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Vermeintlicher Exoplanet: Kein Exoplanet – ein Doppelstern!

Mehr als 7000 extrasolare Planeten wurden seit dem Jahr 1995 um ferne Sterne gefunden. Der Fall eines Exoplaneten-Kandidaten um einen jungen Stern in den Plejaden veranschaulicht beispielhaft, welchen Störeffekten man auf der Jagd nach Exoplaneten aufsitzen kann.
Konzeptdarstellung eines Exoplaneten im Weltraum. Der Planet ist groß und hat eine rötlich-violette Färbung mit sichtbaren Streifen. Im Hintergrund sind zahlreiche Sterne und eine Galaxie zu sehen. Zwei helle Lichtquellen, vermutlich Sterne, leuchten in der Ferne. Unten links steht der Text "Artist's Concept".
Nur scheinbar ein Exoplanet: Manchmal geht die Suche nach einem Exoplaneten auch schief.

Es war der Moment, auf den wir Monate, mit zahlreichen Vorarbeiten zusammengerechnet sogar Jahre, hingearbeitet hatten: Auf meinem Computermonitor sah ich die Lichtkurve eines auf den ersten Blick harmlosen Sterns, der bei genauerer, computergestützter Analyse eindeutig periodische Verdunklungen aufwies, die auf einen erstaunlichen planetaren Begleiter hindeuteten. Hatten wir hier wirklich eine Art von Supermerkur um einen gerade mal 100 Millionen Jahre alten, ultrakühlen roten Zwergstern im offenen Sternhaufen der Plejaden gefunden, der vor seinem Stern auch noch Transits zeigt? Falls sich dieser Fund bestätigen sollte, hätte er besondere Bedeutung für die Exoplanetenforschung. Insbesondere wären Folgebeobachtungen der Planetenatmosphäre durch das James-Webb-Weltraumteleskop möglich gewesen.

Falsch positive Transits | Diese drei Varianten verdeutlichen, wie ein Exoplanetentransit allein von stellaren Objekten vorgetäuscht werden kann. In allen drei Fällen ist der große, gelbe Stern das eigentliche Zielobjekt für die Suche nach Transits. Die resultierende Lichtkurve weist eine periodische Verdunklung um ungefähr ein Prozent auf, oft allerdings deutlich mehr oder weniger, je nach der räumlichen Geometrie der beteiligten Objekte. Im hier vorliegenden Fall waren wir einem bedeckungsveränderlichen Doppelstern im Hintergrund aufgesessen (links), dessen beide stellare Komponenten nur teilweise Bedeckungen zeigen (mittig).

Heute weiß ich, dass vier Jahre munterer Datenanalyse und die Betreuung zweier Masterarbeiten am Institut für Astrophysik und Geophysik der Universität Göttingen notwendig waren, um mit großer Sicherheit sagen zu können, dass es sich bei dem Objekt um einen Fehlalarm handelte. Er war ein sogenannter falsch positiver Nachweis. Statt einen phänomenalen Exoplaneten entdeckt zu haben, waren wir einem bedeckungsveränderlichen Doppelstern im weit entfernten Hintergrund der Plejaden auf den Leim gegangen. Solche Sternsysteme sind weitaus häufiger und – mit Verlaub – von moderater Relevanz für unsere aktuelle Forschung. Doch wie kann es trotz moderner Analysetechnik und hochpräziser Datenlage zu solch einer haarsträubenden Verwechslung zwischen einem Planeten und einem Doppelstern kommen?

Exoplaneten-Transits um junge Rote Zwerge

Auf der Suche nach extrasolaren Planeten hat sich mittlerweile die Transitmethode besonders bewährt. Dabei suchen wir nach periodischen Verdunklungen eines Sterns, die durch die Passage eines oder mehrerer seiner Planeten vor der Sternscheibe verursacht werden. Diese ziehen entlang unserer Sichtlinie vor dem Stern durch und verursachen eine winzige Sternfinsternis. Die Amplitude solch einer Verdunklung in der Lichtkurve des Sterns ist dabei etwa proportional zum quadratischen Verhältnis zwischen dem Planetenradius und dem Sternradius. Zu dieser Einsicht kommt man rasch, wenn man sich den Planeten als kleine schwarze Scheibe vor der riesigen leuchtenden Sternscheibe vorstellt. Dann lässt sich die beobachtete Tiefe des Transits dem Verhältnis der Flächen der beiden Scheiben gleichsetzen. Dabei sehen wir von der Erde aus weder den Planeten noch seinen Stern räumlich aufgelöst. Wir messen lediglich eine Zeitreihe der scheinbaren Helligkeit des Sterns.

