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News: Aufwärmen für die lange Reise durch das All

Neutronensterne gehören zu den sonderlichen Objekten im All. Obwohl sie beinahe die Masse des Sterns haben, aus dem sie einst hervorgingen, sind sie mit einem Durchmesser von weniger als 20 Kilometern winzig klein. In 200 Lichtjahren Entfernung von der Erde findet sich ein eigentümliches Exemplar, das sich während seiner Reise durch die unendlichen Weiten des Alls in einem Wasserstoffnebel aufzuwärmen scheint.
Manchmal könnte man glauben, die Astronomen seien ungewöhnlich unromantisch. Warum sonst gäben sie einem schwach vor sich hin leuchtenden Stern in den Tiefen der Milchstraße den wenig originellen Namen RX J1856.5-3754? Wir normalen Menschen werden den alten Neutronenstern niemals zu Gesicht bekommen, schließlich ist sein Funkeln 100 Millionen Mal schwächer als das des kleinsten Sterns, den wir am Firmament gerade noch erkennen können. Doch um die Fantasie der Menschen – oder zumindest der Astronomen – anzuregen, ist er so gut wie alle anderen Sterne auch. Zum einen ist der gerade einmal 20 Kilometer durchmessende Neutronenstern RX J1856.5-3754 mit 700 000 Grad Celsius für sein Alter ein ungewöhnlicher Hitzkopf, zum anderen pflügt er durch eine Gaswolke und zieht eine Schleppe leuchtender Wasserstoffatome hinter sich her. Ja, hinter sich her, denn der Stern rast mit 100 Kilometern pro Sekunde durch die Weiten des Alls.

Wie alle Neutronensterne, so ist auch RX J1856.5-3754 das Ergebnis einer Supernova-Explosion. Dabei kollabiert der Kern eines Sterns unter seinem eigenen Gewicht und schleudert die äußeren Teile weit hinaus ins All. Wie so etwas genau abläuft, ist bis heute weitgehend unverstanden. Was übrig bleibt, ist jener Neutronenstern, dessen physikalische Eigenschaften sich jeder menschlichen Vorstellungskraft entziehen. Mit seinen 10 bis 20 Kilometern Durchmesser wiegt er fast soviel wie der Stern aus dem er einst hervorging – die durchschnittliche Dichte liegt somit bei unglaublichen 1015 g/cm3. Das entspricht dem größten, rund eine Million Tonnen schweren Öltankschiff, reduziert auf die Größe eines Stecknadelkopfes. Aufgrund der um 1012-fach höheren Gravitation als hier auf Erden vereinigen sich in seinem Innern die Elektronen mit den Protonen zu Neutronen.

Nach ihrer explosiven Geburt verlieren Neutronensterne stetig an Energie. Irgendwann erlöschen sie völlig und bleiben dann auch für die stärksten Teleskope unsichtbar. Deshalb ist für die Forscher auch die hohe Temperatur des mindestens 100 000 Jahre alten RX J1856.5-3754 so verwirrend. Die Spuren der einstigen Explosion sind längst verwischt, und der Stern müsste eigentlich bis zur Unkenntlichkeit abgekühlt sein. Auch sonst zeigt er keinerlei Zeichen von Aktivität. Meist drehen sich diese merkwürdigen Objekte nämlich mit rasender Geschwindigkeit, wobei elektromagnetische Strahlung entlang der Magentfeldlinien ins All hinausgesandt wird. Auf der Erde kommt diese Strahlung in Pulsen an, weshalb die Neutronensterne auch Pulsare heißen. Doch offenbar ist RX J1856.5-3754 zu alt für derlei hektisches Treiben, und genau deshalb ist er für die Astronomen so interessant. Denn hier können sie einen Neutronenstern untersuchen, der nicht durch allerlei bisher unverstandene Aktivitäten verwirrt.

Doch warum ist der Neutronenstern dann trotz seines Alters so heiß, und was hat es mit dem Wasserstoffnebel auf sich? Diesen Fragen gingen Marten van Kerkwijk vom Astronomical Institute der Utrecht University und Shri Kulkarni vom California Institute of Technology in Pasadena nach, die den Nebel auf Bildern des ESO Very Large Telescope (VLT) entdeckten. Eigentlich erhofften sich die Astronomen von den Spektralaufnahmen Aufschlüsse über die Oberflächeneigenschaften und das Magnetfeld von RX J1856.5-3754. Doch auch wenn diese Erwartungen enttäuscht wurden, so boten die Aufnahmen dennoch drei Überraschungen: die hohe Temperatur, den seltsamen Wasserstoffnebel und die rasante Reisegeschwindigkeit des Sterns.

Ein Grund für die hohe Temperatur des Neutronensterns könnte in seiner enormen Schwerkraft liegen. Wie ein Magnet zieht er interstellare Materie wie Staub oder Gas an, die mit der halben Lichtgeschwindigkeit auf seine Oberfläche prallt. Infolge der ungeheuren kinetischen Energie selbst winziger Partikel käme es zu jener Aufheizung. Doch nachdem die Astronomen erkannten, dass sich RX J1856.5-3754 mit hoher Geschwindigkeit durchs All bewegt, halten sie diese Möglichkeit nunmehr für unwahrscheinlich. Bei so schneller Fahrt könnte der Stern nicht ausreichend Materie einfangen.

Van Kerkwijk und Kulkarni glauben vielmehr, dass der Wasserstoffnebel für die hohen Temperaturen des Neutronensterns verantwortlich ist. Die Forscher berechneten, dass die Wasserstoffkonzentration in dieser Region des Weltalls darum rund 100 Mal höher sein müsste, als es im interstellaren Raum normalerweise der Fall ist. Ein Teil davon würde auf den Neutronenstern stürzen und ihn aufheizen. Andere Wasserstoffatome ionisiert der Stern, er spaltet sie also in energiereiche Protonen und Elektronen, die ihrerseits das umgebende Gas aufheizen, sodass es expandiert. Im Durchschnitt dauert es tausend Jahre, bis die Elektronen sich wieder mit ihren Protonen vereinen. Dabei emittieren sie die Strahlung, die die "Bugwelle" schwach aufleuchten lässt.

Noch sind sich van Kerkwijk und Kulkarni nicht sicher, ob die Dichte der Wasserstoffatome in jener Region wirklich ausreicht, um den Neutronenstern derart aufzuheizen. Immerhin könnte es sein, dass der Neutronenstern in seinem Leben schon ähnliche Abenteuer bestand und sich vielleicht erst vor kurzer Zeit an anderer Stelle aufgewärmt hat. Und wenn er auf seiner Reise durchs All in den nächsten Millionen Jahren nicht erneut auf eine Region besonders hoher Dichte stößt, ist es vielleicht aus mit ihm. Dann stirbt auch er den Tod der Neutronensterne und verschwindet ein für alle mal von der Bildfläche.

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