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Meeresbiologie: Aufsteigende Massen

Es hat etwas Sphärisches, die durchsichtigen Körper von Krill-Krebschen durch den Ozean schweben zu sehen. Jedes einzelne von ihnen ist nur ein winziges Rad im Getriebe. Doch gemeinsam sind sie stark - sogar in der Klimaküche mischen die Winzlinge offenbar kräftig mit.
Krill: Unterschätzt
Gerade einmal sechs Zentimeter können die garnelenartigen Wirbellosen lang werden und dabei maximal zwei Gramm auf die Waage bringen. Wenn Krill auftritt, dann häufig in Massen: In einem Kubikmeter Wasser können sich bis zu 30 000 Individuen tummeln. Und nur deshalb ist es möglich, dass sich Blauwale – die größten lebenden Säugetiere der Erde – von ihnen ernähren und dabei auch noch satt werden können. Erstaunlich ist die Vorstellung dennoch, ebenso wie die Überlegung, dass der Krill indirekt das Klima beeinflussen soll. Wie groß dieser Einfluss möglicherweise ist, dürfte selbst Experten neu sein.

Ein Krillschwarm treibt mit der Strömung | Krillschwärme treiben mit den Strömungen umher und bilden die Nahrungsgrundlage für Fische, Pinguine, Robben und Wale. Die gesamte Biomasse des Antarktischen Krills wird auf 50 bis 150 Millionen Tonnen geschätzt.
Nachts steigen die zarten Krebschen in die obere, bewegte Wasserschicht des Ozeans auf – das so genannte "Mixed Layer", wo sie durch ihre Filterapparate fotosynthetisierende Kleinstlebewesen aufnehmen. Ihre Verdauung ist wenig effektiv. Und so werden die rückgratlosen Winzlinge zu Kohlenstoff-Kurieren, die diesen rasch Richtung Meeresgrund transportieren: Wenn sie sich tagsüber vor ihren Fressfeinden in tiefere Wasserschichten zurückziehen scheiden sie dort die unverdaulichen Schalen der Kieselalgen und unverdaute Algenteile aus, die dann weiter absinken. "Biologische Pumpe" heißt dieser Prozess, bei dem Organismen Kohlenstoff in die Tiefe verfrachten, der sich schließlich in Form von Sedimenten am Meeresgrund ablagern kann. Über Jahrtausende hinweg kann der Kohlenstoff so dem Kreislauf entzogen werden, so genannte Kohlenstoff-Senken entstehen.

Bisher glaubten Wissenschaftler, die Rolle, die der Krill in diesem Prozess spielt, sei verschwindend gering. Gingen sie doch davon aus, die Tierchen bewegten sich lediglich einmal in 24 Stunden zwischen oben und unten hin und her. Offenbar pumpt die biologische Pumpe jedoch stärker als bisher angenommen. Dies zumindest meinen Geraint Tarling vom British Antarctic Survey in Cambridge und Magnus Johnson von der Universität Hull, seit sie die Schwimmbewegungen von antarktischem Krill genauer untersucht haben.

Zwischen Dezember 2004 und Januar 2005 haben die Biologen 113 Krebschen beobachtet. Von einem Forschungsschiff aus schöpften sie Krill vor South Georgia – einer Insel etwa 1300 Kilometer ost-südöstlich der Falklandinseln – aus dem Südatlantik. Das Gebiet gilt als ausgesprochene Kohlenstoff-Senke. Für ihre Beobachtungen hielten sie die Tierchen in Behältern und versorgten diese immer wieder mit frischem Meerwasser. Wie viel Nahrung dem Krill zur Verfügung stand, hing also davon ab, wie planktonreich die Gewässer waren, die das Forschungsschiff durchfahren hatte. Somit konnten die Wissenschaftler beobachten, wie sich die Schwimmbewegungen der durchsichtigen Tiere veränderten, je nachdem, wie viel diese gefressen hatten.

Krebschen auf der Jagd nach Kieselalgen | Der bis zu sechs Zentimeter lange Krill ernährt sich vor allem von Kieselalgen, die er durch seinen Filterapparat aufnimmt. Die Verdauung ist wenig effektiv. Seine Exkremente enthalten deshalb große Mengen unverdauter Nahrung – Schalen und Algenreste sinken zum Meeresgrund und lagern sich dort ab.
Dabei beschäftigte die Wissenschaftler eine entscheidende Frage: Könnte es sein, dass die Kleinkrebse nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals pro Nacht als Kohlenstoff-Kuriere funktionieren? Das wäre der Fall, wenn der Krill sich absinken ließe, sobald er satt ist und nach oben rudern würde, sobald er seine Mahlzeit verdaut hat. Genau so ist es, meinen Tarling und Johnson: Sie beobachteten im Experiment, dass hungrige Krebschen ihre Schwimmbeine den größten Teil der Zeit kontinuierlich bewegten und so ein Absinken verhinderten. Ganz anders die Versuchstiere, die gerade verdauten: Sie ruderten zwar auch, ließen sich dazwischen aber immer wieder absinken, wobei sie ihre Extremitäten fallschirmartig abspreizten und so die Geschwindigkeit des Falls steuerten. Zwischen 0,2 und 0,8 Zentimeter pro Sekunde legten sie dabei zurück.

Auf den offenen Ozean übertragen bedeutet das: Bei einer Verdauungsphase von etwa 90 Minuten sinken die Tierchen zwischen 9 und 43 Meter ab. Genug, um im Südlichen Ozean das "Mixed Layer" zu verlassen und den Kohlenstoff mit Hilfe ihrer Ausscheidungsprodukte in tiefere Wasserschichten zu transportieren. Sobald sie verdaut haben, strampeln sich die Kleinkrebse vermutlich wieder nach oben – so lässt es zumindest das Experiment vermuten. Im Sommer könne sich dieser Zyklus von Fressen, Absinken und Wiederaufsteigen in einer einzigen Nacht sogar drei Mal wiederholen, meinen Tarling und Johnson.

So könnten die vertikal pulsierenden Krillschwärme wesentlich daran beteiligt sein, die Verfügbarkeit von Kohlenstoff in der Atmosphäre und so auch indirekt die Bildung von Treibhausgasen zu regulieren. Etwa 0,02 Milliarden Tonnen Kohlenstoff pro Jahr kann antarktischer Krill vermutlich auf unbestimmte Zeit im Ozean versenken – eine Menge, die etwa dem jährlichen Kohlenstoff-Ausstoß von 35 Millionen Autos entspricht.

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