Direkt zum Inhalt

Kinder und Covid-19: »Unsere Ergebnisse sind sehr zuverlässig«

In Baden-Württemberg stecken sich Kinder seltener mit Sars-CoV-2 an als Erwachsene. Ob das deutschlandweit gilt, sei herauszufinden, sagt Studienautor Georg Hoffmann im Interview.
Kinder in Baden-Württemberg haben sich zumindest bisher nicht so häufig mit Sars-CoV-2 angesteckt wie Erwachsene.

Kindern unter zehn Jahren erkranken wohl seltener an Covid-19 als Erwachsene. Das geht aus den vorläufigen Ergebnissen einer Studie zum Coronavirus hervor, die das beteiligte Forscherteam am 16. Juni 2020 vorgestellt hat. Georg Hoffmann ist einer der fünf Autoren. Im Interview mit »Spektrum« spricht er über die Aussagekraft der Studie und nötige nächste Schritte bei der Öffnung von Kitas und Schulen.

»Spektrum.de«: Die Leitfrage Ihrer Studie ist: Welche Rolle spielen Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2? Können Ihre vorläufigen Ergebnisse diese Frage beantworten?

Georg Hoffmann: Es steht fest, dass sich Kinder in Baden-Württemberg zumindest bisher nicht so häufig angesteckt haben wie Erwachsene. Unter den Bedingungen des Lockdowns haben die Kleinen weniger Antikörper gebildet als ihre erwachsenen Familienmitglieder. Wie infektiös sie waren und wen sie alles infiziert haben, haben wir nicht untersucht.

Insgesamt gab es am letzten Tag Ihrer Erhebung laut Robert Koch-Institut insgesamt 33 851 laborbestätigte Fälle von Covid-19 in Baden-Württemberg. Das entspricht einem Anteil von 0,3 Prozent der Bevölkerung. Sie haben dagegen bei 1,3 Prozent Ihrer Probanden Antikörper gegen das Coronavirus gefunden. Hat Sie das überrascht?

Überrascht hat mich, dass die Prävalenz von Covid-19 insgesamt so niedrig ist. In der Heinsberg-Studie zum Beispiel war ja von bis zu 15 Prozent Seropositiven die Rede – also Personen, die man mit Hilfe gezielter Untersuchungen aufgespürt hat. Unsere Ergebnisse sind sehr zuverlässig. Wir haben alle positiven Antikörper-Test teils mehrfach mit weiteren Tests validiert. Das hat die Wahrscheinlichkeit von Menschen, die falsch positiv getestet wurden, erheblich reduziert.

Georg Hoffmann | Als geschäftsführender Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg leitet Georg Hoffmann die Klinik Kinderheilkunde I. Zudem ist er unter anderem Vorsitzender des Zentrums für Seltene Erkrankungen und Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Könnten Ihre Zahlen auch auf eine Verzerrung in der Stichprobe zurückzuführen sein? Haben vielleicht eher Menschen teilgenommen, die an sich selbst oder ihren Kindern Symptome bemerkt hatten und deswegen wissen wollten, ob sie sich angesteckt hatten?

Wir haben keine reine zufällige Stichprobe gehabt. Das stimmt. Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, hat aber nicht der Verdacht, dass sie schon einmal infiziert gewesen waren und der Wunsch zu wissen, ob sie selbst Antikörper haben, motiviert, sondern eine Begeisterung und Faszination für die Studie und der Wunsch etwas zur Forschung an Covid19 beitragen zu könne. Es wollten sogar Leute aus Berlin anreisen. Es gab einen riesen Run. Wir hatten gleich am ersten Tag fast 2000 Anfragen für die Studienteilnahme.

»Kinder zwischen null und eins sind natürlich auch spannend. Aber die gehen in der Regel nicht in die Kita«

Sie und Ihr Team haben immer nur ein Elternteil und Kind pro Haushalt eingeladen. Wurden so nicht womöglich einige Infektionen übersehen?

Ganze Haushalte zu testen, wäre zwar aussagekräftiger gewesen. Aber es musste schnell gehen. Die Überlegung war, dass wir in unseren vier großen Unikliniken gute Ambulanz-Kapazitäten haben. Die Ambulanzen waren fast leer, weil alles runtergefahren worden war. Wegen dieser Bedingungen haben dann unsere vier Unikliniken die Mittel vom Land bekommen, um die Prävalenz von Covid-19 in Baden-Württemberg zu untersuchen.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Der Plan war, erst einmal 2000 Kinder zu testen und dazu 2000 korrespondierende Erwachsene aus demselben Haushalt, damit wir zu möglichst vielen Kita- und Schulkindern eine Aussage treffen konnten. Das Studienteam hat sich darauf geeinigt, nur die Kinder zu nehmen, die zwischen einem und zehn Jahre alt sind. Kinder zwischen null und eins sind natürlich auch spannend. Aber die gehen in der Regel nicht in der Kita. Und ja: Es wäre interessant gewesen, in denselben Haushalten zu gucken, wie es bei Kindern über 10 aussieht. Aber das war eben auf Grund der zeitlichen und finanziellen Komponente nicht möglich.

