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Genetik: Baumallmende-Enthüllung

Und wieder weiß die Welt ein wenig mehr: Eine weibliche Westliche Balsampappel namens Nisqually 1 hatte zu Lebzeiten einmal 45 555 Gene, als sie zum ungefragten Erbgutspender wurde. Warum interessiert das eigentlich jemanden?
Pappel
Nisqually 1, ihres Zeichens eine weibliche Populus-trichocarpa-Pappel, wuchs und gedieh einst am Ufer des Flusses im Nordwesten der USA, dem sie ihren Namen verdankt. Von hier aus startete sie eine bedeutende Reise – in Stücken und in alle Himmelsrichtungen. Gleich 39 Labore von Finnland bis Florida hatten sich intensiv mit den Innereien des Gehölzes beschäftigt und waren vor knapp zwei Jahren mit der Grobarbeit fertig geworden. Und nun fassen alle Beteiligten unter Federführung von Gerald Tuskan das Resultat ihrer Mühen zusammen: Das Genom der Pappel und damit des ersten vollständig sequenzierten Baumes ist öffentlichkeitspräsentabel.

Aus dem Reich der Pflanzen hatten die globalen Gensammler bis dato nur zwei andere Arten gründlich sequenziert: Das universelle Unilabor-Unkraut Arabidopsis thaliana und die wichtigste Nährpflanze der Menschheit, den Reis. Warum ist nun ausgerechnet die Westliche Balsampappel Numero Drei?

Für Pappelgenetik gibt es gleich mehrere gute Gründe, meinen Tuskan vom Oak Ridge National Laboratory und seine internationalen Mitstreiter. Der nahe liegendste: Die Pappel ist ein Baum. Und damit meist Teil eines Waldes, und Wälder bedecken etwa 30 Prozent der Erdoberfläche, beherbergen unter ihrem Dach enorme Biodiversität, sind entscheidende Klimamodulatoren und unverzichtbare Rohstoffquellen. Konkret: Ein geschätztes Drittel aller industriellen Prozesse verarbeitet Ausgangsmaterialien aus dem Wald.

Um Baum zu werden und zu bleiben, braucht jede Pappel Kniffe, auf die Kräuter wie Ackerschmalwand und Reis verzichten können: Bäume leben viel länger und überdauern stark unterschiedliche Jahreszeiten, auf die sie sich flexibel einzustellen haben; sie setzten auf stabilere, ausdauernde und kostspielige Gerüststrukturen aus Holz, das ihr Organismus dann aber auch in rauen Mengen produzieren muss. Der Vergleich zu den Arabidopsis-Genen belegt tatsächlich, wie Balsampappel und Co diese Herausforderung genetisch meistern: Ein deutlich höherer Anteil der gut 45 000 Erbgutabschnitte – die Hälfte bislang ohne bekannte Funktion – kodierten für den Syntheseapparat von Zellulosen und Lignin, den wichtigsten Zellwand- und Holzbestandteilen.

Vergleichsweise viele Gene helfen auch dabei, die schiere Größe eines Baumorganismus, also etwa die langen Transportprozesse und die ausladenden Wurzel- und Sprossungsvorgänge, im Griff zu behalten oder sind für die Bekämpfung von Krankheiten zuständig. Anteilig mehr Gene der Pappel als von Arabidopsis beschäftigen sich zudem mit Prozessen des progammierten Zelltodes – vielleicht, so spekulieren die Wissenschaftler, hat dies mit dem jährlich zyklischen Werden und Vergehen der Baumpracht in Anpassung an die Jahreszeiten zu tun.

Populus trichocarpa ist zwar die größte Pappelart Nordamerikas, ihr aus rund 480 Millionen Basenpaaren gestricktes Genom verdient aber eher das Etikett "kompakt" als "überdimensioniert": Das menschliche ist gut sechs Mal so groß, beinhaltet dabei aber nur rund halb so viele proteinkodierende Gene. Andere Bäume wie die Kiefer packen knapp 50 Mal größere Genome in den Zellkern als die Westliche Balsampappel. Ein Vergleich zur Ackerschmalwand enthüllt, dass die Pappel es im Laufe der Evolution eher gemütlich angehen ließ, seit die beiden nun so unterschiedlichen Spezies sich vor rund 110 Millionen Jahren aus einem gemeinsamen Vorfahren heraus getrennt entwickelt haben: Die Geschwindigkeit der Genveränderung durch Chromosomen-Rearrangements, Tandemgen-Duplikationen und Nukleotidaustausch war bei Arabidopsis seitdem rund sechsmal so hoch.

Seit der Trennung von Kraut und Baum durchlief die Pappel übrigens auch eines jener für Pflanzen offenbar typischen Totalduplikationsereignisse, berichten die Basenpaaranalysatoren um Tuskan – die resultierende zweite Genkopie bietet nach solchen Verdopplungen genug Spielmaterial für evolutionäre Verbesserungen. Das Populus-Genom verlor zwar anschließend viele der Doppelgene wieder, behielt aber auch rund 8000 der frischen Genvarianten – wahrscheinlich nicht grundlos.

Und die Zukunft der Westlichen Balsampappel? Sie könnte mit ein wenig Hilfe aussehen wie eine künstlich beschleunigte Gegenwart. Schon heute gehört das schnell wachsende Holz – ein keimender Same wird nach vier bis sechs Jahren zum geschlechtsreifen Baum – zu den Günstlingen der Holzverwerter. Gentechnischer Feinschliff könnte der Art aber eine noch größere Zukunft bescheren, in der Populus trichocarpa zum Hauptrohstoff von biologisch produziertem Ethanol wird, meinen die die Erbgut-Entzifferer – etwa, wenn Gene verändert werden, welche die interne Vernetzung der Holzbestandteile steuern. Könnten Mikroorganismen Zellulosen, Hemizellulosen und Lignin leichter aufknacken und daraus Alkohol ergären, dann wäre das gentechnisch veränderte Pappelholz die ideale Grundlage zur Produktion von Bioethanol aus Grünzeugresten, mit der sich derzeit viele der industriell einsetzbaren Bakterien noch schwer tun. Der nicht überragenden Rentabilität einer großtechnischen Ethanolproduktion käme dieser Fortschritt sicher zu Gute – und damit eben uns allen zwischen Finnland und Florida.

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