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News: Barthaare weisen Seehunden den Weg

Mit ihren Barthaaren können Robben sich in trüben Gewässern orientieren: Sie sind in der Lage, winzige Wasserbewegungen, die von bewegten Körpern unter Wasser ausgehen, über Distanzen bis zu 40 Metern zu verfolgen. Diese erstaunliche Fähigkeit der marinen Säugetiere wiesen deutsche Biologen jetzt in Verhaltensexperimenten nach.
Ebenso wie andere marine Säuger leben Robben häufig in Gewässern, in denen die Sicht durch Dunkelheit oder Trübung begrenzt ist. Während Zahnwale diese Einschränkung in der Sichtweite offensichtlich durch aktive Echoortung als Fernerkundungssystem kompensieren können, konnten Wissenschaftler diese Fähigkeit bei Robben trotz intensiver Studien nie nachweisen; sie nahmen bisher an, dass Seehunde und Seelöwen sich neben dem begrenzten Einsatz ihrer Augen hauptsächlich durch ihr passives Gehör in den Ozeanen orientieren und Beute machen.

Allein auf Augen und Ohren beschränken sie sich jedoch nicht: Sie nutzen zur Ortung bewegter Objekte unter Wasser ihre Barthaare. Mit diesen so genannten Vibrissen können sie – ähnlich wie Fische mit ihrem Seitenliniensystem – Wasserbewegungen in der Größenordnung von weniger als einem Tausendstel Millimeter wahrnehmen. Solche Wasserbewegungen, die etwa von den Schwimmbewegungen eines Fisches ausgehen, manifestieren sich als stabile hydrodynamische Spuren; ihre Form ist die von strickleiterartig angeordneten, gegenläufigen Wirbeln. "Die Strömungsspur eines Goldfischs lässt sich selbst mit relativ einfachen Methoden im Labor noch nach fünf Minuten nachweisen", erklärt Horst Bleckmann von der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Der Nachweis dieser Fähigkeit gelang den Forschern in Verhaltensexperimenten mit zwei Seehunden. Ein autonom laufendes Mini-U-Boot, das in ihrer Nähe gestartet wurde, erzeugte hydrodynamische Spuren, sowohl gerade als auch welche mit Kurven. "Wir stationierten die Versuchstiere zunächst in einem Ring über Wasser. Damit sie das U-Boot weder sehen noch hören konnten, setzten wir ihnen undurchsichtige Strumpfmasken und Kopfhörer auf", erläutert Guido Dehnhardt von der Ruhr-Universität Bochum den Versuchsablauf.

Nachdem das U-Boot einige Sekunden lang auf einem nicht vorhersehbaren Kurs gefahren war, schaltete es sich ab und trieb lautlos im Wasser. Das Absetzen der Kopfhörer war für die Seehunde das Startsignal. Immer noch mit der Maske geblendet, verließen sie den Stationierungsring, tauchten langsam ab und suchten nach der Spur des U-Boots. Sobald sie diese kreuzten, zeigte ein deutlicher Richtungswechsel in ihrem Schwimmverhalten, dass sie die Spur gefunden hatten und ihr jetzt folgten.

"Analysen von Video-Aufnahmen bestätigen, dass die Tiere die Richtung des U-Boots stets richtig bestimmten und jede kleine Kursänderung genau verfolgten", so Dehnhardt. "Lief dagegen der Motor des U-Boots noch, wenn den Robben die Kopfhörer abgenommen wurden, orientierten sie sich am Klang und schwammen direkt auf die Schallquelle zu", erklärt Bleckmann. "Die Orientierung erfolgt in der Realität multimodal, also mit den Ohren, der Nase und den Vibrissen."

Dehnhardt und Bleckmann sind überzeugt, dass die Entdeckung der Forschung neue Impulse geben wird: "Unsere Versuche zur Verfolgung hydrodynamischer Spuren demonstrieren ein völlig neues Orientierungssystem für den aquatischen Lebensraum. Die Nutzung einer bisher unvermuteten Sinnesqualität zur Orientierung mariner Säuger öffnet damit die Tür zu einem sehr spannenden Forschungsfeld."

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  • Quellen
Science 293: 102–104 (2001)
Ruhr-Universität Bochum

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