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Lokomotion: Auch Fische wissen, wie man läuft

Landwirbeltiere verdanken es einem neuronalen und genetischen Autopiloten, ohne nachzudenken stolperfrei laufen zu können. Lustigerweise haben aber sogar schon Rochen das gleiche Knowhow.
Igelrochen

Zum Laufen auf festem Boden braucht es mehr als Beine und Füße: Zudem muss in den Zellen des motorischen Nervensystems ein koordiniertes Programm ablaufen, welches die Extremitäten so automatisiert aufeinander abstimmt, dass man beim Ausschreiten nicht ständig darüber nachdenken muss, welches Bein jetzt gerade noch mal dran war. Diese Motoneuronenverschaltung war gängigen Hypothesen zufolge wohl irgendwann nach und nach entstanden, als die halbaquatischen Vorfahren aller Landlebewesen sich daran machten, festen Boden unter die noch nicht zu Beinen ausgebildeten Extremitäten zu bekommen. Falsch gedacht, meinen nun Wissenschaftler um Jeremy Dasen von der New York University School of Medicine in ihrer Veröffentlichung in "Cell": Womöglich verfügten selbst die ältesten wasserlebende Vorfahren der Landwirbeltiere schon über die genetischen Werkzeuge, mit denen die an Land lebenden Exemplare heute ihre Beine koordinieren.

Dies zeigt sich in den Experimenten von Dasens Team an Igelrochen (Urogymnus asperrimus) – mit anderen Rochen und Haien verwandten Knorpelfischen. Die Rochen gehören zu den ursprünglichsten noch lebenden Entwürfen der Wirbeltiere – unterscheiden sich aber in ihren Bewegungsmustern deutlich von Fischen. Diese bewegen sich im Wasser prinzipiell vorwärts, indem sie mit sinnvoll angeordneten Muskeln den Körper und die Wirbelsäule in undulatorische Bewegung versetzen – und so dann einen Vortrieb erzeugen. Bei Rochen ist das etwas anders: Sie schwimmen durch flappende Auf- und Abbewegungen der seitlichen, flossenartigen Körperpartien. Igelrochen zeigen zudem eine besondere Spezialität: Die Tiere können mit ihren auf der hinteren unteren Seite liegenden Spezialstachelflossen wie auf Beinen über den Meeresboden laufen – wobei linke und rechte Flosse wie bei landlebenden Tieren abwechselnd nacheinander eingesetzt werden. Diese Bewegung, so vermuteten die Forscher um Dasen, muss auch motoneuronal und genetisch anders koordiniert werden als der Schlängelvortrieb typischer Fische.

Die Forscher analysierten daher das Spektrum von nach und nach aktivierten RNA-Sequenzen bei der Entwicklung von Motoneuroenen in Igelrochenembryos. Dabei zeigte sich, dass das Aktivitätsprofil bei den Rochen erstaunlich dem ähnelt, dass in landlebenden Tierembryonen abläuft, deren Bewegungsapparat sich gerade ausbildet. Ganz offenbar greifen alle Wirbeltiere demnach auf ein seit dem Erdaltertum etabliertes genetisches Entwicklungsprogramm zurück, wenn es darum geht, Extremitäten später koordiniert beugen, strecken und bewegen zu können. Die Gemeinsamkeiten erstrecken sich dabei sogar auf die Aktion der so genannten Interneuronen, die zwischen den die Muskel aktivierenden Nerven vermitteln und diese koordinieren. Denn die Interneuronen sind bei Rochen wie Landwirbeltieren in sehr ähnlich organisierten so genannten "zentralen Mustergeneratoren" zusammengeschaltet: Nervenzellennetzwerken im Rückenmark, die selbstständig rhythmische Muskelkontraktionsmuster anleiten – wie sie eben etwa beim Gehen ohne Kontrolle durch übergeordnete Hirnzentren ablaufen. Das knappe Dutzend charakteristischer Interneuronentypen, so Dasen, "ist bei Rochen und Landwirbeltieren hochkonserviert". Igelrochen seien demnach ein uraltes, aber womöglich unterschätztes, brauchbares Modell für Untersuchungen der Prozesse, die beim Landgang der Wirbeltiere einst nicht nur anatomisch, sondern auch im Nervensystem abgelaufen sind.

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