EPIC211101996 und die Plejaden | Das Zielobjekt, in dessen Nähe zunächst der Transitkandidat entdeckt wurde, befindet sich im Fadenkreuz in der Mitte des Bilds. Es ist so leuchtschwach, dass es sich in dieser Aufnahme des Digital Sky Survey (DSS) kaum erkennen lässt. Im rechten unteren (südwestlichen) Bildviertel prangen der zirka 100 Millionen Jahre alte offene Sternhaufen M45, auch bekannt als die Plejaden. In einer Entfernung von rund 440 Lichtjahren gelegen, umfasst er ungefähr 400 junge Sterne. Die nebelartigen Staubstrukturen sind Reflexionsnebel, die sich kinematisch nicht mit den Plejaden bewegen und daher wahrscheinlich nicht unmittelbar mit deren Entstehung zusammenhängen.

Bislang wurden erst wenige Exoplaneten gefunden, die so groß beziehungsweise klein sind wie die Erde. Bei gegebener scheinbarer Helligkeit eines Sterns, die grob das weiße Rauschen in den Daten aufgrund der Quantennatur des Lichts festlegt, bieten kleine Sterne vom Spektraltyp M Vorteile auf der Suche nach kleinen Transitplaneten. Diese auch Rote Zwerge genannten Objekte sind sehr häufig. Sie machen etwa 75 Prozent aller Sterne in der Umgebung der Sonne aus. Anderseits sind sie auch sehr leuchtschwach, weswegen sie nur innerhalb von rund 50 Lichtjahren um die Sonne halbwegs vollständig erfasst sind.

Eine weitere Besonderheit bei der Suche nach Exoplaneten mit der Transitmethode ist der Einfluss der stellaren Aktivität auf die Lichtkurve. Vor allem junge M-Sterne, welche die Hauptreihe im Hertzsprung-Russell-Diagramm noch nicht erreicht haben, zeigen in den ersten Hunderten von Millionen Jahren ihrer Existenz eine sehr hohe magnetische Aktivität. Diese macht sich durch zahlreiche Sternflecken und Strahlungsausbrüche bemerkbar, die dann zu fotometrischen Variationen in den Lichtkurven führen und etwaige Transits vertuschen können. Das ist der Hauptgrund dafür, dass unter den heute mehr als 7300 bestätigten Exoplaneten nur etwa 100 mit einem Alter von unter 100 Millionen Jahren bekannt sind. Und diese sind allesamt mindestens doppelt so groß wie die Erde.

Am Anfang war die Lichtkurve

Diese Herausforderungen auf der Suche nach kleinen Planeten führten meinen Kollegen Michael Hippke und mich in den Jahren 2018 und 2019 dazu, eine optimierte Software zur automatisierten Suche nach Transits zu entwickeln. Mit ihrer Hilfe entdeckten wir schon nach kurzer Zeit 18 vormals unbekannte, vorwiegend erdgroße Planeten in den Daten der NASA-Weltraummission K2.

Um die Grenzen unserer neuen Methode zu testen, waren wir bald an den kleinsten noch nachweisbaren Planeten, möglicherweise sogar um junge Sterne, interessiert. Zu diesem Zweck haben mein damaliger Masterstudent an der Universität Göttingen, Jan-Vincent Harre, und ich ab Juli 2021 die Lichtkurven von jungen, sehr massearmen M-Sternen untersucht. Eine große Menge solcher Lichtkurven mit kontinuierlichen, hochpräzisen Messungen über mehrere Wochen bis Monate hinweg hatte die K2-Mission mit dem Kepler-Weltraumteleskop in den Jahren 2014 bis 2018 aufgenommen.

Lichtkurve mit stellarer Bedeckung | In dieser phasengefalteten Lichtkurve wurden insgesamt sechs Bedeckungen des stellaren Hintergrundsystems kombiniert und überlagert. Die Orbitalphase läuft von 0 bis 1 und wurde so versetzt, dass die zeitliche Mitte der Bedeckungen bei 0,5 liegt. Das Profil der Beobachtungen (blaue Punkte) unterscheidet sich deutlich vom Modell eines Exoplaneten-Transits (rote Linie), und auch die Bedeckungstiefe von rund 15 Prozent lässt auf eine stellare Bedeckung schließen.

