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Botenstoffe: Auf die Tränendrüse gedrückt

Wässrige Augen, ein tiefer Blick - und die Dame des Herzens ist gewonnen. Könnte es wirklich so einfach sein? Forscher meinen, ja. Zumindest bei Mäusen.
Belohnung in Sicht
Ein Schnuppern, ein Scharren, die Schnauze ein wenig im Fell des Gegenübers versenkt – und schon spielen die Nervenzellen in der Nase der weißen Mäusedame verrückt. Der Grund für den sprunghaften Anstieg ihrer Neuronenaktivität sind Duftstoffe, so genannte Pheromone, die das Männchen ausscheidet, um bei der Angebeteten Lust auf ein kleines sexuelles Abenteuer zu wecken.

Doch wie funktioniert diese Anziehung genau? Bislang tappten die Wissenschaftler im Dunklen. Zwar wussten sie, wie die Duftstoffe verarbeitet werden. Unklar aber blieb, wo die Pheromone produziert wurden. Stammen sie aus dem Urin des Mäuserichs, wie viele Forscher vermuten? Oder aus einer der zahlreichen Drüsen am bepelzten Körper des Sexhungrigen?

Um das Rätsel zu lösen, untersuchten japanische Wissenschaftler nun den genauen Ablauf der chemischen Verlockungsmachinerie. Und kamen zu einer verblüffenden Erkenntnis.

Stimulierendes Schnauzenschnuppern | Dank ihres vomeronasalen Organs reagieren Mäuse auf Pheromone des anderen Geschlechts.
Dass die Nager – ebenso übrigens wie viele andere Säuger – überhaupt auf Pheromone reagieren können, verdanken sie dem vomeronasalen Organ, einem Riechsystem, das bei Mäusen tief in der Nasenhöhle sitzt und unabhängig von der üblichen Geruchsverarbeitung agiert. In ihm sind bipolare Sinnenszellen aktiv, die bestimmte chemische Botenstoffe ausfiltern.

Die Rezeptoren dieser Neuronen senden entsprechende Signale an den akzessorischen Bulbus olfactorius, einen zusätzlichen und vermutlich sehr alten Teil des Riechsystems, der auch an Verhaltensweisen wie Aggression oder Fortpflanzung beteiligt ist.

Um nun herauszufinden, wie die chemische Verführung gelingt, mussten die Wissenschaftler um Kazushige Touhara erst einmal eine Methode finden, die Aktivität der vomeronasalen Nervenzellen festzustellen. Das gelang ihnen mit dem Nachweis von bestimmten Transkriptionsfaktoren, die immer dann im vomeronasalen Organ zu finden sind, wenn Pheromone auf die Rezeptoren der Nervenzellen treffen.

Fragte sich nur noch, woher die rezeptoranregenden Duftstoffe nun eigentlich stammen. Aus dem Urin, wie in vielen Studien vermutet wurde? Die japanischen Forscher jedoch waren skeptisch. "Für diese Vermutung gab es noch keine In-vivo-Beweise", erläutert Touhara. Zudem hatten neuere Versuche gezeigt, dass auch der physische Kontakt mit dem Gesichtsbereich anderer Mäuse zu Neuronenaktivität im vomeronasalen Organ führen kann.

Da die Forscher nicht sicher waren, welche Körperareale nun genau an der Pheromonproduktion beteiligt waren, untersuchten sie erst einmal, wie Mäuse auf Streu reagierten, die von männlichen Artgenossen verdreckt worden war.

Mäuse stehen auf den Geruch ihrer Artgenossen | Die Pheromone übertragen sich durch direkten Kontakt auf das Weibchen, ohne freundliches Nase-Stubsen gibt es keine sexuelle Erregung.
Das Ergebnis: Die Weibchen reagierten mit Feuerkaskaden in den Neuronen, die Männchen blieben desinteressiert. Als die Wissenschaftler die Mäuseweibchen daraufhin mit Urin in Berührung brachten, kratzte die das gar nicht. Erst als ihnen geschorenes Fell ihrer männlichen Artgenossen unter die Nase gehalten wurde, wurden ihre vomeronasalen Neuronen wieder munter.

Die Folgerung war klar: Eine der vielen Hautdrüsen war für die Pheromonausschüttung verantwortlich. Nachdem sie zahlreiche Drüsen ausprobiert hatten, wurden die Forscher schließlich fündig: sowohl die Tränendrüse als auch die sublinguale Drüse des Männchens lösten bei den Weibchen Reaktionen aus. Allerdings nur, wenn die Weibchen direkten Kontakt mit dem Schnauzenbereich des Mäuserichs hatten – das Sexualpheromon ist nämlich nicht flüchtig, sondern wirkt nur durch direkten Kontakt. Der Mäuse-Mann musste der Angebeteten also schon recht nahe kommen, um sie endgültig von sich zu überzeugen.

Umgekehrt waren die Männchen übrigens nicht so leicht vom Geruch ihrer Frauen zu betören. Ihre vomeronasalen Neuronen wurden zwar auch aktiv, aber nicht so intensiv wie die der Weibchen. Der Duft der Frauen scheint bei Mäusen also nicht so reizvoll zu sein wie bei den Menschen.

Aber Rückschlüsse von Mäusen auf Menschen sind eben nicht immer angebracht. Gerade was die Liebeserklärung via Tränendrüse angeht, halten sich menschliche Männer lieber bedeckt. Denn bei Menschen ist das vomeronasale Organ verkümmert, und niemand weiß, ob es wirklich noch funktioniert – rund ein Viertel der Menschheit besitzt das Organ gar nicht mehr. Die Evolution hat uns wohl andere Methoden der Verführung zugedacht.

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