Direkt zum Inhalt

Psychische Krankheiten: Bei welchen Störungen hilft eine Psychotherapie?

Eine Psychotherapie kann bei vielen psychischen Problemen helfen. Doch für manche Diagnosen gilt das womöglich nicht: Hier gibt es bislang wenig Belege dafür, dass eine Therapie mehr bewirkt, als einfach nur abzuwarten.
Eine Person sitzt mit einem Notizblock auf dem Schoß und schreibt mit einem Stift. Im Hintergrund ist eine weitere Person unscharf zu sehen, die möglicherweise in ein Gespräch vertieft ist. Die Szene deutet auf eine Beratung oder ein Interview hin. Der Raum wirkt gemütlich und professionell.
Von den eigenen psychischen Problemen erzählen: Das kann helfen, aber nicht bei allen Problemen.

Nichts hat die Therapieforschung häufiger nachgewiesen: Bei einer Depression hilft eine kognitive Verhaltenstherapie. Eine Psychotherapie kann auch viele andere Beschwerden lindern – doch gilt das offenbar nicht für alle psychischen Störungen. Dieses Fazit zieht eine große internationale Forschungsgruppe um Mathias Harrer und Pim Cuijpers von der Freien Universität Amsterdam. Um die Wirkung von Psychotherapie weltweit zu prüfen, werteten die Psychologen und ihr Team mehr als 1000 Studien mit knapp 86 000 erwachsenen Patientinnen und Patienten aus. Wie sie in der Fachzeitschrift »Psychological Bulletin« schreiben, handelt es sich um »die bis heute wahrscheinlich umfassendste Metaanalyse in der Psychotherapieforschung«.

Die Forschungsgruppe nutzte ein Online-Tool, genannt »MARDs« (Meta-Analytic Research Domain), das sie selbst entwickelt hat. Seit 2022 ist es auf der Website »Metapsy« frei zugänglich. Forschende und Laien können dort mit wenigen Klicks Metaanalysen für ausgewählte Störungen und Therapiemethoden durchführen. Die Daten stammen aus Studien, die bestimmte Kriterien erfüllen, etwa dass die Versuchspersonen per Zufall einer Behandlungsgruppe und einer Kontrollgruppe zugeteilt werden. Der Vergleich der beiden Gruppen zeigt, wie die Therapie wirkt – über die Spontanheilungsrate und etwaige Placeboeffekte hinaus.

Unter den Therapien waren zahlreiche psychologische Interventionen, auch Gruppentherapien und therapeutisch begleitete Online-Selbsthilfen. Die Wirksamkeit einer Behandlung wurde an typischen Symptomen wie Panikattacken oder Suizidgedanken bemessen. Zu den behandelten Diagnosen zählten zwölf psychische Störungen; allerdings war die Hälfte der Personen wegen einer Depression in Behandlung. Der Anteil derer, die stationär behandelt wurden, schwankte von rund fünf Prozent bei spezifischen Phobien bis 85 Prozent bei Psychosen. Bei den meisten Diagnosen dauerten die Therapien in den Experimenten zwischen 4 und 13 Sitzungen – sehr kurz, verglichen mit der Praxis. Am längsten liefen die Behandlungen der Borderline-Persönlichkeitsstörung mit im Durchschnitt knapp 50 Sitzungen.

Bei allen untersuchten Diagnosen hatte eine Psychotherapie im Mittel einen statistisch bedeutsamen, wenn auch unterschiedlich starken positiven Effekt. Die schwächsten Effekte fanden die Forschenden bei Psychosen, Suizidalität, Borderline-Persönlichkeitsstörung und anhaltender Trauer. In diesen Fällen mussten im Mittel fünf bis zehn, bei Psychosen sogar 15 Personen behandelt werden, damit sich die Symptomatik bei einer weiteren Person signifikant besserte. Wurden strengere Kriterien an die Studien angelegt, waren keine positiven Effekte mehr nachweisbar. Mittlere bis große Effekte waren dagegen bei Depressionen, Spielsucht, Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, generalisierter Angststörung und sozialer Phobie zu verzeichnen und die größten Effekte bei Zwangsstörungen, Posttraumatischer Belastungsstörung und spezifischen Phobien. Bei letzteren beiden mussten weniger als drei Personen behandelt werden, damit sich bei einer weiteren Person die Symptomatik verglichen mit einer Kontrollgruppe merklich verbesserte.

