Aus Langeweile: Kapuzineraffen entführen Brüllaffen-Babys

Unter männlichen Panama-Kapuzineraffen (Cebus imitator) auf der abgelegenen, unbewohnten Insel Jicarón hat sich ein seltsamer Trend entwickelt: Sie entführen Brüllaffen-Babys und tragen sie mit sich herum – ohne erkennbaren Nutzen und mit tödlichem Ausgang für die Jungtiere. Das rätselhafte Verhalten, das bislang noch nie bei wild lebenden Primaten beobachtet wurde, hat sich innerhalb von 15 Monaten unter jungen Männchen ausgebreitet. Ein Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie dokumentierte die Vorfälle mit rund 85 Kamerafallen und veröffentlichte die Ergebnisse in »Current Biology«.
2022 entdeckte das Team erstmals in einem Videoclip, wie ein Brüllaffe-Junges auf dem Rücken eines männlichen Kapuzineraffen saß. Weitere Aufnahmen zeigten, dass dies kein Einzelfall war: Das junge Männchen, das die Forscher »Joker« nannten, trug zu diversen Zeitpunkten vier verschiedene Brüllaffen-Babys mit sich herum – alle jünger als vier Wochen. Jokers ungewöhnliches Verhalten übernahmen mit der Zeit immer mehr Kapuziner-Männchen: Insgesamt konnte das Forschungsteam fünf Individuen beobachten, die elf Brüllaffen-Babys bis zu neun Tage lang auf ihrem Körper umhertrugen.
Zunächst vermuteten die Forscher, die Kapuzineraffen könnten die Jungtiere adoptiert haben. Solche Verhaltensweisen sind vor allem von weiblichen Primaten bekannt. Doch die Kapuzineraffen-Männchen zeigten keinerlei Fürsorge: Sie versorgten die Säuglinge weder mit Milch noch kümmerten sie sich aktiv um sie. Die Aufnahmen legen nahe, dass die Affen die Jungtiere ihren Eltern entrissen, da zu hören ist, wie diese nach ihrem Nachwuchs rufen. Zudem ist zu sehen, dass manche Brüllaffen-Babys versuchen zu entkommen, von den Männchen aber wieder eingefangen werden. Sie verletzen die Säuglinge zwar nicht, doch vier der Säuglinge starben laut den Aufnahmen. Das Forschungsteam geht davon aus, dass auch die übrigen Brüllaffen die Entführung nicht überlebten, da sie ohne Muttermilch keine Chance hatten.
Tödlicher Trend entstand aus Langeweile
Das Herumtragen der Jungtiere bringt für die Kapuzineraffen-Männchen keinerlei Nutzen, behindert sie sogar beim Fressen und Knacken von Nüssen. Auch soziale Anerkennung oder spielerische Motive schließen die Forscher aus. Doch warum tun die Affen es dann? Offenbar aus Langeweile, so die Autoren der Studie. Auf der Insel gibt es keine Raubtiere, ein großes Nahrungsangebot und nur wenige Konkurrenten, so dass die Tiere viel Zeit haben und wenig Beschäftigung. Diese Umstände fördern laut den Forschern kreatives Verhalten. Die Kapuzineraffen von Jicarón gehören zu den wenigen Wildtiergruppen, die gelernt haben, Steinwerkzeuge zu benutzen – ein Verhalten, das ebenfalls nur unter jungen Männchen verbreitet ist.
Der Zeitraum der Kameraaufzeichnungen erstreckte sich von Januar 2022 bis Juli 2023. »Die Zeitleiste erzählt uns die faszinierende Geschichte eines einzelnen Individuums, das ein zufälliges Verhalten begann, das zunehmend von anderen jungen Männchen übernommen wurde«, sagt Brendan Barrett, einer der beteiligten Forscher. Die Autoren beschreiben das Phänomen als kulturelle Modeerscheinung – ein Verhalten, das sich in einer Population durch soziales Lernen ausbreitet und keinen Nutzen haben muss. Ähnliche kuriose Trends zeigen auch andere Tiere: etwa Orkas, die tote Lachse auf dem Kopf balancieren, oder Schimpansen, die Grashalme als Accessoire im Ohr tragen. Die Brüllaffen auf Jicarón gehören zu den gefährdeten Arten. Sollte sich das Verhalten weiter ausbreiten, könnte das ihren Fortpflanzungserfolg zusätzlich bedrohen.
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