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Gesetzgebung: Basler Deklaration verteidigt Tierversuche

Wissenschaftler versprechen, mit der Öffentlichkeit verstärkt in Dialog zu treten. Sie kämpfen dafür, dass Tierversuche auch in der Grundlagenforschung weiterhin möglich bleiben.
Affenhand
Im letzten Sommer brannte ein Ferienhaus in den Alpen nieder: Militante Tierschützer hatten das Urlaubsdomizil von Daniel Vasella angezündet, dem Geschäftsführer des Pharmakonzerns Novartis in Basel. Solche gewalttätigen Übergriffe auf Wissenschaftler, die Tierversuche durchführen, sind in deutschsprachigen Ländern eher selten.

Aber in den letzten Jahren bekamen sie den Druck auf andere Weise zu spüren: Tierschützer versuchten, sie in der Öffentlichkeit anzuprangern, oder schickten ihnen Droh-E-Mails, und auch die Gesetzgebung beschränkte zunehmend die Verwendung von Tieren in der Grundlagenforschung. Um diesen Trend aufzuhalten, starteten über 50 Spitzen-Wissenschaftler, die in Deutschland oder der Schweiz arbeiten, eine Informationskampagne. Bei einem Treffen am 29. November in Basel entwarfen sie eine Erklärung, in der sie versprachen, sich verstärkt um eine transparente Diskussion mit der Öffentlichkeit zu bemühen.

"Die Öffentlichkeit neigt zu falschen Vorstellungen über Tierversuche, etwa zu der Überzeugung, sie könnten in allen Fällen durch Alternativen wie Zellkultur ersetzt werden", sagt Stefan Treue, Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen. Treue leitete das Basler Treffen "Research at a Crossroads" zusammen mit dem Molekularbiologen Michael Hengartner, der Wissenschaftsdekan an der Universität Zürich ist. Öffentlichkeitswirksame Aktionen wie eine Einladung an Universitäten, um mit Wissenschaftlern über Tierversuche zu sprechen, "werden für beide Seiten hilfreich sein".

Die Basler Deklaration betont die Richtigkeit der gesetzlichen und ethischen Forderungen an die Unterzeichnenden, die Verwendung von Tieren so weit wie möglich zu reduzieren und deren Leiden minimal zu halten. Dass Tierexperimente zur Grundlagenforschung jedoch als weniger akzeptabel eingestuft werden sollen als Versuche mit direktem praktischem Nutzen, lehnt die Deklaration aber mit Nachdruck ab. In Deutschland und der Schweiz legten Gerichte zuletzt mehrfach nationale Gesetze so aus, dass sie Grundlagenforschung an Primaten verbieten.

So entschieden Bremer Behörden 2007, die Zulassung des Neurowissenschaftlers Andreas Kreiter zur Arbeit an Makaken nicht zu verlängern, da sie "zu weit von einer Anwendung entfernt" sei. Kreiter führte Messungen an den Tiergehirnen durch, während die Primaten einfache Aufgaben erfüllten. Das Verbot gilt weiterhin.

Dies ähnelt einem vorangegangenen Fall in der Schweiz, in dem Kevan Martin, der Direktor des Instituts für Neuroinformatik in Zürich, sein Forschungsprogramm 2006 stoppen musste, nachdem die Züricher Behörden die Zulassung für seine Arbeit an Primaten nicht verlängerten. Er forschte an der Kartierung der funktionalen Mikrovernetzung im Makakengehirn. Die Behörden, die auch andere lokale Projekte mit Makaken verbot, stufte Martins Arbeit als Verletzung der Würde der Tiere ein, die in der Schweizer Verfassung seit 2004 unter Schutz steht. Ein praktischer Nutzen für die Gesellschaft sei in naher Zukunft nicht zu erwarten.

Martin legte beim Obersten Gerichtshof Berufung ein, aber im September letzten Jahres bekräftigte das Gericht den Beschluss.

"Das war ein Schock für die Forschergemeinde und eine der Hauptmotivationen für unser Treffen", sagt Hengartner. "Zum ersten Mal in der Schweiz unterschied das Gesetz zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung und behauptete, dass Grundlagenforschung mit nichtmenschlichen Primaten weniger wert sei als angewandte Forschung", sagt er. "Aber in der Biomedizin sind sie ein und dasselbe; angewandte Forschung steht auf den Schultern der Grundlagenforschung."

Wissenschaftler in Deutschland hatten einen anderen Grund, die Erklärung zu unterzeichnen: Im September verabschiedete die EU eine Richtlinie für die Verwendung von Tieren in der Forschung, die innerhalb von zwei Jahren von allen 27 Mitgliedsstaaten in nationales Recht übertragen werden muss. "In der Richtlinie finden sich zahlreiche unkonkrete Formulierungen – wie zum Beispiel "schwere Schmerzen" –, die in Deutschland eine restriktivere Auslegung der Gesetzgebung ermöglichen als zu wünschen wäre", sagt Treue. Außerdem seien manche Vorschriften unwissenschaftlich. So enthalte die Richtlinie zum Beispiel gesonderte Regeln für Hunde und Katzen.

Besondere Sorge bereitet Treue, dass die Richtlinie manche Experimente komplett verbieten könnte – beispielsweise solche, die schwere Schmerzen verursachen, oder Versuche an Menschenaffen –, anstatt Ethikkommissionen darüber entscheiden zu lassen. Dennoch seien frühere Entwürfe der Richtlinie noch schärfer gewesen, sagt Treue: Er und zahlreiche andere Wissenschaftler sprachen mit EU-Parlamentariern, um das allgemeine Verbot von Grundlagenforschung mit Primaten zu kippen.

In Großbritannien hätten ähnliche Initiativen und Gesetze gegen den so genannten Tier-Terrorismus geholfen, Auswüchse zu beschränken, sagt Mark Matfield, der Direktor der in London ansässigen European Biomedical Research Association. Diese vertritt Forscher, die an Tieren arbeiten, europaweit. "Offenheit und die Bereitschaft zur Diskussion mit der Öffentlichkeit über die Notwendigkeit von Tierversuchen konnten das Forschungsklima in Großbritannien schon oft merklich verbessern."

Die Deklaration schicken die Wissenschaftler nun an führende Wissenschaftler in Deutschland und der Schweiz, um Unterstützung zu bekommen. Die Organisatoren wollen die Initiative außerdem international vorantreiben. "Die Tierfrage wird kein Ende finden", sagt Treue. "Die Wissenschaftsgemeinde sollte sich ihr solidarisch stellen."

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