeplattet, ei- oder gar birnenförmig sein. Und manche Atomkerne haben eine Art Heiligenschein (englisch: halo) aus Protonen oder Neutronen – einzelnen Kernbausteinen, die sich wolkenartig weit über den eigentlichen Radius des Atomkerns erstrecken.
Ein Team um Yu Yue vom Institute of Modern Physics der Chinesischen Akademie der Wissenschaften hat nun mit Hilfe einer neuen Technik mehrere exotische Atomkerne mit so einem Protonen-Halo entdeckt. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Physical Review Letters« berichtet, hat einer der entdeckten Kerne womöglich sogar einen doppelten »Heiligenschein«: Argon-31 könnte von gleich zwei dieser Protonenwolken umgeben sein. Für die Studie vermaß die Arbeitsgruppe die Massen von Atomkernen mit ungewöhnlich wenigen Neutronen. So hat Silizium-23 fünf Neutronen weniger als das »normale« Silizium-28; Argon-31 fehlen im Vergleich zum stabilen Argon-40 sogar neun Neutronen.
Diese besonders protonenreichen Atomkerne sind sehr instabil, sie zerfallen in Millisekunden. Sie sind nah an der so genannten »Tropflinie« – jener Grenze, ab der überschüssige Kernbestandteile einfach aus dem Kern »heraustropfen«. Solche exotischen Gebilde an der Grenze der Stabilität geben Auskunft über das Verhalten von Kernbestandteilen unter extremen Bedingungen und ermöglichen Einblicke in die Natur der Materie selbst. Die Halos sind eine Folge dieser exotischen Bindungsverhältnisse. Stark gebundene Teilchen befinden sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Zentrum des Kerns. Die Teilchen des Halos dagegen sind schwächer gebunden und deswegen weiter außen im Kern – sie umgeben ihn wie eine Art Haut oder Halo.
Halos aus Neutronen sind inzwischen von mehreren neutronenreichen Kernen bekannt. Dagegen sind Protonen-Halos nur sehr schwer zu entdecken. Das Team um Yu nutzte darum den Vergleich mit den so genannten »Spiegelkernen«: Atomkernen, bei denen Protonen und Neutronen quasi vertauscht sind. So ist der Spiegelkern von Argon-31 das Isotop Aluminium-31 – es hat 13 Protonen und 18 Neutronen. Diese Kerne sollten, wenn sie exakt symmetrisch sind, eine berechenbare Energiedifferenz haben. Anhand der präzise gemessenen Atommassen zeigten die Fachleute jedoch, dass die realen Energien von der Symmetrie abweichen. Das deutet darauf hin, dass die Bindungsenergie im Argon-31 anders ist als erwartet. Mit Hilfe solcher Analysen kommt das Team zu dem Schluss, dass die Kerne Phosphor-26 und -27 sowie Schwefel-27 und -28 je ein Halo-Proton haben – und Argon-31 sogar zwei.
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