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Fossile Energien: Bekommen wir noch die Kurve?

Der Anteil erneuerbarer Energien wächst rasant. Doch die Zeit, um den Kohlendioxidausstoß ausreichend zu drosseln, verrinnt ebenso schnell. Zu schnell?
Steinkohle

Die Energietrends der vergangenen Jahre wirken manchmal wie ein Rorschachtest. Manche Experten sehen im Boom der erneuerbaren Energien und in der Abkehr von der Kohlekraft Beweise dafür, dass wir die Erderwärmung noch in den Griff bekommen. Andere betonen, wie abhängig die Welt weiterhin von billigen fossilen Brennstoffen ist und dass das staatliche Handeln zu langsam ist, um den Klimakollaps noch abzuwenden.

Letztlich haben beide Lager Recht. Tatsächlich erleben wir eine Energierevolution: Ablesen kann man das allein schon an den sinkenden Preisen für Solarzellen, Windkraftanlagen und Lithiumbatterien. Zugleich aber ist die Welt nach wie vor auf fossile Brennstoffe angewiesen, so sehr, dass kleinste wirtschaftliche Unwägbarkeiten die Erfolge der erneuerbaren Energien zunichtemachen könnten. So geschehen im Jahr 2017, in dem die Kohlendioxidemissionen weltweit um etwa 1,5 Prozent stiegen, nachdem sie sich drei Jahren praktisch kaum verändert hatten. Verursacht wurde dies durch gesteigertes Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern: Schon zeigte die Kurve wieder nach oben, so die Analyse, welche im März 2018 vom Global Carbon Project herausgegeben wurde, einem internationalen Forschungskonsortium, das Kohlenstoffemissionen und Klimatrends verfolgt.

Dieser jüngste Anstieg der Treibhausgasemissionen dürfte jedenfalls ganz oben auf der Tageordnung rangieren, wenn die Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens 2015 im Dezember 2018 im polnischen Kattowitz zusammenkommen, um erstmals die Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens zu evaluieren. Eigentlich war das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Schon jetzt aber ist klar: Das rückt in immer weitere Ferne. Denn bisher bleiben die Regierungen deutlich hinter ihren Emissionsversprechen zurück, kollektiv wie individuell, weshalb die Welt weiterhin auf eine Erwärmung von mehr als drei Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts zusteuert. »Die Regierungen müssen sich endlich eingestehen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreicht werden sollen², sagt dazu Glen Peters, klimapolitischer Forscher am Center for International Climate Research in Oslo.

Plateau oder Gipfel

Wer vorhersagen will, wie sich die Kohlendioxidemissionen zukünftig entwickeln, sollte verstehen, warum sie von 2014 bis 2016 quasi konstant blieben. Die Antwort dürfte durchaus optimistisch stimmen. Denn in dieser Zeit zeigten sich tatsächlich die ersten Auswirkungen der Energiewende. Mehr als ein Jahrzehnt staatlicher Vorgaben und wirtschaftlicher Anreize hatten geholfen, dass sich erneuerbare Energien etablieren. Technologische Fortschritte und Massenproduktion hatten die Preise für Wind- und Sonnenenergie drastisch gedrückt. Zugleich hatten verbesserte Lithium-Akkus dazu geführt, dass Elektrofahrzeuge konkurrenzfähig wurden.

Wind- und Sonnenenergie | In einer optimalen Welt käme unser gesamter Strom bereits von Wind und Sonne. Doch gerade die Windkraft dürfte hier zu Lande bald an eine Grenze stoßen.

»All dies hat eine Art positive Rückkopplung erzeugt, in der die Preise immer weiter sinken und die Verkäufe steigen«, sagt Jules Kortenhorst, Geschäftsführer des Rocky Mountain Institute, einem Thinktank für Umweltthemen mit Sitz in Basalt (Colorado, USA). »Präsident Trump kann sich zwar eine Welt vorstellen, in der wir wieder auf Kohlestrom, Pferdekutschen und Kerosinlampen setzen.« Der Rest der Welt aber bewege sich mit zunehmendem Tempo in die entgegengesetzte Richtung. Selbst in den USA und China, den beiden größten Verursachern von Treibhausgasen, ist der Boom der erneuerbaren Energien heute spürbar. In den Vereinigten Staaten etwa sind die jährlichen CO2-Emissionen seit 2005 um mehr als 13 Prozent gesunken. Erneuerbare Energiequellen scheinen an dieser Entwicklung einen wachsenden Anteil zu haben: So machten sie im Jahr 2017 mehr als die Hälfte der neu hinzukommenden Energieerzeugung aus – das entspricht etwa 46 mittelgroßen Kohlekraftwerken. Auch in China hat die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen dazu beigetragen, den Kohleverbrauch zu reduzieren und damit die explodierenden Emissionen des Landes. So konnte das Forschungskonsortium Climate Action Tracker, dass die internationale Klimapolitik überwacht, seine Prognose von Ende 2017 für Chinas jährliche Emissionen im Jahr 2030 um 700 Millionen Tonnen CO2 reduzieren, mehr als doppelt so viel wie der jährliche Ausstoß Frankreichs. Die Zahl könnte sich bald noch einmal verdoppeln, wenn China seine Anstrengungen zum reduzierten Kohleverbrauch in ähnlichem Maß fortsetzt.

