Direkt zum Inhalt

Röntgenteleskop eRosita: Auf Tuchfühlung mit der Dunklen Energie

Nach 14 Jahren Planung ist das deutsche Röntgenteleskop eRosita ins Weltall gestartet. Für die Forscher ein äußerst emotionaler Moment, für die Astronomie eine große Chance.
Röntgenhimmel

Könnte man hören, wie Peter Predehl ein Stein vom Herzen fällt, es würde gewaltigen Lärm machen. Im Moment der großen Erleichterung könnte man das allerdings ohnehin nicht hören, denn der Start der russischen Proton-Rakete übertönt so gut wie alles. Langsam, fast schon majestätisch erhebt sich der fast 60 Meter lange, 700 Tonnen schwere Koloss in den blauen Himmel über Baikonur.

Peter Predehl, Röntgenastronom am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) im oberbayerischen Garching, wird später am Telefon von einem »unglaublich emotionalen Moment« berichten. Da schwingt Begeisterung mit, Ehrfurcht, aber auch Stolz. Schließlich sitzt an der Spitze der donnernden Rakete eine 800 Kilogramm schwere Nutzlast, die man durchaus als Predehls Baby bezeichnen könnte: eRosita, ein deutsches Röntgenteleskop, das in den kommenden Jahren den Himmel durchmustern und Licht ins Geheimnis der Dunklen Energie bringen soll.

eRosita | Die sieben eRosita-Spiegelmodule haben jeweils einen Durchmesser von 36 Zentimetern und bestehen aus 54 ineinandergeschachtelten Spiegelschalen.

Wobei »Baby« es auch nicht so recht trifft. 14 Jahre lang hat Predehl gemeinsam mit seinem Team als Projektleiter an eRosita gearbeitet, von den ersten Überlegungen bis zum Start an diesem Samstag den 13. Juli 2019. Nun also ist das Teleskop im Weltall, es hat nach einer schwierigen Kindheit nun gewissermaßen die Pubertät erreicht. Predehl spricht von einem »Bilderbuchstart«.

Start verschoben, Gründe unklar

Die Erleichterung ist auch deshalb so groß, weil es auf den letzten Metern noch einmal richtig spannend wurde: Vor drei Wochen saß eine knapp 50-köpfige Gruppe deutscher Forscher – viele mit Lederhosen, viele mit »Road to Baikonur«-Kappen – bereits im Bus Richtung Startrampe, als ein Tweet der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos die Delegation aufschreckte: Start verschoben, Gründe unklar.

Viele Stunden lang war das die einzige Information, die die Russen ihren deutschen Partnern zukommen ließen. Angeblich, berichteten russische Medien später, wurde bei letzten Tests versehentlich ein Heizelement in der Proton-Oberstufe eingeschaltet gelassen. Dessen Batterie, nicht wiederaufladbar, war daraufhin leer.

Eine Batterie? Das weckte böse Erinnerungen. Vor 20 Jahren versuchte sich Deutschland schon einmal an einer neuen, kompletten Röntgenkarte des Himmels. Abrixas, so der Name des Teleskops, startete im April 1999 dann auch wie geplant. Wenige Stunden später fiel allerdings die Bordbatterie aus. Die Mission musste abgeschrieben werden. So ist das eben in der Raumfahrt: Bei Entwicklung, Bau und Start einer Weltraummission kann auch auf der Zielgeraden noch etwas dazwischenkommen.

Die eine Hälfte des Himmels landet bei den Russen, die andere bei den Deutschen; es ist der Preis für Start und Transport von eRosita

Die Sache mit Abrixas war der Beginn einer langen Durststrecke, und Peter Predehl, inzwischen 68 Jahre alt, war immer mittendrin: Ein neues Teleskop, Rosita getauft, scheiterte am Geld. Der Versuch, bei einer US-Mission namens »Dark Universe Observatory« mitzufliegen, blieb in der amerikanischen Vorauswahl hängen. 2005 schmiedeten die Max-Planck-Forscher dann die ersten Pläne für eRosita. Nun sollten die Russen helfen – mit einer Rakete und einem Satelliten. Zwei Jahre später wurden die Verträge unterschrieben, bereits 2011 sollte es losgehen. »Das war völlig unrealistisch«, sagt Predehl heute. »Da müssen wir Asche auf unser Haupt streuen.«

54 mit Gold beschichtete Spiegelschalen

Insbesondere die Entwicklung der Spiegel machte den Forschern zu schaffen. »Diese Geschichte hätte uns fast gekillt«, sagt Predehl in Baikonur. Das Problem: Röntgenstrahlen können mit herkömmlichen Spiegeln oder Linsen nicht fokussiert werden; sie sausen einfach hindurch. Bündeln lassen sie sich nur, wenn die Strahlen streifend, unter einem Winkel von weniger als einem Grad, auf eine parabelförmig gebogene Oberfläche treffen, entlang der sie dann zur Röntgenkamera geleitet werden.

eRositas Teleskope setzen sich daher aus 54 lang gezogenen und mit Gold beschichteten Spiegelschalen zusammen, die wie Matroschkas ineinandergeschlichtet sind. Insgesamt sind sieben solcher Optiken an Bord. Nur so kommt genügend Spiegelfläche zusammen, um ausreichend Röntgenlicht aus den Tiefen des Alls einzufangen.

