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News: Aus dem turbulenten Leben einer Napfschnecke

Wo heftige Wellen tosen und mit gewaltiger Kraft auf die Lebewesen in der Brandungszone niederschmettern, könnte man in Anlehnung an Darwin vermuten, dass im Laufe der Evolution nur Formen überleben konnten, die den Strömungen am wenigsten Widerstand leisteten. Doch die Napfschnecken, die selbst bei Wasserströmungen von bis zu 70 Kilometern pro Stunde noch unbeeindruckt Algen von der Felsoberfläche abraspeln, ordnen ihre Gehäuse nur zum Teil den strengen Bauvorschriften der Strömungsphysik unter. An Modellen errechnete ein Forscher unter diesen Bedingungen für Schneckengehäuse ein ideales Höhen-Längen-Verhältnis, das in der Natur jedoch nur selten vorkommt. Offensichtlich haften die Schnecken so stark am Untergrund, dass sie sich auch ein weniger schnittiges Haus leisten können.
Napfschnecken leben unter anderem in den Brandungszonen, einem der extremsten Lebensräume auf der Erde. Doch obwohl die heftigen Wellen mit Strömungsgeschwindigkeiten von bis zu 70 Kilometern pro Stunde an den geruhsamen Lebewesen zerren und drücken, grasen sie scheinbar unbeeindruckt die Algen auf den Felsen ab. Für die Anhänger von Darwin besteht kaum ein Zweifel: Nur die am besten angepasste Schnecke mit einer optimalen Gehäuseform konnte den ständigen Kampf mit den Wellen bestehen und den Bauplan für ihr Haus der nächsten Generation vererben.

Mark Denny von der Stanford University fand jedoch heraus, dass die konische Schale dieser Mollusken nicht ideal gebaut ist, um den unermüdlichen Brechern der Meere zu widerstehen. Seiner Ansicht nach nutzt der muskulöse Fuß der Schnecke winzige Unebenheiten der Felsoberfläche aus, um sich festzuklammern (Journal of Experimental Biology vom August 2000). In einem Windkanalexperiment untersuchte er an Modellen der Napfschnecke, wie sich hebende und ziehende Kräfte auswirken. Der Forscher konstruierte hierzu Nachbauten, die sieben verschiedene Formen und Größen repräsentierten. Einige waren eher flach und weniger als einen Zentimeter hoch mit einer breiten Basis, andere dagegen hatten eine Höhe von bis zu 3,64 Zentimetern und eine Basis von etwa fünf Zentimetern Durchmesser. Fünf Gehäuse waren symmetrisch mit einer zentrischen Spitze und zwei waren asymmetrisch mit einer exzentrischen Spitze. An diesen Modellen maß Denny die Verteilung des Druckes, der auf der jeweiligen Oberfläche wirkte. Bei den symmetrischen Modellen waren die kleinen, gedrungenen Gehäuse anfälliger für hebende Kräfte, und die höheren Formen konnten schneller seitwärts bewegt als angehoben werden. Der Wissenschaftler fand ein ideales Höhen-Längen-Verhältnis von 1 zu 1,06.

In der Natur kommen jedoch nur selten Napfschnecken mit diesen Dimensionen vor. Denny bestimmte das durchschnittliche Verhältnis von Höhe zu Breite der Gehäuse auf 0,68 – egal, auf welchem Kontinent die Schnecke lebte. Die Bandbreite der Radius-Höhen-Verhältnisse war gleichmäßig zwischen 0,37 bis 1,27 verteilt. Offenbar hatte sich die Form der Gehäuse nicht maßgeblich als Ergebnis des Selektionsdruckes auf Grund der Wellenkraft gebildet. Stattdessen nimmt der Forscher an, dass die Fähigkeit der Napfschnecken, fest an ihrem Untergrund zu haften, es ihr ermöglicht, den extremen Wasserkräften in ihrer ökologischen Nische zu widerstehen – auch ohne ein optimal an die Strömungen angepasstes Gehäuse.

"In solch einer extremen Umwelt war es vernünftig anzunehmen, dass die Gehäuseform sich entwickelt haben könnte, um ein Überleben zu ermöglichen, jedoch kam heraus, dass diese Annahme ziemlich weit von der Wirklichkeit entfernt ist," meint Denny. "Dasselbe kann man bei Seetang oder Insektenflügeln beobachten, bei denen die Form nicht der ausschlaggebende Faktor für das Überleben war."

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