Warum die Therapieeffekte unterschiedlich groß ausfallen

In der Praxis liegt die Rate höher, da sich Therapieeffekt, Placeboeffekt und Spontanbesserung aufaddieren: Im Mittel geht es zwei von drei Behandelten deutlich besser. Dass der Therapieeffekt je nach Störung unterschiedlich groß ausfällt, ist bekannt und kann verschiedene Ursachen haben. »Für manche Störungsbilder sind geringere Effektgrößen plausibel«, erklärt Harrer, »zum Beispiel bei Psychosen, weil hier Medikamente eine größere Rolle spielen, oder bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung, weil sie sehr tiefgreifende Verhaltensmuster betrifft.«

Die Metaanalyse könne jedoch nicht eindeutig nachweisen, dass Psychotherapie bei manchen Störungen »inhärent« weniger wirksam sei. Der Grund: Die Studien zu verschiedenen Störungsbildern unterscheiden sich methodisch, und das könne die Effektgrößen beeinflussen. »Wir versuchen natürlich, solche Faktoren zu kontrollieren, aber ob dies immer vollständig gelingt, ist nicht klar.« Was die Arbeit dagegen sehr klar zeige, betont Harrer: »dass Psychotherapie wirkt, über die verschiedensten Problembereiche hinweg«.

Ein Beispiel für methodische Einflüsse ist die Art der Kontrollgruppe. Bei vielen Störungen dienten Wartelisten als Kontrollgruppe, und das könne die Behandlung wirksamer erscheinen lassen, als sie ist, sagt Harrer. Denn wenn Versuchspersonen wüssten, dass sie nur auf der Warteliste stehen, könne sich das negativ auswirken. Tatsächlich fielen die Effekte größer aus, wenn die Therapiegruppe mit einer Wartekontrollgruppe und nicht mit einer Standardbehandlung verglichen wurde.

Verschiedene Therapieansätze miteinander zu vergleichen, war nicht Ziel der Studie. Die Forschenden fanden aber keinen Hinweis darauf, dass das meistuntersuchte Verfahren – die kognitive Verhaltenstherapie – besser oder schlechter wirke als die übrigen. Bei Depressionen sei ihre Wirkung sogar so gut belegt, dass man sich aus weiteren Studien dazu keine neuen Erkenntnisse versprechen könne; Lücken sehen sie nur bei der Umsetzung in der Praxis. Eine kognitive Verhaltenstherapie arbeitet vor allem an aktuellen Denk- und Verhaltensmustern, während sich psychodynamische Therapien, die zweite große Methodengruppe, auf vergangene Erfahrungen und unbewusste Konflikte konzentrieren.

Die Wirksamkeit einer Psychotherapie hat Grenzen

Diese und andere Psychotherapieverfahren stammen vorwiegend aus wohlhabenden westlichen Kulturen. Und auch die Forschung kommt zu mehr als 80 Prozent aus diesen Ländern, obwohl weltweit betrachtet mehr als 80 Prozent der psychisch erkrankten Menschen in Ländern mit mittlerem oder niedrigem Einkommen leben. Immerhin: »Eine steigende Anzahl von Studien bestätigt, dass Psychotherapien auch in nichtwestlichen Kulturen und Ländern mit niedrigerem Einkommen wirksam sind«, berichten Harrer und seine Kollegen. Teils fielen die Effekte sogar größer aus. Allerdings fanden nur 0,4 Prozent der Studien in Ländern mit niedrigem Einkommen statt; daher sei die Wirksamkeit von Psychotherapie dort bislang lediglich für Depressionen belegt.

Doch auch für den reichen Westen ist das Fazit nicht uneingeschränkt positiv. »Trotz jahrzehntelanger Forschung ist die Wirksamkeit der existierenden Therapien immer noch beschränkt«, schreibt die Gruppe. Selbst wenn man die effektivsten Methoden nehme und mit Kontrollgruppen vergleiche, profitiert nur eine von drei bis vier Personen. »Forschende müssen womöglich akzeptieren, dass die Wirkung, die eine psychologische Intervention im Leben von Patienten haben kann, eine natürliche Grenze hat.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen
Harrer, M. et al., Psychological Bulletin 10.1037/bul0000465, 2025

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.