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Wassernotstand: Die Welt kriegt die Cholera nicht in den Griff

In New York tagt der UN-Wassergipfel - derweil breitet sich die Cholera aus. Auch ein Impfstoff stoppt die über schmutziges Wasser verbreitete Seuche nicht. Dabei gibt es ein sehr einfaches Gegenmittel.
Wasser steht in einer Straße zwischen ärmlichen Behausungen.
Nach Überschwemmungen oder in Regionen mit schlechter Wasserversorgung besteht die Gefahr, dass der Choleraerreger ins Trinkwasser gelangt.

Am Sitz der Vereinten Nationen in New York beschwören Regierungsvertreter aus aller Welt in dieser Woche bei einer großen Konferenz eines ihrer wichtigsten Ziele: Bis zum Jahr 2030 soll jeder Mensch Zugang zu sauberem Wasser haben. Es ist die zweite große »Wasser-Konferenz« der UN, die letzte fand 1977 statt. Schon immer zählte das grundlegende menschliche Bedürfnis, sauberes Wasser zu trinken, zu den obersten Prioritäten der Umwelt- und Entwicklungspolitik und aller UN-Strategien in diesem Bereich.

Doch auf dem afrikanischen Kontinent und in zahlreichen anderen Ländern passiert derzeit das Gegenteil. Ausgerechnet die Cholera, die bakterielle Krankheit, die wie keine mit verschmutztem Wasser in Verbindung steht, breitet sich wieder aus. Die Zahl der Menschen, die durch den Erreger Vibrio cholerae eine schwere Durchfallerkrankung bekommen, an der sie binnen Stunden einen leidvollen Tod sterben können, steigt schon seit 2021 wieder steil an.

»Eine Milliarde Menschen leben derzeit in akuten Cholera-Risikogebieten«, sagt Philippe Barboza, der bei Weltgesundheitsorganisation WHO die globalen Bemühungen im Kampf gegen die Seuche koordiniert. »Wir fürchten, dass es 2023 eine extrem große Zahl von Fällen und auch Todesfällen geben wird«, warnt Otim Patrick Ramdan, der bei der WHO für Gesundheitsnotstände in Afrika zuständig ist. Bis Mitte März sei eine Steigerung von 40 Prozent gegenüber demselben Zeitraum 2022 zu verzeichnen. Die WHO warnt, dass die Fallzahlen aus früheren Jahren – rund drei Millionen Erkrankungen und 100 000 Todesfälle – deutlich übertroffen werden könnten.

Cholera folgt den Naturkatastrophen

In Ländern wie Malawi und Mosambik erkrankten in den vergangenen Monaten ungewöhnliche viele Menschen an Cholera. Zyklon »Freddy«, der über Wochen hinweg gewütet hat, verschlimmerte die Lage noch. Der Sturm hat Menschen obdachlos gemacht, zu Überschwemmungen geführt und Brunnen sowie Wasserleitungen beschädigt. Der Erreger, der von Natur aus in Gewässern vorkommt, gelangt dadurch ins Trinkwasser. Erkrankte geben das Bakterium dann weiter. Wo es keine Toiletten mehr gibt, verrichten Infizierte ihre Notdurft irgendwo im Freien, wodurch späteres Trinkwasser mit den Fäkalien verunreinigt wird. Auch über Lebensmittel, die mit verunreinigtem Wasser gewaschen werden, kann sich die Krankheit verbreiten.

In Ostafrika sind nicht Überschwemmungen das Problem, sondern die seit Langem anhaltende Dürre. »Wassermangel führt dazu, dass Menschen auf verschmutzte Quellen angewiesen sind und sich dann infizieren«, sagt WHO-Experte Barboza. Normalerweise kommt und geht die Cholera in Afrika mit Regen- und Trockenzeiten. Regionale Epidemien, bei denen ein Großteil der Infizierten symptomlos bleibt, sollten zudem zu einer zumindest vorübergehenden Herdenimmunität führen. Doch zumindest der saisonale Rhythmus ist nun vielerorts unterbrochen. In Malawi etwa wütet die Krankheit seit mehr als einem Jahr ohne Unterlass. Barboza geht davon aus, dass der menschengemachte Klimawandel das Cholera-Risiko noch vergrößern wird.

Zur derzeitigen Cholera-Welle tragen auch bewaffnete Konflikte und Naturkatastrophen bei. In der syrischen Grenzregion zur Türkei kommt beides zusammen. Schon vor dem Erdbeben in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar hatte die WHO dort rund 40 000 Cholera-Fälle mit 20 Toten registriert. Das Erdbeben hat die Lage noch massiv verschlechtert. »Unter den aktuellen Hotspots sticht Syrien hervor, weil Cholera-Ausbrüche dort schon länger nicht mehr vorgekommen sind«, sagt die Epidemiologin Christina Frank vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.

