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News: Auf Schlamm gebaut

Bauen auf unsicherem Grund kann zur Katastrophe führen. Die Bewohner von Kanopus und Herakleion, bedeutenden Handelsstädten bis ins achte Jahrhundert, mussten dies offenbar am eigenen Leib erfahren: Ergebnissen von Sonar- und Sedimentuntersuchungen zufolge ließ ein außergewöhnliches Hochwasser des Nils womöglich den Boden nachgeben und ihre Siedlungen unter einer Schlammschicht in den Fluten versinken. Die Geschichtsschreibung der damaligen Zeit liefert mit 741 oder 742 nach Christus sogar ein recht genaues Datum für das Ereignis.
Vor 1300 Jahren waren Kanopus und Herakleion vor der heutigen ägyptischen Mittelmeerküste noch blühende Städte, gelegen an den Ufern eines früheren Arms des Nils, der ein bedeutender Handelsweg war. Nur wenige Jahrzehnte später jedoch wurden sie unter einer meterdicken Schlammschicht im Wasser begraben. Erst 1999 entdeckte Franck Goddio vom Institut Européen d'Archéologie Sous-Marine bei seiner Suche nach Napoleons versunkener Flotte die Überreste der Siedlungen wieder. Was deren Untergang auslöste, war lange Zeit ein Rätsel. Ein Anstieg des Meeresspiegels? Ein Absinken des Untergrundes am Rande des Nildeltas? Oder womöglich gar ein Erdbeben?

In Zusammenarbeit mit Goddio präsentiert Jean-Daniel Stanley vom National Museum of Natural History nun eine weitere mögliche Erklärung. Die Forscher untersuchten die Ruinenfelder mit Fächersonaren und erstellten hochaufgelöste Profile des Untergrundes. Tauchexpeditionen und Sedimentbohrkerne entlang des nordwestlichen Nildeltas ergänzten die Daten.

Dabei fanden sie heraus, dass sich der Nilarm zunächst von Osten nach Westen bewegte und dann wieder nach Osten zurück, bevor im zweiten Jahrtausend ein weiterer Arm etwa 26 Kilometer östlich der Abukir-Landzunge entstand. Die Sonaraufnahmen und die Taucher brachten nicht nur Überreste der beiden versunkenen Städte an den Ufern des ehemaligen Kanopus-Armes ans Licht, sondern auch Funde von ptolemäischen, griechischen, römischen und byzantinischen Gegenständen.

Und die Wissenschaftler entdeckten etwas ganz Entscheidendes: Das Sediment des Gebietes wurde offenbar nach seiner Ablagerung noch einmal kräftig durcheinander gewirbelt. Etwa hundert Meter lange und wenige Meter breite, V-förmige Furchen am Boden weisen auf Spalten im Untergrund und Störungen der schlammigen Massen hin. Sie zeigen wie die Risse in einem aufgehenden Hefeteig, dass sich die unterliegenden Schichten aufgewölbt haben – ein Prozess, der beispielsweise auftritt, wenn Wasser eindringt und die mehr oder weniger stabilen Ablagerungen verflüssigt.

An manchen Stellen stießen die Forscher auch auf Sedimente aus unterschiedlichen Zeiten, die nun direkt nebeneinander liegen und teilweise auch noch von vertikalen Sand- und Schlicklagen durchzogen sind. Von den normalerweise regelmäßigen horizontalen Schichten eines Sedimentbeckens, wie sie in einem Flussdelta zu erwarten sind, war jedoch nicht mehr viel übrig.

Wie kam es zu diesem Durcheinander? Die Wissenschaftler vermuten, dass ein starkes Hochwasser die Umwälzungen auslöste. Überlieferungen berichten von einer Flutkatastrophe, die sich in den Jahren 741 oder 742 nach Christus ereignete. Damals stieg der Pegel des Nils mehr als einen Meter über sein normales Hochwasserniveau. Für Kanopus und Herakleion bedeutete dies, dass die Wassermassen die flachen Böschungen überspülten und sich wie eine Lawine in die Städte ergossen. Der instabile Untergrund weichte auf und gab unter der schweren Schlammfracht, die der Fluss mit sich führte, nach. Und damit war alles zu spät: Die Siedlungen versanken in den Fluten.

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  • Quellen
Nature 412: 293–294 (2001)

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