Sie berichten von 19 Kindern und 45 Erwachsenen mit IgG-, IgA und IgM-Antikörper-Nachweis. Demnach läge die Chance von Kindern, sich zu infizieren, bei nur 42 Prozent im Vergleich zu Erwachsenen. Das passt gut zu Haushaltsstudien aus Israel und China, die ebenfalls während eines Lockdowns stattfanden. Allerdings scheinen die Zahlen der positiv Getesteten im Vergleich zur Größe der Stichprobe sehr gering – 2466 Kinder und noch mal so viele Erwachsene. Sind solche Unterschiede überhaupt aussagekräftig?

Der Unterschied zwischen Eltern und Kindern ist zumindest statistisch signifikant. Wir arbeiten mit Epidemiologen und Statistikern die Feinheiten noch aus, welches die richtigen Hypothesen-Tests sind. Aber die Zahlen sind so, wie sie da stehen. Wenn wir kleine Gruppen testen, sind es eben kleine Gruppen. Außerdem hatten Kinder bisher in den meisten Studien niedrigere Infektionsraten als Erwachsene, zum Beispiel in der von Zhang und Kollegen aus Schanghai oder der Preprint-Studie von Dattner und dem Team aus Israel. Es wird spannend zu sehen, wie es in anderen Bundesländern aussieht. Und – das ist die Hoffnung – ob sich dann bestätigt, dass sich Kinder deutschlandweit tatsächlich seltener infizieren.

Die Frage haben Sie also nicht abschließend beantwortet?

Nein, wir haben nur die Situation wiedergeben, wie Sie momentan in Baden-Württemberg ist.

»Die Ergebnisse reichen nicht aus, um eindeutig zu sagen, dass Covid-19 kaum etwas mit Kindern zu tun hat«

Sie berichten auch, dass unter den 45 Haushalten mit seropositivem Erwachsenen nur in 13 Fällen auch das Kind seropositiv war. Umgekehrt aber, dass in den 19 Haushalten, wo das Kind positiv war, in 13 Fällen der Erwachsene ebenfalls infiziert war. Das wirkt erstmal so, als würden Kinder sich seltener infizieren als Erwachsene.

Ja, aber es könnte auch sein, dass die Erwachsenen eher Infektionen in den Haushalt eingeschleppt haben, zum Beispiel weil sie Skifahren oder auf Geschäftsreisen waren, weniger verreist waren. Erwachsene hatten so womöglich eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, als die Kinder und haben es entsprechend getan.

Spricht dann nun bloß noch wenig dagegen, die Kitas wieder ganz zu öffnen?

Die Ergebnisse reichen nicht aus, um eindeutig zu sagen, dass Covid-19 kaum etwas mit Kindern zu tun hat und man sich überhaupt keine Sorgen zu machen braucht. Es gibt aber wie gesagt viele Publikationen, die nahelegen, dass Kinder sich weniger häufig infizieren als Erwachsene. Wenn man dann eigene Zahlen hat, hat, die ins Gesamtbild passen, ist das zwar wissenschaftlich noch immer nicht stark. Aber für politische Entscheidungen ist es zumindest eine Unterfütterung.

Und was wären Ihre Empfehlungen?

In Kitas und Schulen haben Kinder täglich viele persönliche Kontakte. Somit können sie deutlich mehr Personen anstecken, als wenn sie daheim bleiben. Das ist keine ungefährliche Situation. Aber es scheint der bisherigen Datenlage nach eben nicht extrem gefährlich. Unsere Ergebnisse mögen die Öffnung nicht freigeben, auf der Basis spricht jedoch auch nichts klar dagegen. Im Fall Grippe wäre das ganz anders. Bei der klassischen Grippe sind Kinder richtige Infektschleudern. Bei Covid-19 sieht man das in unseren Daten nicht. Es wird wahrscheinlich Ausbrüche geben, auch in Kitas und Schulen. Um sie früh zu erkennen und zu unterbrechen, braucht es jetzt eine klare Test-Strategie, zum Beispiel mit regelmäßigen Pooling-Tests für jede Kita-Gruppe. Eine gut ausgearbeitete Überwachung ist jetzt am wichtigsten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.