Es gibt eine Impfung – aber die reicht nicht

Eigentlich ist die Cholera gut behandelbar und heilbar. »Wir kennen die Ursachen von Cholera und die nötigen Gegenmaßnahmen bei Infektionen schon lange bestens«, sagt Frank. Dazu beigetragen hat auch der Namensgeber des RKI, der 1892 bei der letzten großen Cholera-Epidemie in Hamburg herbeigerufen wurde und mit Erfolg Hygienemaßnahmen bei der Wasserversorgung durchsetzte.

Zwei Jahre später entwickelte der katalanische Arzt Jaume Ferran i Clua einen Lebendimpfstoff, der in leicht abgewandelter Form seither dort verabreicht wird, wo Ausbrüche gemeldet werden. Das so genannte »reaktive Impfen« in Krankheitsherden hat schon ungezählten Menschen das Leben gerettet. Auch bei akuten Erkrankten ist glasklar, was zu tun ist. »Sie müssen möglichst schnell mit sauberem Wasser und Elektrolyten versorgt werden, so dass sie nicht durch die Durchfälle austrocknen«, sagt Frank. Nur selten brauche es zusätzlich Antibiotika oder Infusionen. Frühzeitig behandelt, sei die Cholera »fast nie tödlich«.

Cholera-Impfung | Der Cholera-Impfstoff wirkt nur für eine gewisse Zeit, deswegen setzt man ihn ein, um Ausbrüche einzudämmen. Hier wird gerade ein Kind in Nordsyrien geimpft, wo sich nach dem Erdbeben die Cholera weiter zu verbreiten droht.

Die aktuelle Cholera-Welle zeigt aber auf, dass derzeit weder Vorbeugung noch die Notreaktion so funktionieren, wie die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedsstaaten dies eigentlich längst garantieren wollen. Es gelingt nicht einmal, selbst die simpelsten Hilfsmittel wie Elektrolytlösungen oder Tabletten zur Wasserdesinfektion in ausreichender Mange dorthin zu bringen, wo die Menschen sie brauchen. Beim Impfmittel sei der Bedarf um ein Vielfaches höher als die Produktion, kritisiert die WHO, der es noch nicht gelungen ist, die nötigen Finanzmittel und Herstellerzusagen für eine Impf-Offensive zu mobilisieren. »Je mehr Cholera-Ausbrüche es gleichzeitig gibt, desto schlechter können WHO und die Hilfsorganisationen reagieren, weil sie auch nur begrenzte Ressourcen haben«, sagt RKI-Expertin Frank. Regional, etwa in Kenia, wurden auch schon Choleraerreger gefunden, die resistent gegen gängige Antibiotika sind.

In 14 Ländern flammte die Seuche 2022 neu wieder auf, darunter auch im Karibikstaat Haiti, wo bereits zwischen 2010 und 2019 rund 820 000 Menschen erkrankten und fast 10 000 starben, nachdem ausgerechnet durch UN-Blauhelmsoldaten kontaminierte Fäkalien ins Wasser gelangt waren. Seit dem Wiederauftreten der Krankheit im Oktober 2022 wurden bis Ende Februar rund 2400 Erkrankungen und knapp 600 Todesfälle registriert, dazu kamen zusätzlich knapp 31 000 Verdachtsfälle.

Cholera wird tödlicher

Am alarmierendsten finden die Fachleute der WHO, dass der Anteil der tödlichen Verläufe in vielen Ländern wieder deutlich gestiegen ist. »Nachdem es uns seit 2015 gelungen war, den Anteil der Sterbefälle in den meisten Jahren unter die Schwelle von einem Prozent zu drücken, sind wir nun wieder bei bis zwei und in Afrika bei bis zu drei Prozent«, beklagt Krisenkoordinator Barboza.

Wenn infizierte Menschen unbehandelt bleiben, ist das Risiko, zu sterben, enorm hoch. Der Körper verliert dann in kürzester Zeit so viel Flüssigkeit, dass Stoffwechsel und Organe durch die innere Austrocknung ihre Dienste versagen. WHO-Experten erkennen in allen betroffenen Ländern ähnliche Muster. Zum einen habe die Covid-Pandemie auch in vielen Entwicklungsländern die Arztpraxen, Krankenhäuser und Kliniken über Maßen beansprucht, häufig fehle nun das Personal. Zum anderen häuften sich in jüngerer Zeit klimatische Extremereignisse wie Stürme und Dürren, Naturkatastrophen und auch bewaffnete Konflikte auf gefährliche Weise. Es geht sogar die Angst um, dass die Cholera in der Ukraine zuschlagen könnte.