In einer zuvor von anderen Teams erstellten Bibliothek von K2-Lichtkurven massearmer Sterne suchten wir nun mit unserer Software nach bis dahin unentdeckten Planeten – und wurden rasch fündig. In der Lichtkurve des Zielobjekts EPIC211101996 fanden wir periodische Verdunklungen mit einer Tiefe von ungefähr 3,5 Prozent. Das Objekt ist laut vorherigen Studien mit zehn Prozent der Sonnenmasse ein sehr massearmer M-Stern vom Spektraltyp M6V bei einem Radius von etwa 0,127 Sonnenradien und einer Effektivtemperatur von nur 2850 Kelvin (Sonne: 5800 Kelvin). Die absolute Größe des Objekts, das die periodischen Verdunklungen verursacht, ergab sich zu zirka 16 500 Kilometern oder 2,6 Erdradien. Aus der Sternmasse und der Umlaufperiode von 5,99 Tagen dieses vermeintlichen Exoplaneten, die sich direkt aus der Periode der Bedeckungen ergibt, kann man unter Benutzung von Keplers drittem Gesetz den Abstand zwischen dem Stern und seinem Begleiter ableiten. In diesem Fall ergaben sich 0,03 Astronomische Einheiten, was gerade einmal dem zweieinhalbfachen Abstand zwischen Jupiter und dem äußersten der vier Galileischen Monde, Kallisto, entspricht. In dieser Entfernung, so zeigten unsere ersten Berechnungen, erhielte der Exoplanet ungefähr so viel Licht von seinem Heimatstern wie Merkur von der Sonne. Die mögliche Entdeckung eines Supermerkurs mit Transits um einen M-Stern wäre an sich schon spannend gewesen. Doch der Fall sollte noch mehrere Wendungen nehmen.

Ein Stern in den Plejaden

Um den Stern besser zu charakterisieren und die Möglichkeit eines scheinbar nahegelegenen bedeckungsveränderlichen Sterns auszuschließen, bediente ich mich der frei verfügbaren Software Aladin. Nach der Eingabe der Koordinaten des Zielobjekts in die App fuhr ich die Umgebung des Himmelsareals in visuellen Aufnahmen des Digital Sky Survey ab. Bei der Erweiterung des Gesichtsfelds bemerkte ich eine auffällige, milchige Struktur, die sich über die Aufnahme zog. Nach weiterem Herauszoomen offenbarten sich die Plejaden in all ihrer Pracht (siehe »EPIC211101996 und die Plejaden«) und ich war sofort elektrisiert. Sollte sich dieser mögliche Supermerkur auch noch in den Plejaden befinden und damit im Vergleich zu den meisten bekannten Exoplaneten sehr jung sein? Es musste also unbedingt eine mögliche Kontamination der Lichtkurve des Zielobjekts EPIC211101996 mit Bedeckungen eines nahegelegenen Sternsystems ausgeschlossen werden.

Mit dieser Aufgabe sollte sich ab Mitte 2022 mit Milena Hüschen ein weiterer Masterstudent an der Universität Göttingen beschäftigen. Dazu untersuchten wir nicht nur verschiedene Möglichkeiten, die stellare Variabiliät aus der Lichtkurve zu filtern, um so die periodischen Verdunklungen in der Lichtkurve besser analysieren zu können. Sondern wir verwarfen nun die in der Literatur bereitgestellte K2-Lichtkurve des Zielobjekts und konstruierten stattdessen selbst verschiedene Lichtkurven aus den Zeitserien der CCD-Pixel der K2-Mission. Ziel war es dabei, den räumlichen Ursprung der Bedeckungen in der Himmelsebene zu lokalisieren. Mithilfe dieser technisch etwas aufwändigeren Datenanalyse gelang es uns schließlich, die Quelle der Bedeckungen etwa 20 Bogensekunden westlich von EPIC211101996 einem deutlich helleren Stern mit der Bezeichnung Gaia DR3 66 767 847 894 609 792 zuzuordnen (siehe »Lichtkurve der K2-Mission«). Sowohl die Parallaxe dieses Objekts als auch seine Eigenbewegung belegen, dass es sich weit hinter den Plejaden rund 8000 Lichtjahre von uns entfernt befindet.

Die separate Analyse der eigens konstruierten Lichtkurve dieses Objekts nun zeigte eine Signaltiefe von 15 Prozent. Außerdem offenbarte sich nun die für bedeckungsveränderliche Sterne typische v-förmige Lichtkurve, die sich daraus ergibt, dass immer nur ein Teil des Sekundärsterns, der sich von uns aus gesehen vor dem Primärstern entlangschiebt, Letzteren verdeckt (siehe »Falsch positive Transits«). Zu keinem Zeitpunkt steht der gesamte Sekundärstern vor der Scheibe des Primärsterns. Die neu identifizierte Quelle des Signals war in den Gaia-Daten bisher als etwa sonnenähnlicher Stern beschrieben. Mit der von uns vermessenen Bedeckungstiefe von 15 Prozent lässt sich nun für seinen Begleiter ein Radius von 0,39 Sonnenradien ableiten, was eindeutig die stellare Natur des Begleiters belegt.

Doch die Resignation angesichts des falsch positiven Exoplanetensignals wich sogleich der Freude über die neu gewonnene Klarheit über seinen Ursprung. Denn immerhin war dieses bedeckungsveränderliche Doppelsternsystem noch nicht als solches bekannt. Auch wenn sich der vermeintliche Exoplanet also in Luft aufgelöst hatte, haben wir mit der Entdeckung eines neuen Bedeckungsveränderlichen immerhin eine milde wissenschaftliche Genugtuung erfahren.

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