Doch das Plateau der Emissionen zwischen 2014 und 2016 geht nicht allein auf das Konto erneuerbarer Energien. Einer der größten Faktoren war schlicht die abgeschwächte Konjunktur in China. Die kurze Flaute ließ die Nachfrage nach Energie insgesamt sinken, vor allem in der Beton- und Stahlindustrie. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass China ebenso darum bemüht ist, die Effizienz seiner modernen Kohlekraftwerke zu steigern und alte Anlagen stillzulegen. In vergleichbarer Weise ist der Rückgang der Emissionen in den USA zu erklären: Hier lässt er sich größtenteils auf die Verlagerung von Kohle auf Erdgas zurückzuführen. David Victor, Spezialist für Klimapolitik an der University of California (San Diego, USA) bestätigt: »Die Hauptfaktoren für die Reduzierung von Emissionen stammen aus dem Sektor der fossilen Brennstoffe selbst: die gesteigerte Effizienz von Kohlekraftwerken in China und der Ausbau von Fracking in den Vereinigten Staaten.« Da also nach wie vor viel Energie mit Kohle erzeugt wird, könnten schon leichte Schwankungen beim Energiebedarf die Erfolge der Erneuerbaren zunichtemachen.

Ist die Energiewende machbar?

Zwar war der Anteil der Solarenergie im Verlauf des Jahres 2017 rasant gestiegen. Zugleich aber stieg der Kohleverbrauch in China ebenfalls. Gegen Ende 2016 hatte die Zentralregierung ein Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht, um die Wirtschaft vor dem Kommunistischen Parteitag im Oktober 2017 anzukurbeln. Dazu kam, dass die Niederschläge in Teilen Chinas gering ausfielen, was die Produktion von Wasserkraft drückte – die Kohleverstromung musste die Lücke füllen. Zusammen führten diese Faktoren laut Global Carbon Project zu einem Anstieg des Kohleverbrauchs im ersten Halbjahr 2017 um 3,5 Prozent und damit der Kohlendioxidemissionen.

Zwar hat China auf diese Weise zum globalen Anstieg der Kohlendioxidemission 2017 stark beigetragen. Allein war das Land damit allerdings nicht. Auch die Emissionen Indiens stiegen auf Grund des stärkeren Wirtschaftswachstums schneller als erwartet. In den USA und der Europäischen Union begannen die Emissionen nun, nach Jahren der Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien, langsamer abzunehmen als in den Jahren zuvor. Und im Rest der Welt stiegen die Emissionen laut der Analyse des Global Carbon Project im Jahr 2017 im Schnitt um zwei Prozent. Im Vordergrund stehen dabei jene Entwicklungsländer, in denen die Erschließung fossiler Brennstoffe eine kostengünstige und einfache Option ist, das Wirtschaftswachstum kurzfristig anzukurbeln.

Bekommen wir die Kurve noch?

Der Welt bleibt also immer weniger Zeit, ihre Treibhausgase in den Griff zu bekommen. Zwar basiert das Pariser Abkommen auf einem globalen Kohlenstoffbudget, das die Länder jedes Jahr gemeinsam verbrauchen dürfen. Doch je öfter wir das jährliche Budget überschreiten, desto aggressiver müssen künftige Maßnahmen ausfallen, um noch im Gesamtbudget zu bleiben. Das ist die Schuldenfalle des Klimahandels.

Ist die Energiewende machbar?

Wie viel Zeit noch bleibt, um auf einen grünen Zweig zu kommen, ist schwer zu ermitteln. Die Schätzungen, wann das Budget für eine maximale Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius so weit überschritten ist, dass es kein Zurück mehr gibt, fallen sehr unterschiedlich aus. Die einen sagen in 10 oder 15 Jahren, wenn wir so weitermachen. Andere reden gar von nur sechs Jahren. So oder so, die engen Emissionsgrenzen des Pariser Abkommens führen viele Forscher zu der Annahme, dass selbst das 2-Grad-Ziel von Paris nicht mehr erreichbar sein könnte – zumindest nicht ohne neue Technologien, die CO2 aktiv aus der Atmosphäre ziehen, oder die Erde künstlich zu kühlen, etwa indem die einfallende Sonnenstrahlung blockiert wird.

Ist die Energiewende machbar?

