Direkt zum Inhalt

News: Aufgespürte Misstöne

Dirigenten beherrschen ein ungewöhnliches Instrument: das Sinfonieorchester. Präzise setzen sie den Einsatz eines jeden einzelnen Musikers, gnadenlos verfolgen sie jeden Missklang. Neueste Untersuchungen zeigen, dass sie ihr Gehirn ihrem Beruf anpassen können. Erfahrene Dirigenten verfügen über ein Richtungshören, wovon Pianisten nur träumen können - von Musiklaien ganz zu schweigen.
Atemlose Stille. Langsam hebt er seinen Taktstock. Dann das Kommando zum Einsatz. Feierlich und vor allem laut ertönen die ersten Takte von Beethovens Fünfter. Doch plötzlich: Was ist das? Wütend hämmert der Maestro auf sein Pult. Abbruch. Da hat doch tatsächlich eine Violine in der zweiten Reihe einen Fehlgriff gewagt, der sofort vom Meister mit einem entsprechenden Blick geahndet wird.

Wie schafft es ein Dirigent, so zielsicher den Misston aus der Masse des Orchester herauszufischen? Das fragte sich Thomas Münte von der Universität Magdeburg. Zusammen mit Kollegen von der Medizinischen Hochschule Hannover und vom Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin der Hochschule für Musik und Theater Hannover hat er sich sieben erfahrene Dirigenten vorgeknöpft. Als Vergleich dienten sieben Pianisten, die ebenfalls auf eine langjährige Musikerkarriere zurückblicken konnten, und sieben Unbedarfte, die mit der Tonkunst überhaupt nichts am Hut hatten. Jede Versuchsperson setzte sich vor eine Front aus sechs, nahe beieinander stehenden Lautsprechern: jeweils drei unmittelbar gegenüber und drei an der Seite. Dabei sollte sie sich auf einen ganz bestimmten konzentrieren – entweder auf den zentralen oder den ganz außen stehenden. Dann erklangen Töne aus den Boxen – nicht gerade Beethoven, sondern künstliche, am Computer erzeugte Geräusche. Ab und zu wurde diese künstliche "Sinfonie" durch Fehlklänge gestört – kleine Abweichungen, welche der Lauscher erkennen und der richtigen Schallquelle zuordnen sollte.

Damit hatten alle Versuchsteilnehmer – egal ob Musiker oder nicht – kein Problem, solange der Misston aus dem Zenrallautsprecher erklang. Drang die Störung jedoch von der Seite ans Ohr, so konnten nur die Dirigenten sie sicher orten.

Gleichzeitig maßen die Wissenschaftler die Hirnströme ihrer Probanden. Auch hier demonstrierten die Dirigenten die Beherrschung ihres Metiers: Ihr Elektroenzephalogramm offenbarte, dass sie sich gezielt auf den äußersten Lautsprecher konzentrieren konnten. Pianisten und Nicht-Musiker versagten dagegen kläglich. Ihre Hirnströme zeigten keine markanten Veränderungen während der seitlichen Störgeräusche.

Die Wissenschaftler vermuten, die langjährige Erfahrung der Dirigenten verändert ihre Hirnprozesse, sodass ihr Hörsinn geschärft wird. Altgediente Dirigenten wie Leon Gregorian von der Michigan State University bestätigen das: "Wenn jemand falsch spielt, ist das leicht ausfindig zu machen. Außer bei einer gewaltigen Partitur, wie bei Wagner oder Mahler oder bei sehr avantgardistischer Musik – dann ist es fast unmöglich." Er betont jedoch, dass es ohne Talent nicht geht: "Es gibt Leute, die hören es instinktiv – und andere, die lernen es nie."

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
Medizinische Hochschule Hannover
Nature Science Update
Nature 409: 580 (2001)

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.