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News: Auf großem Fuß

In trauter Gemeinschaft leben einige Muschelarten mit Bakterien zusammen und nutzen gemeinsam die Chemie der Meeressedimente. Um ihre bakteriellen Gäste mit den nötigen Rohstoffen zu versorgen, scheuen die Weichtiere keinen Aufwand - und strecken dafür ihren Fuß um das 30fache der eigenen Körperlänge.
Thyasira
Schwefelwasserstoff ist giftig und stinkt penetrant nach faulen Eiern. Man sollte dieses Gas daher besser meiden. Bestimmte Bakterien sehen das jedoch ganz anders; für sie ist der übelriechende Stoff quasi der Quell zum Leben: So genannte chemolithoautotrophe Bakterien gewinnen ihre Energie durch die Oxidation reduzierter Verbindungen wie Schwefelwasserstoff beziehungsweise Sulfid.

Und diese Energieausnutzung wissen wiederum andere Organismen für sich zu nutzen – indem sie die Bakterien aufnehmen und in ihrem Körperinnern beherbergen. Bekannt sind solche Symbiosen von den Hydrothermalquellen der Tiefsee, aber auch in unseren Gewässern der Nordsee finden sich solche Beispiele trauter Zusammenarbeit.

So haben mehrere Muschelarten der Gattung Thyasira symbiontische Sulfidoxidierer in ihren Kiemen aufgenommen. Dabei ergibt sich für sie jedoch ein kleines Problem: Sulfid oxidiert sehr schnell, sobald es mit Sauerstoff in Berührung kommt, findet sich also nur in den Bereichen des Meeresbodens, wohin kein Sauerstoff vordringt. Andererseits benötigen nicht nur die Bakterien Sauerstoff für ihre Oxidationsleistung, auch die Muscheln selbst brauchen die frische Luft zum Atmen. Die Tiere müssten sich also an zwei Orten gleichzeitig aufhalten: Im oberen Bereich des Sediments, wo genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, und in den tieferen Schichten, wo der stinkende Schwefelwasserstoff zu Hause ist.

Suzanne Dufour und Horst Felbeck von der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla wollten wissen, wie die Muscheln dieses Problem lösen. Vor der Küste Norwegens sammelten sie fünf verschiedene Arten, und zwar die mit Bakterien zusammenlebenden Thyasira equalis, T. flexuosa und T. sarsi sowie T. obsoleta und T. ferruginea, die ohne Symbionten auskommen. Im Labor gaben die Forscher ihren Tieren ein neues Zuhause, wobei einige in Aquarien mit frischem Sediment gesetzt wurden, während andere sich mit einem vier Wochen alten sulfidischen Sediment begnügen mussten.

Über Röntgenlicht konnten die Forscher beobachten, was die Muscheln nun taten, um sich häuslich einzurichten. Und siehe da: Die Weichtiere fingen fleißig an zu graben. Während sich die beiden bakterienfreien Thyasira-Arten damit begnügten, sich anderthalb Zentimeter ins Sediment einzubuddeln, gingen die drei anderen Spezies etwas tiefer und drangen bis 3,5 Zentimeter vor.

Dies war noch nicht weiter erstaunlich. Überrascht waren die Forscher jedoch, als sie in ihren Röntgenaufnahmen im Sediment extrem tiefe Kanäle unterhalb der mit den Symbionten zusammenlebenden Muscheln fanden. Diese Kanäle waren besonders ausgeprägt, wenn das Sediment sulfidarm war, und reichte bis in Tiefen von 13,9 Zentimeter. Die weniger als einen halben Zentimeter großen Muscheln müssen die Kanäle, ohne sich dabei selbst weiter fortzubewegen, mit ihrem Fuß gegraben haben. Eine außergewöhnliche Leistung, hat doch demnach der Fuß die Körperlänge des Tieres um das 30fache übertroffen.

Damit haben die Tiere ihr Ortsproblem also gelöst: Sie strecken ihren Fuß in tiefe sulfidische Regionen vor, nehmen hier den Schwefelwasserstoff auf und transportieren ihn zu den Symbionten in den Kiemen. Wie schaffen die Muscheln diese extreme Verlängerung eines Körperteils, die wohl einmalig im Tierreich ist? Der Fuß der Muscheln ist zwar von Muskeln durchzogen, doch letztendlich muss es der Druck des Blutes sein, welches das Tier in seinen Fuß hineinpresst. Und auch das Gewebe des Fußes muss entsprechend flexibel sein, um derartige Volumenvergrößerungen verkraften zu können. Ein ziemlicher Aufwand, der sich aber offensichtlich lohnt, um ein Rohstoffproblem zu lösen.

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