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Wissenschaftsgeschichte: Beistand fürs Herz

Vor 50 Jahren implantierte ein schwedischer Chirurg unter abenteuerlichen Bedingungen erstmals einen Herzschrittmacher - der Start einer ungebrochenen medizinischen Erfolgsstory. Die Zukunft liegt vielleicht in der Biotechnologie.
Elmquists Herzschrittmacher
Universitätsklinik Karolinska Stockholm, im Herbst 1958: Das Herz des Patienten Arne Larsson bleibt 20- bis 30-mal am Tag stehen. Der 43-Jährige muss jedes Mal reanimiert werden. Zwischen den Stillständen schlägt das Herz des Schweden teilweise nur rund 20-mal pro Minute. Larssons Arzt Åke Senning bewertet den Zustand seines Patienten als hoffnungslos: "Ich war praktisch tot", sagte Larsson 1999 in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost".

Larsson litt am Adams-Stokes-Syndrom, bei dem das natürliche Leitungssystem für die Herzströme, welche die Herzmuskeln zur Kontraktion anregen, geschädigt ist. Die Krankheit wird heute durch das Einsetzen eines Herzschrittmachers behandelt, der seine regelmäßigen elektrischen Impulse direkt zu den Herzkammern leitet und auf diese Weise das Schlagen des Herzens künstlich anregt.
Doch im Herbst 1958 hatten die Stockholmer Ärzte keinen Herzschrittmacher für Larsson. Sie experimentierten zwar mit elektronischen Taktgebern für das Herz, die der Patient außerhalb seines Körpers trug und von dem aus Drähte ins Körperinnere bis zum Herzen führten. Doch sie hatten erkannt, dass die Drähte ein offenes Tor für Infektionen darstellten. "Die Infektionsgefahr war sehr groß", erzählte Senning.
"Ich war praktisch tot"
(Arne Larsson)
Deshalb war der Chirurg überzeugt, dass nur ein implantierbarer Schrittmacher eine dauerhafte Heilung für Larsson würde bringen können. Zwar entwickelte er zusammen mit dem Elektroingenieur Rune Elmquist von der Firma Elema-Schönander ein solches Gerät, "dieses war aber noch nicht für Menschen gedacht".

Bewährungsprobe für einen Prototyp

Der Fall Arne Larsson wäre somit wohl erledigt gewesen, wenn nicht Larssons Ehefrau Else-Marie interveniert hätte. Senning hatte ihr von Elmquists Arbeiten erzählt – und "eine halbe Stunde später war sie bei ihm". Sie überzeugte Elmquist, einen Schrittmacher für ihren Mann zu bauen. Nicht viel später kam der Elektroingenieur mit zwei Prototypen in die Klinik.

Elmquist hatte aus zwei Silizium-Transistoren, ein paar Kondensatoren, Dioden und Spulen eine Schaltung gebastelt, die 80 Spannungsimpulse pro Minute erzeugte und somit als ein zuverlässiger Taktgeber für Larssons Herz dienen konnte. Um die Elektronik in den Körper einpflanzen zu können, hatte er sie in Epoxidharz gegossen. Als Gussform diente ihm eine Schuhkremedose.

Am Abend des 8. Oktober 1958 öffnete Senning Larssons Brustkorb und verband die zwei Elektroden, die aus dem Epoxidgehäuse ragten, mit dem Herzmuskel. Das Gerät selbst platzierte er unter der Bauchdecke des Patienten. "Zunächst funktionierte es ausgezeichnet", berichtete Senning.

Doch nach sechs Stunden war Schluss – vermutlich weil Senning den Schrittmacher während der Operation beschädigt hatte. Er musste nochmals operieren. "Zum Glück hatten wir zwei Prototypen", erinnert er sich. Das zweite Gerät hielt wesentlich länger – immerhin etwa zwei Wochen. Letztendlich verbrauchte Larsson in seinem Leben 26 Herzschrittmacher elf verschiedener Modelle, bis er 2001 im Alter von 86 Jahren nach einem aktiven Leben starb.

