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Ozeanografie: Aufgemischt

Ab dem 1. Juni ist es wieder soweit: Die offizielle Hurrikan-Saison beginnt. Die mächtigen Stürme bringen aber nicht nur orkanartige Böen und Dauerregen, Tod und Verderben, sondern bescheren offenbar auch Nordeuropa einen Teil seines milden Klimas - indem sie den Golfstrom füttern.
Hurrikan im aufgeheizten Golf
2005 war ein Rekordjahr: Niemals zuvor seit Beginn moderner Klimaaufzeichnungen tobten mehr Wirbelstürme durch Atlantik und Karibik. Insgesamt 28 tropische Stürme, von denen sich 15 zu ausgewachsenen Hurrikanen entwickelten, suchten die Bevölkerung der Region heim, töteten mehr als 2000 Menschen und verursachten Sachschäden von weit über 100 Milliarden Dollar. Die Namen "Rita" und "Katrina" – Letztere verwüstete New Orleans – stehen heute als Synonym für die zerstörerische Kraft der Natur.

Hurrikan kühlt Golf ab | Deutlich sichtbar ist im ansonsten aufgeheizten Golf von Mexiko mit seinen gelben und roten Farben die Zugbahn von Hurrikan "Dennis": Er kühlte das Wasser in seinem Gefolge deutlich ab, was sich als blauer Fleck zeigt.
Neben diesen katastrophalen Folgen hinterließen die Stürme auf ihrem Weg durch den sommerlich aufgeheizten Golf von Mexiko jedoch noch eine charakteristische Spur. Sie ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, wird von temperaturfühligen Satelliten jedoch zweifelsfrei aufgezeichnet. Ab Mai oder Juni beginnt sich das relativ flache Nebenmeer immer stärker zu erwärmen, was sich auf den Temperaturkarten in immer kräftigeren Gelb- und Rottönen niederschlägt – bis ein Hurrikan hindurch zieht. In seinem Gefolge taucht ein breiter Streifen in Blau auf: Für kurze Zeit dominiert hier bis zu acht Grad Celsius kühleres Wasser, das sich erst langsam wieder erwärmt.

Was ist hier geschehen? Hat der Sturm, der seine gesamte Energie aus dem hitzigen Ozean bezieht, das warme Wasser schlicht in seine Wolken gepumpt und damit kühlere Schichten freigelegt? Nicht nur, wie Ryan Sriver und Matthew Huber von der Purdue-Universität im US-amerikanischen West Lafayette nun anhand von Temperaturmessungen und Computerberechnungen vermuten. Stattdessen mischt der Sturm das Meer gehörig auf. Und treibt damit zugleich die Wärmepumpe zu den Polen an.

Denn die satten Windstärken eines Orkans lösen entsprechenden Wellengang aus: Hurrikan Ivan aus dem Jahr 2004 peitschte Wogen bis zu 28 Meter empor, deren Basis zugleich deutlich tiefer liegt als bei schwächeren Böen. Sie erreichen sogar noch die Sprungschicht zu kühleren Tiefen. Die Wogen durchwühlen den Ozean damit regelrecht und reißen kaltes Wasser sowie Nährstoffe nach oben, während wärmeres Nass nach unten gedrückt wird: Über dutzende Meter hinweg kommt es zu Temperaturanomalien. An der Oberfläche gleichen sich diese durch die Sonne sowie seitlich zufließendes Warmwasser relativ schnell wieder aus, in der Tiefe bleibt die zugeführte Energie jedoch erst einmal erhalten. Die Wassersäule vermengt sich nicht mit noch tieferen Lagen, sodass sich das Meer insgesamt erwärmt.

Jede tiefenwärtige Energiezufuhr verursacht aber gleichzeitig eine großräumige Ausgleichsbewegung wie den Golfstrom, die die Wärme in relativ unterkühlte Breiten transportiert. Erst dort wird sie in großem Maße wieder an die Atmosphäre abgegeben und beschert derart Murmansk einen eisfreien Hafen, Norwegen ein mildes Klima und Südengland Palmenwuchs. Rund 15 Prozent des weltweiten, polwärts fließenden Warmwasservolumens geht auf diesen Prozess zurück, kalkulieren die beiden Klimatologen. Umgerechnet entspräche dies der kompletten Transportleistung des Atlantiks nördlich des 50. Breitengrads – und damit der gesamten Wärmeenergie, mit der das Golfstromsystems Nord- und Westeuropa versorgt.

Auch den Hurrikanen haben wir es also zu verdanken, dass unsere Breiten klimatisch so heimelig sind. Denn ohne ihren Einfluss fiele der Temperaturausgleich horizontal wie vertikal wohl deutlich schwächer aus, wie unmittelbar am Äquator zu sehen ist. Dort stöbern normalerweise keine Wirbelstürme das Wasser auf, weshalb der Wärmetransport in tiefere ozeanische Gefilde gegen Null geht.

Dagegen sorgt die stürmische Durchmischung der angrenzenden tropischen Meere dafür, dass sich diese nicht noch weiter aufheizen, sondern relativ gemäßigt temperiert bleiben. Damit entziehen die Hurrikane immer wieder ihren Nachfolgern zeitweise einen Teil der Energie, verzögern ihre Entstehung ein wenig und schwächen sie sogar.

Der Klimawandel allerdings greift – wie heute wohl fast überall – auch in dieses System ein: Steigende Temperaturen heizen dem Ozean zusätzlich ein, häufen oder verstärken dadurch vielleicht die Stürme und wirbeln damit erst recht das Wasser durcheinander. Noch mehr Wärmeenergie strömt dann nach Norden und bringt uns klimatisch den Tropen näher, sodass die Hurrikan-Neigung auch vor unserer Haustür zunimmt – den ersten Vorgeschmack lieferte 2005 "Vince": Er war der erste historisch verbürgte Tropensturm, der europäisches Festland erreichte.

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