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News: Beim nächsten Sonnenaufgang rechts abbiegen

Für die Natur ist Hightech ein alter Hut. Mal eben über tausende Kilometer punktgenau den heimatlichen Marktplatz ansteuern - kein Problem. Diese Aufgabe bewältigen Zugvögel dank ihres internen Navigationssystems spielend. Vorausgesetzt, sie konnten ihren Kompass am Abend richtig einstellen.
Wie macht er das bloß? Ein typischer Singvogel wiegt etwa so viel wie eine Tafel Schokolade, füllt gerade einmal ein oder zwei Hände aus und führt außer seinem Federkleid keinerlei Hilfsmittel mit sich. Trotzdem nimmt er jeden Herbst an einer Gruppenfernreise seiner Artgenossen teil, die auf eigene Faust dem Winter Richtung Süden ausweichen. Und im Frühling ist der Vogel wieder da. Punktgenau dort, wo er aufgewachsen ist und seine eigenen Jungen aufzuziehen gedenkt. Schrecklich peinlich für uns Menschen, die wir uns gelegentlich schon auf dem eigenen Schreibtisch verlaufen. Was hat der Zugvogel, das wir nicht haben?

Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich. Simpel ist die Kurzversion, die da lautet: ein funktionierendes Orientierungssystem. Schwierig wird es bei der langen Fassung, in welcher die einzelnen Komponenten und deren Anteil an der Richtungsbestimmung zu erläutern sind. Bis heute haben Wissenschaftler das Rätsel nicht ganz gelöst, auch wenn die groben Eckpfeiler schon bekannt sind. So nutzen die Vögel den Stand der Sonne und die Schwingungsrichtung ihres in der Atmosphäre gestreuten polarisierten Lichts, den Sternenhimmel, das Magnetfeld der Erde sowie markante Strukturen auf dem Boden. All dies haben Versuche im Labor ergeben, bei denen die Tiere mit Attrappen und falschen Signalgebern in jede beliebige Richtung gelenkt werden konnten. Wie diese Informationen in freier Wildbahn kombiniert werden und gemeinsam die Überzeugung "Da geht es lang!" bilden, dazu weiß man bislang jedoch wenig.

Zu wenig, meinten der Biologe Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg und zwei US-amerikanische Kollegen. Und so versahen sie wanderfreudige Drosseln (Catharus minimus und C. ustulatus) kurz vor Sonnenuntergang mit einem kleinen Radiosender und sperrten die Vögel in einen Käfig mit einem falsch ausgerichteten künstlichen Magnetfeld. Was würde die Oberhand gewinnen? Der korrekte Sternenhimmel oder der fehlweisende innere Kompass? Um das zu erfahren, folgten die Forscher den Radiosignalen der Vögel – bis zu 1100 Kilometer weit.

Die meisten Drosseln schlugen nach ihrer Freilassung aus tiefster Zuversicht den falschen Weg ein. Statt nach Norden wandten sie sich die Nacht über gen Westen, wie es ihnen der verstellte Kompass zuflüsterte. Dabei spielte es keine Rolle, dass die Sterne und auch das am Abend zuvor in Freiheit spürbare korrekte Magnetfeld eine andere Richtung rieten. Offenbar hatten die Vögel die Kompasseinstellung während des Sonnenuntergangs überschrieben. Für diese Annahme sprechen auch die Ergebnisse aus den folgenden Nächten. In diesen flogen die Drosseln nämlich wieder in die natürliche Richtung.

Es sieht also so aus, als würden die Nachtigalldrosseln jeden Abend vor dem nächtlichen Flug ihren Kompass am Dämmerlicht der untergehenden Sonne ausrichten und dann seiner Anzeige folgen. Oder sie stellen ihre Sternenkarte nach dem Kompass ein und orientieren sich anschließend an den Konstellationen am Himmel. Jedenfalls erfolgt keine Korrektur in umgekehrter Reihenfolge, und auch die magnetische Ausrichtung ist nicht die oberste Instanz. Bei genauerer Betrachtung macht dieses Vorgehen durchaus Sinn, denn damit vermeiden die Vögel Interpretationsschwierigkeiten, wenn sie in Gebiete lokaler magnetischer Anomalien geraten oder sich im Laufe der weiten Wanderung der Winkel der magnetischen Feldlinien zum Boden ändert.

Es ist schon eine komplexe Angelegenheit, dieser angeborene Orientierungssinn. Und so verwundert es nicht, dass fünf Drosseln von der Behandlung derart verwirrt waren, dass sie in der ersten Nacht vorsichtshalber nicht in den vermeintlichen Norden zogen, sondern nur ins nächste Gebüsch. Dort warteten sie ab, bis der Zweifel an der korrekten Richtung sich gelegt hatte, und brachen erst dann wieder auf – mit einwandfreier Orientierung. Anscheinend ist es in besonderen Fällen auch für Zugvögel von Vorteil, sich vorübergehend zu sammeln. Nach dem Weg gefragt hat aber keine. Das ließ der Zugvogel-Stolz wohl doch nicht zu.

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