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News: Auf die Reihenfolge kommt es an

Der Geschmack einer guten Tasse Tee hängt davon ab, dass man zuerst die Milch eingießt und dann den Tee - und nicht etwa umgekehrt, sagen viele. Die richtige Reihenfolge ist also entscheidend. Das gilt aber offenbar nicht nur für Genießer. Auch für die Dynamik in einem Ökosystem ist es anscheinend essentiell, welche Art wann dazukommt. Denn je nach der Reihenfolge entwickeln sich die Lebensgemeinschaften danach auf unterschiedliche Weisen.
So ein Ökosystem in der freien Natur ist eine komplizierte Angelegenheit. Da sind Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, die alle bestimmte Ansprüche haben. Dazu kommen Standortfaktoren wie Lichtmenge oder Bodenverhältnisse, die den Rahmen für das ganze Geschehen liefern. Und zu allem Überfluss gibt es noch ein ganzes Netz von Wechselwirkungen zwischen allen Beteiligten. So etwas lässt sich im Modell nur sehr schwer nachbilden. Darum fangen Ökologen meist klein an und beschränken sich auf Systeme mit wenigen Arten, deren Interaktionen sie gut kennen.

Aber auch diese kleinen Modell-Ökosysteme haben ihre Tücken. Offenbar kommt es nämlich neben der Artenzusammensetzung auch auf die Reihenfolge an, in der sich die Beteiligten zusammenfinden. Das zumindest haben Untersuchungen ergeben, die Steven M. Sait von der University of Liverpool und seine Mitarbeiter an einem Falter und zwei seiner natürliche Feine durchgeführt haben (Nature vom 25. Mai 2000).

Auch in Reinkulturen schwankt die Populationsdichte der Kupferroten Dörrobstmotte Plodia interpunctella. Schuld daran ist die Konkurrenz der Falter um Futter und andere Ressourcen. Müssen die Insekten mit einem Virus zusammenleben, der ihre Junglarven befällt, wirkt sich das nur geringfügig auf die Populationsentwicklung aus. Ganz anders sind die Verhältnisse, wenn der Falter sich den Lebensraum mit einer parasitären Wespe teilt, die seine Larven in einem späteren Stadium schädigt. In diesem Fall schwankt die Anzahl der Dörrobstmotten viel stärker und ihre Gesamtzahl nimmt drastisch ab. Das Muster spiegelt im Prinzip eine Räuber-Beute-Beziehung wider, in der die Häufigkeiten beider Arten sich einander beeinflussen.

Doch was passiert nun, wenn ein "Ökosystem" zunächst aus zwei Arten besteht und dann eine dritte hinzukommt? Nichts bleibt so, wie es war, stellten die Wissenschaftler fest. Aus früheren Untersuchungen kannten sie bereits den Einfluss der parasitären Wespe auf ein Falter-Virus-System. Dabei entwickelt sich aus den einfachen Häufigkeitskurven ein komplizierteres Muster, bei dem innerhalb einer Schwankung zusätzlich kleinere Auf- und Abwärtsbewegungen in der Individuenzahl auftreten. Die Dichten der Wespe und des Falters sind zwar immer noch gekoppelt, aber der Parasit reagiert in seiner Populationsentwicklung immer eine Generation verspätet. Schließlich bricht das gesamte System zusammen.

Hat sich zwischen Falter und Wespe bereits ein stabiles Verhältnis eingestellt und das Virus kommt neu in das System, sind die Folgen unterschiedlich. In der Hälfte der Fälle verläuft die Entwicklung wie oben beschrieben. Allerdings tritt der Übergang zum komplexeren Schwankungsbild hier nicht plötzlich, sondern allmählich auf. In den restlichen Versuchsansätzen bleibt das Räuber-Beute-Muster erhalten, aber die zyklische Häufigkeitsschwankung der Motte geht verloren.

Die Ursachen für diese so unterschiedlichen Reaktionen sehen die Forscher in dem Zeitpunkt, zu dem die Larvenentwicklung des Falters beeinträchtigt wird. Das Virus greift nur die Junglarven an, und seine Anzahl in der Population ist relativ hoch. Kommt die Wespe hinzu, die auf ältere Larvenstadien spezialisiert ist, sind plötzlich alle Nachkommen betroffen. Gängige Modelle von Räuber-Beute-Systemen sagen hier einen Umschwung auf ein multiples Schwankungsmuster voraus, was die Versuche auch bestätigten. Geht die Häufigkeit des Wirtes aber – wie in dem Fall Falter und Wespe – zurück, ist auch die Anzahl der Larven nicht so groß. Da sich das Virus über Kannibalismus ausbreitet, kann es dann nur langsam in das System eindringen. So bleiben die typischen Schwankungen einer Räuber-Beute-Beziehung erhalten. Sie werden durch den Einfluss des Virus höchstens etwas verwischt. Doch warum haben nicht alle Modell-Systeme das Muster mit mehreren, sich überlagernden Schwankungen übernommen? Die Forscher machen dafür die Populationsentwicklung des Virus verantwortlich.

Was bedeuten diese Ergebnisse nun für die Lebensräume vor unserer Haustür? Es kommt sehr häufig vor, dass fremde Arten natürlicherweise selbst oder durch den Menschen – freiwillig oder unfreiwillig – in andere Ökosysteme eindringen. Das stellt insbesondere für den Naturschutz eine große Herausforderung dar. Die Resultate der Studie zeigen, dass es nicht nur darauf ankommt, Neuankömmlinge in einem System zu erfassen, sondern auch die Reihenfolge zu beobachten, in der sie eintreffen, und die Folgen, die sich daraus ergeben. Nur so bekommen Wissenschaftler eine Grundlage, auf der sie die weitere Populationsentwicklung für andere Systeme vorhersagen können.

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