Den Erfolg sicherten sich andere

Zwar hatten Elmquist und Senning das Leben Larssons gerettet. An eine Vermarktung ihres Herzschrittmachers dachten sie aber nicht. "Sie meldeten kein Patent an", erzählt Jürgen Becker, ehemaliger Vertriebsingenieur für Herzschrittmacher bei der Firma Siemens. Becker kannte Elmquist persönlich: "Er war ein äußert bescheidener Mensch", der seinen Schrittmacher lediglich als technische Spielerei betrachtet habe. Auch Senning war seine medizinhistorische Tat nicht besonders wichtig. Er hat während seiner gesamten Laufbahn nur 15 Herzschrittmacher implantiert. 1961 ging er nach Zürich, wo er 1969 die erste Herztransplantation in der Schweiz durchführte und am 21. Juli 2000 nach langer Krankheit verstarb.

Die beiden Schweden verkannten also die Bedeutung ihrer Entwicklung bei Weitem. So tragen heute weltweit mehr als zwei Millionen Menschen einen Herzschrittmacher in sich, weil ihr natürlicher Herzschlag zu langsam ist oder weil er – wie bei Larsson – zeitweise ganz aussetzt. Die Therapieform ist allgemein anerkannt und äußerst erfolgreich.

Es waren zwei US-Amerikaner, die dem implantierbaren Herzschrittmacher zum Durchbruch verhalfen. Der Elektroingenieur Wilson Greatbatch von der University of Buffalo im US-Staat New York entwickelte einen eigenen Schrittmacher, den er 1959 patentierte. Ein Jahr später implantierte ihn der Chefchirurg des Veterans Hospital in Buffalo, William Chardack, erstmals einem 77-Jährigen, der an Herzstillständen litt.

Der Elektroingenieur Earl Bakken, der 1949 eine Reparaturwerkstatt für medizinische Geräte in Minneapolis gegründet hatte, produzierte daraufhin den Chardack-Greatbatch-Schrittmacher. Das von ihm gegründete Unternehmen namens Medtronic ist heute der Weltmarktführer bei Herzschrittmachern.

Der Durchbruch: längere Haltbarkeit

"Die Chardack-Greatbatch-Schrittmacher markierten vor allem wegen ihrer langen Lebensdauer einen Durchbruch", sagt Medtronic-Sprecher Andreas Bohne. Sie arbeiteten dank Zinkoxid-Batterien im Durchschnitt 16 bis 18 Monate lang, bevor sie ausgetauscht werden mussten. Die Schrittmacher des Schweden Elmquist hingegen enthielten einen Nickel-Kadmium-Akku, der nach ein paar Tagen von außerhalb des Körpers induktiv nachgeladen werden musste.

Greatbatch gab sich mit der Laufzeit seines Schrittmachers aber noch nicht zufrieden und entwickelte die langlebige Lithium-Jod-Batterie. Noch heute enthalten Herzschrittmacher diese Art von Energieversorgung und halten im Durchschnitt acht Jahre. Danach müssen sie ausgewechselt werden.

Herzschrittmacher damals und heute | Eine Rekonstruktion des Elmquist-Herzschrittmachers (oben). Zum Größenvergleich ist unten ein moderner Schrittmacher gezeigt.
Die hohe Lebensdauer der modernen Schrittmacher ist allerdings nicht allein den Lithium-Jod-Batterien zu verdanken, sondern auch einer Neuerung, die der deutsche Chirurg Heinz-Joachim Sykosch zusammen mit dem französischen Ingenieur Fred Zacouto Anfang der 1960er Jahre entwickelte.

Sykosch hatte 1960 unter abenteuerlichen Umständen die erste Herzschrittmacher-Implantation in Deutschland durchgeführt. Er pflanzte dem 19-jährigen Gerd Finkentey einen Chardack-Greatbatch-Schrittmacher ein, obwohl sein Chef ihm das verboten hatte. "Lassen Sie den Mann einfach friedlich sterben", hatte er zu Sykosch gesagt. Dieser nutzte die Abwesenheit seines Chefs an einem Wochenende, um den Apparat in Finkenteys Körper zu implantieren. Die Operation war erfolgreich, und Finkentey überlebte. Nur das positive Medienecho nach der geglückten Implantation verhinderte in letzter Minute Sykoschs Entlassung.

