News: Ausländerkinder in der Schule werden oft unterschätzt
Die seit 1980 verstärkte Zunahme von Ausländerkindern in Sonderklassen lässt sich nicht allein mit einer steigenden Einwanderung, sprachlichen Defiziten, kultureller Differenz oder individuellen Schwächen erklären. Immigrantenkinder mit gleicher Leistung und Intelligenz wie Schweizer Kinder werden von vielen Lehrpersonen generell tiefer eingeschätzt – was ihre Lernergebnisse negativ beeinflussen kann. Dagegen machen Kinder, die adäquat eingeschätzt oder überschätzt werden, meistens deutlich grössere Lernfortschritte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ausländerkind eine Sonderschule besuchen muss, liegt in einigen Kantonen weit höher als in anderen – im Aargau etwa fast achtmal höher als in Genf oder dreimal so hoch wie in Freiburg. Damit droht die scheinbar objektive Grenze zwischen normalen Klassen und Sonderklassen willkürlich zu werden. Die Schweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz empfiehlt seit Jahren nachdrücklich die Integration von Ausländerkindern.
Die Studie stellt große Schwankungen bei den Überweisungen von ethnischen Gruppen in Sonderklassen fest. Noch Mitte der 80er-Jahre galten Kinder aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien als unproblematisch, während Kinder mit italienischen Eltern fast doppelt so häufig in Sonderklassen eingewiesen wurden. Dieses Verhältnis hat sich heute drastisch zu Ungunsten der Kinder aus Ex-Jugoslawien verändert. Dennoch konnten die Forscher keine generelle Schulschwäche und keine besondere Problematik in der sozialen Integration dieser Kinder finden.
Immigrantenkinder lernen in normalen Klassen in der Regel schneller und besser Deutsch als in Kleinklassen oder in speziellen Fremdsprachenklassen. Dies konnte für Kinder mit vergleichbarer Intelligenz und sprachlicher Ausgangsleistung nachgewiesen werden. Zwar ist in den speziellen Klassen die Betreuung durch Lehrpersonen möglicherweise intensiver, dafür erhalten Ausländerkinder dort von den Mitschülern weniger Anreize zum Deutsch Lernen. Die Forscher beobachteten, dass an einzelnen Orten Immigrantenkinder in Deutschkurse für fremdsprachige Kinder geschickt wurden, deren Sprachleistungen in Deutsch besser waren als bei 80 Prozent sämtlicher – also schweizerischer und ausländischer – Schülerinnen und Schüler.
Schweizer Kinder in Schulklassen mit bis zu acht leistungsschwachen (und einigen begabten) Immigrantenkindern zeigen die gleichen Lernfortschritte wie in Klassen ohne schwache Ausländerkinder. Die Entwicklung von normal oder überdurchschnittlich begabten Schweizer Schulkindern wird also durch Ausländerkinder nicht gebremst. Für die wenigen Klassen mit nur zwei bis drei Schweizer Kindern sind als Sonderfälle spezielle Lösungen zu finden. Das Forscherteam nennt einen Aspekt, unter dem die Angst vor einer Benachteiligung der Schweizer Kinder eine überraschende Wendung bekommt: Je mehr Immigrantenkinder am Bildungssystem teilnehmen, desto mehr steigen die Chancen der Schweizer Kinder, später dank höherer Schulbildung beruflich aufzusteigen. Dieses Phänomen, in der Soziologie als Unterschichtung bekannt, war erstmals in den 70er-Jahren im Arbeitsmarkt beobachtet worden.
Unabhängig von der Schulform sind Kinder ohne Schweizer Pass sehr oft ungenügend in die Klassen integriert. Sie zählen sowohl in den Sonderklassen als auch in den Regelklassen eher zu den Außenseitern – selbst bei gleicher Intelligenz und Leistungsfähigkeit wie ihre Schweizer Klassenkameraden. Die Integration von Ausländerkindern verbessert sich in Sonderklassen nicht. Die Forscher beobachteten grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Schulklassen, sowohl in punkto Leistungen als auch soziale Integration.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 5.5.2000
"Integration läuft über Sprache"
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