Letztlich lässt sich die Frage, wie stark sich die Welt erwärmen wird, auf eine Schlüsselfrage reduzieren: Wie stark steigt die Emissionskurve? Optimisten neigen zwar zur Betonung, dass sich fast alle Prognosen über erneuerbare Energien als zu konservativ erwiesen haben. So hatte sich China im Jahr 2008 zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 zwei Gigawatt an Fotovoltaikanlagen zu installieren. »Heute sind 200 Gigawatt realistisch«, sagt Jiang Kejun, ein leitender Forscher am chinesischen Energieforschungsinstitut in Peking. Jiang glaubt auch, dass sich das Muster in Zukunft fortsetzen wird. »Die Modellierer unterschätzen das Potenzial der erneuerbaren Energien«, sagt er.

Auch ein paar Analysten denken, dass insbesondere die Solarenergie vor einem Wendepunkt steht, der den gesamten Energiemarkt umkrempeln könnte. Immerhin kostet Solarenergie teilweise schon heute so wenig wie Kohlestrom. Das Londoner Energieberatungsunternehmen Bloomberg New Energy Finance (BNEF) etwa hat ausgerechnet, dass Solarstrom bald so billig sein könnte, dass es in vielen Regionen noch vor dem Jahr 2030 kostengünstiger sein wird, eine Solaranlage zu bauen, als weiterhin Brennstoff für ein bestehendes Kohlekraftwerk anliefern zu lassen. Ebenso behaupten Analysten, dass ab Mitte der 2020er Jahre sinkende Batteriepreise die Anschaffung und den Betrieb von Elektroautos günstiger machen werden als bei konventionellen Fahrzeugen – ganz ohne staatliche Subventionen, die den Markt bisher gestützt haben.

Ist die Energiewende machbar?

»Das wären entscheidende Wendepunkte«, sagt Angus McCrone, Chefredakteur bei BNEF. Natürlich wisse niemand genau, wie sich der Energiemarkt und die Energiepolitik entwickeln werden. Eines sei aber offensichtlich, sagt McCrone: »Die Politik ist immer noch eine Bremse, besonders wenn darum geht, Stellung gegenüber Branchen zu beziehen, die von den neuen Technologien betroffen sind.« Dabei könnte eine entschlossene Politik durchaus dazu beitragen, einen schnelleren Wandel anzustoßen. Großbritannien und Frankreich etwa haben angekündigt, den Verkauf von Benzin- und Dieselfahrzeugen bis zum Jahr 2040 ganz zu verbieten. Und mehr als zwei Dutzend Länder haben sich verpflichtet, die Verstromung von Kohle bis 2030 auslaufen zu lassen.

Das seien ganz klar Anzeichen dafür, dass die Politik beginnt, wirksam in den Energiemarkt einzugreifen, findet Michael Mehling, Energie- und Umweltpolitikforscher am Massachusetts Institute of Technology (Cambridge, USA). Ökonomen tendierten dagegen eher zu marktbasierten Programmen wie das EU-Emissionshandelssystem. Mehling denkt aber, dass es nur wenige Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Markt allein jenen schnellen Wandel bringen wird, der nötig ist, um die globalen Klimaziele noch zu erreichen. Staatliche Eingriffe könnten also der letzte Ausweg sein. »Sind die Eingriffe mutig genug«, sagt er, »können sie das gesamte Umfeld über Nacht verändern.«

Ist die Energiewende machbar?

Hier wiederum könnte China als Vorbild dienen. Durch die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Impulse der Zentralregierung könnten die CO2-Emissionen schon im Jahr 2020 ihren Höhepunkt erreicht haben und der Kohleverbrauch bis zum Jahr 2030 um 40 bis 50 Prozent sinken. »Der Wandel hat bei uns längst begonnen«, bestätigt Kejun.

Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch in Indien. Das Land bemüht sich, mehr als 1,3 Milliarden Menschen zuverlässig mit Strom – bei sauberer Luft – zu versorgen. Dabei könnte das Land zum Vorbild für andere Entwicklungsländer werden, wenn es gelingt, den Aufstieg der Kohle – im Gegenzug zu China – zu verhindern. Erste positive Zeichen gibt es bereits. Dank staatlicher Anreize und sinkender Preise boomt die Solarindustrie in Indien. Zudem will die indische Regierung bis zum Jahr 2022 rund 100 Gigawatt Solarkapazität installieren – fast doppelt so viel wie heute in den USA. »Das könnte allerdings auch zur Herausforderung werden«, sagt Rahul Tongia, ein Energieforscher bei der gemeinnützigen Organisation Brookings Institution in Neu-Delhi. Denn die Solarenergie müsse zunehmend mit den existierenden Kohlekraftwerken um die begrenzte Kapazität im Stromnetz konkurrieren. »Dann dauert es eben etwas länger«, sagt Tongia. »Der Fortschritt ist messbar, dramatisch und bedeutend.«

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