Für Menschen in reichen Ländern ist es selbstverständlich, dass sauberes Trinkwasser fließt, wenn sie den Wasserhahn aufdrehen. Doch zur Wasserkonferenz in New York mussten sich die fast 200 Mitgliedsstaaten eingestehen, dass sie dieses Menschenrecht in weiten Teilen der Welt noch nicht einlösen können. »Trotz der Fortschritte war 2020 fast die Hälfte der Weltbevölkerung, nämlich 3,6 Milliarden Menschen, auf sanitäre Einrichtungen angewiesen, in denen Fäkalien unbehandelt blieben«, heißt es in einer Vorlage für die Konferenz. Schätzungsweise 494 Millionen Menschen verrichteten ihre Notdurft im Freien, mit dem größten Risiko für die Ärmsten der Armen in ländlichen Regionen und für indigene Völker.

In einem sind sich Fachleute einig: Obwohl es einen einigermaßen effektiven Impfstoff gibt, wird dieser nicht die Lösung des Cholera-Problems sein. »Wir werden Cholera nicht mit dem Vakzin kontrollieren können«, sagt WHO-Koordinator Barboza. Der Grund dafür ist, dass eine flächendeckende Infrastruktur nötig wäre, um das oral eingenommene Impfmittel in regelmäßigen Abständen an mehr als eine Milliarde Menschen in armen Ländern zu verteilen. Im Gegensatz zu anderen Impfmitteln entsteht bei der Cholera-Impfung nämlich keine dauerhaft Immunität, es braucht also regelmäßige Auffrischungen. Deshalb hat man sich darauf verständigt, den Impfstoff immer dort geballt zu verabreichen, wo ein Ausbruch gemeldet wird. Wenigstens das müsste in Zukunft wieder reibungslos funktionieren, damit sich die Krankheit nicht unkontrolliert ausbreiten kann.

Es gibt nur ein Gegenmittel

Doch auch mit der besten Impfstrategie könnte man die Cholera nicht ausrotten, wie man das beim Pocken-Virus geschafft hat. Denn das Bakterium Vibrio cholerae ist in der Natur weit verbreitet, es kommt wie die gesamte Gruppe der so genannten Vibrionen in einer Vielzahl von Gewässern vor, sofern diese einigermaßen warm sind und einen gewissen Gehalt an Salzen haben.

Auch andere Strategien garantieren nicht den gewünschten Erfolg. Gerne wird in Cholera-Regionen etwa empfohlen, die Hände intensiv zu waschen und Wasser vor dem Trinken abzukochen. »Maßnahmen wie Händewaschen oder Abkochen kommen aber dann an ihre Grenzen, wenn es keine Seife oder kein Feuerholz gibt«, sagt RKI-Expertin Christina Frank.

Fachleute sind sich einig, dass es eigentlich nur einen Weg gibt, die Cholera dauerhaft und verlässlich in Schach zu halten: »Regierungen müssen jetzt Investitionen in eine sichere Wasserversorgung und Entsorgung die höchste Priorität geben«, sagt der Cholera-Forscher Samuel Kariuki, Direktor für Forschung und Entwicklung am Kenya Medical Research Institute, dem führenden Zentrum für Gesundheitsforschung in dem ostafrikanischen Land. Dazu gehöre, Wasserleitungen zu bauen, die saubere Reservoirs anzapfen, überall Toiletten zur Verfügung zu stellen sowie Kläranlagen samt sicheren Zu- und Ableitungen zu errichten. Zumindest müssten Regierungen in jeder Gemeinde Abgabestellen für sauberes Wasser anbieten und dort, wo es kein Abwassersystem gibt, Fäkalien in Containern einsammeln und entsorgen.

»Was man gegen die Cholera machen kann, ist schlicht und einfach sicheres Trinkwasser, sicheres Trinkwasser, sicheres Trinkwasser«, sagt Christina Frank. Sie hält es angesichts der brutalen Rückkehr der Cholera für sinnvoll, dass auch die Bundesregierung weltweit in Wasser-Infrastruktur investiert und Staaten ihre Zuwendungen an die WHO für die Bekämpfung der Seuche steigern.

Denn damit wirklich bis zum Jahr 2030 jeder Mensch Zugang zu sauberem Wasser hat, wie es die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen vorsehen und es in New York bei der »Wasser-Konferenz« nun vielfach erneut versprochen wird, sind gigantische Investitionen nötig. »Die reichen Länder haben sich schon vor langer Zeit damit von der Cholera befreit«, sagt WHO-Experte Barboza. »Jetzt muss dasselbe in den ärmeren Ländern gelingen, um Millionen Menschen vor einer schweren Krankheit und Todesgefahr zu bewahren.«

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