Die Technik, Wolter-Teleskop genannt, ist im Prinzip nicht neu. Mit ihrer Hilfe wurde bereits in den 1970er Jahren der erfolgreiche deutsche Röntgenspäher Rosat entwickelt, Predehls Einstieg in die Röntgenastronomie. Auch der europäische Satellit XMM-Newton nutzt die Spiegeltechnik. Eine verkleinerte Version seiner Teleskope sollte daher bei eRosita zum Einsatz kommen. Doch je mehr die Optiken schrumpften, desto stärker fielen kleine, unvermeidliche Herstellungsfehler auf den Oberflächen ins Gewicht. »Die Spiegel waren viel zu schlecht«, sagt Predehl, »und wir hatten zunächst keine Idee, wie wir sie verbessern sollten.«

All das kostete Zeit und Geld. Hinzu kamen Änderungen am Missionsplan. Ursprünglich sollte eRosita in einer niedrigen Erdumlaufbahn bleiben. Nun geht es zum so genannten zweiten Lagrangepunkt, 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Die sieben Röntgenkameras an Bord, auf minus 90 Grad Celsius gekühlt und direkt im MPE entwickelt, mussten daher strahlenhart werden – wie die gesamte Bordelektronik. »Das war ein Riesenaufwand«, sagt Predehl.

Zudem änderten sich die Raketen. Aus der russischen Sojus wurde eine ukrainische Zenit, die nach der Krimkrise bei den Russen allerdings in Ungnade fiel. Daher nun die Proton, die legendäre russische Schwerlastrakete, die in diesem Jahrzehnt jedoch durch mehrere spektakuläre Fehlschläge aufgefallen ist.

© MaxPlanckSociety
eRosita im Video

Vogelwilde Gerüchte auf russischen Websites

Auch beim neuen Startversuch an diesem Wochenende, für den nur noch ein gutes Dutzend deutsche Forscher nach Baikonur gereist waren, lief nicht alles rund. Statt wie geplant am Freitag konnte eRosita erst am Samstag aufbrechen. Konkrete Gründe für die neuerliche Verschiebung nannte Roskosmos nicht. Vogelwild sind daher die Gerüchte, die auf russischen Websites kursieren. Unter anderem ist von einem Leck in einer Treibstoffleitung die Rede, das noch auf der Startrampe behelfsmäßig abgedichtet werden musste.

Egal, die Proton hat ihre Arbeit getan, einschließlich der fehleranfälligen Oberstufe, die für die Reise zum Lagrangepunkt dringend benötigt wurde. »Davor hatten viele Leute Angst«, erzählt Predehl am Telefon – nachdem er, wie er offen zugibt, seine Freudentränen getrocknet und mit dem obligatorischen Startsekt aus dem Plastikbecher angestoßen hatte.

Nun steht eine dreimonatige Reise an, während der eRosita getestet und Schritt für Schritt in Betrieb genommen werden soll. Dann beginnt, sofern alles in Ordnung ist, die Arbeit. Gleich mehrmals soll das Teleskop den kompletten Himmel nach Röntgenquellen absuchen. Unter anderem erhoffen sich die Forscher, dabei das Röntgenlicht von rund 100 000 Galaxienhaufen aufzuspüren. Bei ihnen handelt es sich um die schwersten Gebilde im Universum, jedes von ihnen gleicht einem Schwarm aus hunderten oder tausenden Milchstraßen.

Mit Hilfe der Galaxienhaufen wollen die Astronomen Hinweise auf die so genannte Dunkle Energie finden, jene mysteriöse Kraft, die knapp 70 Prozent der gesamten Energie und Materie im Kosmos ausmachen soll. Unentwegt treibt sie das Universum, das auf Grund der gegenseitigen Anziehungskraft seiner Sterne und Galaxien langsam kollabieren sollte, auseinander. Schneller und schneller. Ihr Adjektiv verdankt die »Dunkle« Energie dabei dem Umstand, dass bisher wenig bis gar nichts über sie bekannt ist.

Sollte es allerdings gelingen, die Masse, Anzahl und Entfernung all der Galaxienhaufen zu bestimmen, ließe sich daraus die Dichte des Universums zu unterschiedlichen Zeiten seiner Ausdehnung berechnen. Das wiederum würde dabei helfen, den geheimnisvollen Antrieb hinter der Expansion zu verstehen. »Wir werden die Dunkle Energie zwar nicht dingfest machen«, sagt Predehl, »aber wir werden aus unseren Messwerten hoffentlich Rückschlüsse ziehen können, um was es sich dabei handelt.«

Ein Röntgenhimmel mit Eisernem Vorhang

Den »ganzen Himmel im Röntgenlicht« soll eRosita dafür kartografieren, jubelt die Max-Planck-Gesellschaft. Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Hälfte der Daten, und damit die eine Hälfte des Himmels, landet bei den Russen, die andere bei den Deutschen; es ist der Preis für den Start und den Transport von eRosita. Zwischen den beiden Himmelshälften wird es, wie Predehl es nennt, einen Eisernen Vorhang geben. Zumindest auf dem Papier. Wie undurchlässig er sein wird, muss die Praxis zeigen.

Immerhin: Deutschland kommt durch den Deal vergleichsweise günstig davon. Etwa 80 Millionen Euro kostet den Steuerzahler die Mission, sagt Thomas Mernik, Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), welches das Teleskop finanziert hat – Eigenleistungen der beteiligten Institute nicht eingerechnet. Eigentlich ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, was eRosita leisten soll und vor allem, wie lange der Einsatz dauern wird: Mindestens vier Jahre werden nötig sein, um den Himmel komplett zu erfassen. Predehls Baby, Jahrgang 2005, »ein Traumprojekt«, wie der Astrophysiker sagt, »aber oft auch ein Albtraumprojekt«, wäre dann erwachsen.

Offenlegung: Die Reise nach Baikonur zum ersten Startversuch im Juni wurde ermöglicht durch eine Einladung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das die Reisekosten weitgehend übernommen hat.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.