Impuls nach Bedarf

So konnte er sich weiter mit Herzschrittmachern befassen – und entwickelte eine Idee, wie die Geräte Energie sparen könnten. Seine Erfindung heißt heute Pacing-on-Demand: "Beim Pacing-on-Demand sendet der Herzschrittmacher nur bei Bedarf elektrische Impulse an das Herz", erläutert Bohne. Das Gerät müsse nur dann eingreifen, wenn der natürliche Herzrhythmus tatsächlich zu langsam sei oder ausfalle.

Um das zu erreichen, bauten Sykosch und Zacouto in einen Schrittmacher einen Sensor ein, der für ein bestimmtes Herzstromsignal, das eine korrekte Herzfunktion anzeigt, empfindlich war. Nur wenn der Sensor dieses Signal nicht empfing, sendete der Schrittmacher seine taktgebenden Strompulse. 1963 implantierte Sykosch den neuen Schrittmacher erfolgreich einer 22-jährigen Patientin. Die bedarfsgerechte Stimulation, die in den Jahren darauf immer weiter verfeinert wurde, ist heute medizinischer Standard und kann der Entstehung einer Herzinsuffizienz vorbeugen.

In den 1980er Jahren passten sich die Herzschrittmacher ihren Trägern noch weiter an: Sie erhielten Sensoren, die körperliche Belastungen registrierten und die Taktfrequenz entsprechend erhöhten.

Die Zukunft: vom Diagnosezentrum zum Bioschrittmacher?

Die bedarfsgerechte Stimulation bereitete auch die Bühne für eine weitere Neuerung, an welcher die Hersteller von Herzschrittmachern inzwischen arbeiten. All die Daten, welche die Geräte aufzeichnen, könnten zur Fernüberwachung der Patienten genutzt werden, erklärt Bohne: "Herzschrittmacher sind gewissermaßen kleine Diagnosezentren, die am laufenden Band Informationen liefern, welche durch äußerliche Diagnosemethode praktisch nicht zu erhalten sind."

Der Schrittmacher sendet die Patientendaten an ein Patientengerät, das sie über das Telefonnetz an den Arzt weiterleitet, der sie über eine sichere Internetseite abrufen kann. "Der Arzt kann eventuell lebensbedrohliche Situationen frühzeitig erkennen", erläutert Bohne. Beispielsweise könne die Gefahr eines Lungenödems, das aus der mangelnden Pumpleistung des Herzens resultiert, zwei Wochen früher diagnostiziert werden als mit herkömmlichen Verfahren, so Bohne. Solche Fernbetreuungssysteme sind derzeit bei mehreren Herstellern im Aufbau.

Von der Anwendung noch weit entfernt hingegen dürften biologische, von Batterien unabhängige, Herzschrittmacher sein, wie sie Forscher derzeit entwickeln. Vor knapp zwei Jahren injizierten US-amerikanische Wissenschaftler genmanipulierte Bindegewebszellen in das Herz eines Meerschweinchens, dessen Blutpumporgan zu langsam schlug. Die Zellen erzeugten dank der eingeschleusten Gene die gleichen Spannungsmuster wie die natürlichen Taktgeberzellen eines gesunden Herzens. Sie verbanden sich sogar nach der Injektion mit dem Herzmuskel des Meerschweinchens. Und tatsächlich schlug das Herz des Nagetieres wieder so schnell, wie es die Natur vorgesehen hat.

Ob Bioschrittmacher oder implantiertes elektronisches Diagnosezentrum mit Schrittmacherfunktion – sie alle sind Nachkommen von Schrittmacher Nummer eins, der vor 50 Jahren in Arne Larssons Körper eingepflanzt wurde. Und ein Ende der medizinischen Erfolgsstory ist nicht in Sicht.

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