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Evolution: Auf eigenen Wegen

Pflanzen sich die Mitglieder verschiedener Populationen in überlappenden Lebensräumen nicht länger untereinander fort, so stellen sie die Weichen für die "Geburt" neuer Arten. Doch welcher Auslöser stößt diesen evolutionären Prozess an?
Drosophila melanogaster
Verringern geografische Barrieren – wie ein sich auftürmendes Gebirge, eine Wüste oder ein Meer zwischen Inseln und Festland – den Genfluss zwischen Populationen oder unterbrechen ihn womöglich ganz, dann können sich in den einzelnen Verbreitungsgebieten langsam neue Arten herauskristallisieren. Aber auch ohne räumliche Isolation können sich vorhandene Gruppen aufsplitten: Taucht eine beliebige Fortpflanzungsschranke, beispielsweise eine Chromosomenänderung, auf, dann gehen die Tierfraktionen fortan getrennte Wege – trotz unmittelbarer Nachbarschaft.

Die evolutionäre Akte ist randvoll mit Beispielen solcher Artbildungsereignisse. Doch bislang blieb rätselhaft, welcher Faktor die reproduktive Isolation in ein und demselben Lebensraum jeweils ins Rollen brachte. Einige Forscher identifizierten zwar die mutierten Formen bestimmter Gene, die Taufliegen erfolgreich daran hinderten, sich mit engen Verwandten zu kreuzen. Allerdings wurden die Erbanlagen erst lange Zeit später entdeckt, nachdem sich die beiden Arten längst aufgespaltet hatten. Waren die genetischen Veränderungen somit die Ursache der Trennung oder eher eine Folge? Oder haben sie sich gar zufällig lange nach der Abzweigung vom gemeinsamen Weg ereignet?

Drosophila mojavensis | Weibchen von Drosophila mojavensis
Laura Reed und Therese Markow an der Universität von Arizona in Tucson gelang es nun, eine genetische Spaltung im Frühstadium bei zwei nahe verwandten Populationen der Taufliege einzufangen. Heimisch sind die Angehörigen von Drosophila mojavensis und Drosophila arizonae in den westlichen Wüsten, wo sie zwischen verrottenden Kakteen leben. Obwohl sich ihre Verbreitungsgebiete über einen ausgedehnten Bereich der nördlichen Küste Mexikos überschneiden, paaren sich die Insekten in der Natur nur selten – wenn überhaupt. Im Labor gehen aus Verbindungen zwischen den beiden Gruppen zwar Nachkommen hervor, doch diese sind mitunter unfruchtbar.

Drosophila arizonae | Weibchen von Drosophila arizonae
Gewöhnlich produzieren Weibchen von D. mojavensis mit Männchen von D. arizonae eine gesunde Kinderschar, während die Söhne aus Beziehungen von D.-arizonae-Müttern und D.-mojavensis-Vätern steril sind. Doch auch der männliche Nachwuchs von Weibchen eines D.-mojavensis-Stammes auf Catalina Island an der Südküste Kaliforniens vermag sich stets nicht weiter zu vermehren. Da die Sterilität der Fliegenmännchen auf dem genetischen Erbe der Mütter beruht, ist die zugrundeliegende Veränderung offenbar noch nicht fest in D.-mojavensis-Populationen verankert, folgern die Wissenschaftlerinnen. Vielmehr muss sie neueren Datums sein.

Um herauszufinden, wie weit jene genetische Abweichung bereits unter den Angehörigen der D.-mojavensis-Populationen auf Catalina Island verbreitet ist, führten die Forscherinnen Kreuzungsexperimente mit Weibchen der dort ansässigen Stämme und D.-arizonae-Männchen durch. Und sie stellten fest: Etwa aus der Hälfe der Paarungen gingen unfruchtbare Söhne hervor. Somit sind bislang nur ungefähr fünfzig Prozent der Weibchen auf Catalina Island Trägerin der Sterilitätserbanlagen. Überraschenderweise weist aber auch ein kleiner Teil der D.-mojavensis-Populationen aus anderen geografischen Regionen die entsprechende Veränderung auf. "Dieser Polymorphismus existierte in jeder Population, die ich angeschaut habe", betont Reed.

Wie weitere Untersuchungen enthüllten, handelt es sich bei der Sterilität der Taufliegen-Söhne um einen komplexen Phänotyp, denn einige Hybrid-Männchen konnten trotz beweglicher Samenzellen keinen Nachwuchs zeugen. Demnach lösen mehrere genetische Veränderungen diese Eigenschaft aus. "Ich vermute, dass viele Erbanlagen eine Rolle spielen – wahrscheinlich vier oder fünf, vielleicht wesentlich mehr", spekuliert Reed. Als nächsten Schritt planen die Forscherinnen nun, die einzelnen "Artbildungsgene" zu identifizieren. Bei dieser Aufgabe könnte sich die gerade begonnene Sequenzierung des D.-mojavensis-Genoms als hilfreich erweisen.

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