Lazarus-Effekt: Ausgestorben geglaubte Heuschrecke nach 40 Jahren wiederentdeckt

Es gehört wohl zu den aufregendsten Momenten im Leben eines Biologen: eine Art wiederzuentdecken, die längst als verloren und ausgestorben galt. Das ist dem niederländischen Insektenforscher Rob Felix und seiner Kollegin Annelies Jacobs im Urlaub auf den Kapverdischen Inseln vor der Westküste Afrikas passiert. Während einer Nachtwanderung auf São Nicolau stolperten sie plötzlich über eine Heuschrecke. Ihr einzigartiges Aussehen ließ bei Felix direkt die Alarmglocken läuten. Und tatsächlich: Es handelte sich um die extrem seltene Monte-Gordo-Heuschrecke (Eyprepocprifas insularis), die zuletzt im Jahr 1980 gesichtet und deshalb im Jahr 1996 für ausgestorben erklärt worden war. In den folgenden Tagen fanden Felix und Jacobs weitere Exemplare. »E. insularis scheint schon sehr lange dort zu leben und hat den harten ökologischen Bedingungen widerstanden«, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit, die im »Journal of Orthoptera Research« veröffentlicht wurde.
Wenn eine ausgestorbene Art wiederentdeckt wird, sprechen Biologen und Paläontologen auch vom Lazarus-Effekt: angelehnt an die biblische Erzählung, in der Jesus den toten Lazarus zum Leben erweckt. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es mitunter schmerzhaft, zu dem Schluss zu kommen, dass eine Art für immer verloren ist. Daher erklären sie eine Art, die mehr als zehn Jahre lang nicht offiziell gesichtet wird, manchmal einfach für vorübergehend »verschollen« oder »vermisst« – in der Hoffnung, dass sie irgendwann wiedergefunden wird –, anstatt sie ganz aufzugeben. Im Jahr 2023 führte diese Hoffnung zur Wiederentdeckung von Tieren wie dem Attenborough-Langschnabeligel (Zaglossus attenboroughi), dem in Südafrika lebenden De Wintons Goldmull (Cryptochloris wintoni) und der mehr als 60 Jahre lang verschollenen Bayerischen Kurzohrmaus (Microtus bavaricus).
Die auf der Insel São Nicolau beheimatete Monte-Gordo-Heuschrecke ist ein »lebendes Fossil«; das bedeutet, dass sie sich seit Millionen von Jahren nicht wesentlich weiterentwickelt und nur wenige oder keine lebenden Verwandten hat. Die Art ist kurzflügelig und damit flugunfähig, was möglicherweise eine Anpassung an die rauen Umweltbedingungen auf der Insel vulkanischen Ursprungs darstellt. Ihre nur auf die Insel beschränkte Verbreitung in Verbindung mit ihren einzigartigen physiologischen Merkmalen und dem Fehlen naher Verwandter macht die Art wertvoll für die evolutionsbiologische, die ökologische und die Biodiversitätsforschung.
Die Widerstandsfähigkeit von E. insularis zeigt auch, dass die Art in der Lage ist, dem starken ökologischen Druck standzuhalten, dem die Inselwelt von Kap Verde ausgesetzt ist. Die Tiere überstehen Zeiten intensiver Trockenheit sowie starke Winde, die neue Arten vom afrikanischen Kontinent herüberwehen können. Wie sich die Heuschrecke in Verhalten, Stoffwechsel und Fortpflanzungsökologie an diese Bedingungen angepasst hat, ist noch ungeklärt. Rob Felix und Annelies Jacobs plädieren dafür, die Art in die Rote Liste aufzunehmen und ein langfristiges Überwachungsprogramm einzurichten, um die Populationsdynamik der Art zu verfolgen, Umweltbedrohungen zu beurteilen und die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zu bewerten.
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