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»Big problem paradox«: Bei verbreiteten Problemen fühlen wir uns weniger zuständig

Den Klimawandel stoppen? Plastikmüll eindämmen? Suizide verhindern? Darum kümmern sich doch sicher andere! Offenbar sorgt ein Denkparadoxon dafür, dass uns ausgerechnet große Probleme oft klein erscheinen.
Mehrere Hände halten gemeinsam eine kleine Erdkugel vor einem verschwommenen Hintergrund mit Lichtern.
Bei großen Problemen verlassen sich viele Menschen auf andere.

Je größer ein Problem ist und je häufiger es auftritt, desto dringender bedarf es einer Lösung – sollte man meinen. Tatsächlich fühlen sich Menschen aber offenbar weniger zuständig, wenn man ihnen erklärt, dass ein Problem besonders verbreitet ist. Das unbewusste Kalkül dahinter: Wenn etwas oft vorkommt, wird es so schlimm schon nicht sein – oder jemand anderes kümmert sich. Das berichtet ein Team um Lauren Eskreis-Winkler von der Northwestern University in Evanston, Illinois, im »Journal of Personality and Social Psychology«

Die Gruppe untersuchte das Phänomen, das sie als »big problem paradox« (»Großes-Problem-Paradoxon«) bezeichnet, in 15 verschiedenen Experimenten mit insgesamt mehr als 2600 Versuchspersonen. Darin sollten sich beispielsweise Personen aus Chicago vorstellen, jemand hätte in einem Restaurant vor Ort gegessen, das im Anschluss bei einer Prüfung durch das Gesundheitsamt negativ aufgefallen war. Für wie wahrscheinlich hielten sie es, dass der Gast krank werden würde? Im Anschluss informierten die Forscher die Probanden darüber, dass Restaurants in Chicago regelmäßig durch die Gesundheitsprüfung fallen: Im Jahr 2023 hätten tausende Lokale den Anforderungen nicht genügt. Nach dieser Information sollten die Teilnehmer noch einmal eine Risikoabschätzung vornehmen. Und siehe da: Nun hielten sie die Wahrscheinlichkeit, nach einem Restaurantbesuch krank zu werden, für geringer. In anderen Beispielen ging es um die Folgen von Impfmüdigkeit oder Mikroplastik in der Umwelt.

Das gleiche Muster zeigte sich, wenn die Gruppe Versuchspersonen bat, die Häufigkeit eines Ereignisses selbst einzuschätzen, etwa, wie oft sich Menschen betrunken ans Steuer setzen. Auch hier schätzten jene, die davon ausgingen, dass Leute häufig alkoholisiert Auto fahren, die Gefahr durch Trunkenheit am Steuer als geringer ein. 

Weiteren Experimenten zufolge tritt das Phänomen vor allem dann auf, wenn Menschen eine eher optimistische Sicht auf die Welt haben und davon ausgehen, dass große und gravierende Probleme entsprechend angepackt und gelöst würden. Umso problematischer ist sicher die letzte Erkenntnis, die Eskreis-Winkler und ihre Kollegen aus ihren Versuchen zogen: Das »big problem paradox« scheint auch die Handlungs- und Hilfsbereitschaft von Menschen einzuschränken – zumindest im Experiment. So waren Probanden etwa seltener bereit, einem Freund mit Suizidgedanken zu helfen, nachdem sie erfahren hatten, dass rund 9,3 Millionen Erwachsene in den USA jedes Jahr darüber nachdenken, ihr Leben zu beenden.

Damit könnte das Phänomen einer der Gründe dafür sein, dass viele große Probleme unserer Zeit noch immer ungelöst sind. Um Menschen auf ein Problem aufmerksam zu machen und zum Handeln zu motivieren, würden Organisationen oder Experten oft vor allem sein Ausmaß betonen, schreiben die Forscher. Das könnte aber zu kurz greifen – und im schlimmsten Fall sogar zum gegenteiligen Effekt führen.

  • Quellen
Eskreis-Winkler, L. et al., Journal of Personality and Social Psychology 10.1037/pspa0000409, 2025

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