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News: Auge um Auge

Geringfügige Unterschiede der Seheindrücke unserer beiden Augen ermöglichen uns die räumliche Wahrnehmung. Werden die Unterschiede jedoch zu groß, muss sich das Gehirn entscheiden. Als Ergebnis dieser binokularen Rivalität unterdrückt es den Sinneseindruck eines Auges. Die Entscheidung hierüber fällt bereits im primären visuellen Cortex.
Die Bilder auf den Netzhauten unserer beiden Augen sind fast deckungsgleich – aber nur fast. Die geringen Unterschiede in den Sehwinkeln nutzt das Gehirn, um hieraus ein dreidimensionales Abbild der Außenwelt zu berechnen. Unterscheiden sich die beiden Seheindrücke jedoch zu stark, dann hat das Gehirn ein Problem: Es kann die Informationen nicht mehr zur Deckung bringen, sondern muss sich entscheiden. Es existiert daher eine "binokulare Rivalität", bei der sich jeweils der Sinneseindruck eines Auges durchsetzt, während der des anderen unterdrückt wird. Beschrieben hat dieses Phänomen erstmalig Sir Charles Wheatstone, der 1838 Experimente über das stereoskope Sehen durchführte.

Wheatstone entdeckte, dass der binokulare Wettstreit nicht bewusst kontrolliert werden kann. Mitunter findet hier ein Wettkampf zweier gleich starker Partner statt, wobei der eine den anderen nicht ständig besiegt, sondern beide sich gegenseitig abwechseln: Das Gehirn schaltet ständig zwischen den beiden Eindrücken hin und her. Nur wenn die Seheindrücke sich niemals üperlappen – beispielsweise beim Schielen – dann kann auf Dauer ein Auge quasi abgeschaltet werden. Oder das Gehirn verteilt unterschiedliche Aufgaben auf die beiden Augen, wie beispielsweise Nah- und Fernsicht.

Seit Wheatstone fragen sich die Wissenschaftler, in welcher Hirnregion die binokulare Rivalität ausgefochten wird. Die Sinneseindrücke des Auges gelangen zunächst in den primären visuellen Cortex und werden erst dann in die höheren Hirnzentren des Temporal-, Parietal- und Frontallappen weitergeleitet. Jetzt versuchten Hugh Wilson von der York University in Toronto sowie Randolph Blake und Sang-Hun Lee von der Vanderbilt University in Nashville einen neuen Ansatz, dieses Problem zu lösen.

Sie präsentierten den Augen ihren Versuchspersonen gleichzeitig jeweils verschiedene spiral- und ringförmige Muster. Da die Bilder sich zwar ähnelten, aber nicht deckungsgleich waren, musste das Gehirn sich für ein Bild entscheiden. Sobald ein Eindruck dominierte, teilten die Versuchspersonen diese Entscheidung per Knopfdruck mit. Dadurch konnten die Wissenschaftler die für die binokulare Rivalität benötigte Zeit messen.

Die Auswertungen der Experimente ergab, dass das Gehirn nicht schlagartig seine Entscheidung fällt. Vielmehr scheint sich das Umschalten zwischen den beiden Sinneseindrücken wellenartig durch das Gehirn fortzupflanzen. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass die Entscheidung über die binokulare Rivalität bereits in niedrigeren Hirnarealen, also vermutlich im primären visuellen Cortex, stattfindet. Die höheren Hirnzentren verarbeiten dann den Sinneseindruck, den der primäre visuelle Cortex für den wichtigeren erachtet. Wer Sieger des binokularen Wettstreits wird, bleibt damit unserer bewussten Kontrolle entzogen.

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