Direkt zum Inhalt

Sonnensystem: Außen knusprig, innen weich?

Warum in die Ferne schauen, wenn das Rätsel liegt so nah? Der innerste Planet unseres Sonnensystems birgt beispielsweise ein rund 30 Jahre altes Geheimnis: Er hat ein Magnetfeld, obwohl sein Inneres erstarrt sein dürfte. Oder ist es das etwa nicht?
Merkur
Der Merkur galt als langweilig. Ein Gesteinsbrocken, dicht an der Sonne, aber so klein, dass er in den Jahrmilliarden seit seiner Entstehung völlig durchgetrocknet und vom Meteoritenregen zernarbt sein musste. Mehr nicht. Allenfalls noch winzige Spuren von Wassereis in den versteckten Abgründen der allertiefsten Krater, wohin niemals ein Sonnenstrahl fällt. Doch so etwas könnte selbst der Erdmond haben. Kein Grund also für gesteigertes Interesse, zumal es doch noch Venus und Merkur gibt, die so viel spannender sind. Gerade einmal eine einzige Sonde spendierten die Planetenforscher darum dem Merkur.

Von da an galt er nicht mehr als langweilig. Eher als rätselhaft. Denn die Raumsonde Mariner 10 sandte bei ihren drei Vorbeiflügen in den Jahren 1974 und 1975 neben den erwarteten Bildern zerklüfteter Wüstenlandschaften verblüffende Zusatzdaten. Danach hat der Merkur etwas, was auch die Erde hat, dafür Mond, Venus und Mars fehlt – ein Magnetfeld, das aus seinem Inneren stammt.

Blick in den Merkur | Ein Aufrissschema des Planeten Merkur: Wie weit der anscheinend doch flüssige Teil des Kerns nach außen reicht, ist noch nicht bekannt.
Nun entstehen planetare Magnetfelder vornehmlich durch elektrisch leitfähige Schmelzen in einem äußeren Kern, gewissermaßen als Nebeneffekt dieses "Geo"dynamos. Doch ausgerechnet jene fließenden Ströme sollte der Merkur ja eigentlich nicht mehr besitzen und somit kein Magnetfeld. Das Magnetfeld war aber eben da – und darum stand die Wissenschaft vor dem Problem, das war, was nicht sein konnte.

Die Forscher erdachten in den folgenden Jahrzehnten allerlei Theorien und Szenarien, um die Existenz dieses merkwürdigen Magnetfeldes zu erklären, das immerhin ein Prozent der Stärke des irdischen Feldes erreicht. Das Spektrum reichte dabei von einem "eingefrorenen" Magnetfeld aus früherer Zeit bis hin zu einem doch noch flüssigen Kern, der dank einer speziellen Legierung bis zum heutigen Tag nicht erstarrt ist. So unterschiedlich diese Modelle auch waren, sie hatten ein gemeinsames Problem: Über den Merkur ist so wenig bekannt, dass im Prinzip alles oder nichts möglich sein konnte.

Bis sich ein Team von Wissenschaftlern um Jean-Luc Margot von der US-amerikanischen Cornell-Universität in Ithaca den Merkur genauer betrachtete. Nicht mit einer Sonde, sondern von der Erde aus – und zwar mit drei großen Radioteleskopen, die über 3000 Kilometer voneinander entfernt standen. Durch eines davon schickten sie ein gebündeltes Signal zum Merkur und fingen mit allen dreien das Echo auf. Peinlich darauf bedacht, auch ja den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Denn nur wenn sie ein Zeitfenster von 20 Sekunden einhielten, waren die Daten verwendbar.

Der Grund für diese erzwungene Präzision liegt an der Oberfläche des Planeten. Hier werden die Radarstrahlen reflektiert. Allerdings nicht wie von einem glatten Spiegel, sondern wegen der rauen Beschaffenheit eher wie von einer zur Kugel geknüllten Alufolie. Das Auf und Ab wirft die Radarwellen wie ein Sprenkelmuster zurück. Ein sehr charakteristisches Muster, dem die Astronomen ihre ganze Aufmerksamkeit schenkten. Denn mit seiner Hilfe konnten sie die Umdrehungszeit des Planeten sehr genau vermessen. Inklusive aller Schwankungen.

Fernmessung mit Radar | Bei der Radar-Speckle-Interferometrie wird ein starker Radarstrahl von der Erde auf den Merkur gerichtet (gelbe Linie) und das Echo mit seinem charakteristischen Muster (rote Linien) an verschiedenen Stellen aufgefangen. Aus der Zeitverzögerung zwischen den eingehenden Signalen an verschiedenen Erdpunkten kann auf die Rotationszeit des Merkur geschlossen werden.
Auf jene Unregelmäßigkeiten kam es Margot und seinen Kollegen an. Denn der Umlauf des Merkur um die Sonne und seine Eigendrehung sind so gekoppelt, dass zwei Merkurjahre drei Merkurtagen entsprechen. In diesem Zyklus steckten jedoch winzige Abweichungen, die sich in den Radarmessungen verrieten: Der Planet "eierte". Ein wenig nur, aber immerhin so viel, dass dieses "Eiern" nur dann zu verstehen ist, wenn sein Kern tatsächlich noch teilweise flüssig ist. Ganz ähnlich wie bei einem richtigen Ei, dass man auf der Tischplatte rotieren lässt und kurz mit dem Finger stoppt. Ist es hartgekocht, bleibt es ruhig liegen. Ist es roh, wabert die Flüssigkeit im Inneren weiter, und das Ei setzt seine Drehung fort.

Für den Planeten Merkur ergab der Eiertest mit Radarstrahlen, dass sein äußerer Kern höchstwahrscheinlich flüssig ist. Damit könnte er durchaus einen "Geo"dynamo antreiben und das rätselhafte Magnetfeld erzeugen. Wie mächtig diese Schicht ist, lässt sich aus den Daten aber nicht ablesen. Auch ihre Zusammensetzung ist nicht ganz klar. Vermutlich hat ein leichteres Element, eventuell Schwefel, sich mit dem Eisen gemischt und dessen Erstarrungspunkt heraufgesetzt. Doch um diese Fragen zu beantworten, fehlen weiterhin verlässliche Messdaten.

Die sollen in den folgenden Jahren zwei neue Raumsonden liefern. Bereits im August 2004 hat die Nasa ihre Messenger losgeschickt, die im kommenden Januar zum ersten Mal am Merkur vorbeifliegen wird und ihn ab 2011 in einer Umlaufbahn umrunden soll. Ihr werden im Jahr 2019 die beiden Schwestersonden der europäisch-japanischen Mission BepiColombo nachfolgen. Endlich also wieder Besuch für den gar nicht langweiligen Brocken.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.