Unser Universum: Die Stützen der Urknalltheorie

Erst seit ungefähr 125 Jahren wissen wir sicher, dass das Universum aus einzelnen Galaxien besteht, die sich auf einer Längenskala von einigen hunderttausend bis Milliarden von Lichtjahren im Weltall verteilen. Der deutsche Astronom Julius Scheiner (1858 – 1913) und später Edwin Hubble (1889 – 1953) gelten als diejenigen Pioniere, die herausfanden, dass der Andromedanebel (Messier 31) eine eigenständige Ansammlung von Sternen, Gas und Staub ist. Heute wissen wir, dass diese Welteninsel etwa 2,5 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Sie ist das am weitesten entfernte Objekt, das sich in einer klaren Nacht als milchig-trüber Fleck mit bloßem Auge beobachten lässt. Scheiners Entdeckung darf als Geburtsstunde der Extragalaktik gelten, jenes Wissenszweigs der Astronomie, der sich mit der Welt außerhalb unserer Galaxis befasst.
In den letzten Jahrzehnten ist unser Wissen über den Kosmos enorm gewachsen. Zufallsentdeckungen wurden gemacht oder Vorhersagen bestätigt, die ein immer subtileres Bild des Universums zeichnen.
Das Geburtsjahr der relativistischen Kosmologie
Im Jahr 1915 veröffentlichte Albert Einstein (1879 – 1955) die Feldgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie. Sie beschreibt Gravitation in völlig anderer Weise als zuvor: nicht als Kraft, sondern anhand einer gekrümmten Raumzeit. Die Quellen für diese Krümmung sind alle Formen von Energie E. Die Masse m selbst ist eine davon, was prägnant in der berühmtesten Gleichung der Welt ausgedrückt wird: E = mc2. Dieses Äquivalent war bereits in der speziellen Relativitätstheorie von 1905 enthalten und folgt zwingend aus der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit c und dem Relativitätsprinzip.
Im Jahr 1917 erweiterte Einstein die Gleichungen der Gravitation um eine kosmologische Konstante Λ. Konkret tat er dies zunächst mit der Poisson-Gleichung der newtonschen Gravitation, weil nur damit deren Lösungen im kosmologischen Fall durch geeignete Randbedingungen festgelegt werden konnten. Er ging also vom herkömmlichen newtonschen Gravitationsgesetz aus und zeigte dann, dass derselbe Schritt auch in seiner allgemeinen Relativitätstheorie möglich war. Das Physikgenie benötigte diese zusätzliche Größe, um einen statischen Kosmos mit der Gravitationstheorie in Einklang bringen zu können. Ein räumlich unveränderliches und ewiges Universum war nämlich Anfang des 20. Jahrhunderts das favorisierte Modell für das Weltall als Ganzes und schien mit den bis dahin verfügbaren astronomischen Beobachtungen bestens übereinzustimmen. Der Kosmos war schon immer da und hatte über Jahrtausende immer gleich ausgesehen – so schien es damals.
Doch in den 1920er Jahren wendete sich das Blatt: Vesto Slipher, Carl Wilhelm Wirtz, Alexander Friedmann, Georges Lemaître, Edwin Hubble und Willem de Sitter fanden sowohl in den Beobachtungen als auch in der Theorie Anhaltspunkte für einen dynamischen Kosmos (siehe »Drei Köpfe der modernen Kosmologie«). Kronzeuge dieser neuen Dynamik war der Befund der Fluchtbewegung ferner Galaxien: Die meisten weit entfernten Galaxien bewegen sich von uns weg. Das war die Entdeckung der kosmischen Expansion: Das Universum dehnt sich mit der Zeit aus.
Die Geburt des Raums
Der belgische Priester und Astrophysiker Georges Lemaître (1894 – 1966) darf als der geistige Urheber und Erfinder der Urknalltheorie gelten. Er war Kenner der einsteinschen Theorie, deutete die Galaxienflucht überhaupt erst als kosmische Expansion und extrapolierte das beobachtete expandierende Universum zurück in der Zeit. Alle räumlichen Abstände lassen sich rückwärts in der Zeit betrachtet beliebig verkleinern. Diesen kosmischen Beginn nannte er im Jahr 1931 die »Geburt des Raums«. Der Urheber des griffigen und bis heute weit verbreiteten Begriffs »Big Bang« (deutsch: großer Knall) war der britische Astronom Fred Hoyle (1915 – 2001). Im Jahr 1949 erwähnte er »Big Bang« in einem Radiointerview. Eigentlich war das nicht als Kompliment für die Urknalltheorie gemeint, sondern vielmehr als Kritik. Hoyle versuchte nämlich, sein alternatives kosmologisches Modell an den Mann zu bringen, die Steady-State-Theorie. Hoyle hatte, zusammen mit Thomas Gold und Hermann Bondi, ein Modell entwickelt, das gegenüber Friedmann und Lemaître einer vollkommenen – nicht nur räumlichen – Symmetrie genügen sollte: Das Universum müsse dann auch zeitlich homogen sein, nicht nur räumlich. Hinter dem Steady-State-Modell steckt damit eine durchaus überzeugende Überlegung: Es kommt ohne Urknall aus. Widerlegt wurde es, als der britische Radioastronom Martin Ryle fand, dass Galaxien älter werden. Im Deutschen hat sich die nicht ganz direkte Übersetzung von »Big Bang« mit dem Wort »Urknall« etabliert.
Fünf Stützen des Urknalls
In den letzten rund 100 Jahren wurden immer mehr Befunde aus astronomischen Beobachtungen gesammelt, die vereinbar sind mit einem Anfang des Universums in einem dichten und heißen Urzustand. Manche Friedmann-Modelle kommen ohne einen Urknall aus, aber Beobachtungen zeigen, dass diese Möglichkeit ausgeschlossen ist, wenn wir überhaupt in einem Friedmann-Kosmos leben. Im Folgenden skizzieren wir die fünf Säulen des Big Bang, um später die Kritik am Standardmodell besser darstellen und einordnen zu können.
i) Galaktische Fluchtbewegungen Galaxien, die weit genug entfernt sind, zeigen Spektren, deren Strahlung zum langwelligen (roten) Ende hin verschoben sind (siehe »Rotverschobene Spektren«). Dieser Effekt heißt kosmologische Rotverschiebung. Slipher und Wirtz hatten das richtige Gespür, diesen Trend in ersten Beobachtungen zu erkennen. Sie hatten noch keine Vorstellung von den Entfernungen der Galaxien, fanden aber, dass die meisten Galaxienspektren rotverschoben sind. Sie hatten erwartet, dass etwa gleich viele rot- und blauverschoben wären. Von Hubble stammt vor allem der Befund, dass die Geschwindigkeiten mit der Entfernung zunehmen. Bis heute zeigen alle genügend fernen Galaxien eine Rotverschiebung. Später kamen weitere Vorgänge in den Tiefen des Alls hinzu, die ebenfalls rotverschoben sind, zum Beispiel Sternexplosionen. Sogar in Quellen für Gravitationswellen wurde dieser Effekt inzwischen beobachtet, weil ihm alle Wellenformen unterliegen.
Der physikalische Grund für die Rotverschiebung ist ein allgemein-relativistischer Effekt: Die Raumzeit zwischen ferner Galaxie und irdischem Beobachtungsstandort wird durch die kosmische Expansion auseinandergezogen (siehe »Das Luftballonmodell«). Strahlung, die sich im Kosmos ausbreitet, wird dadurch ebenfalls gedehnt: Ihre Wellenlänge nimmt zu, und zwar im gleichen Maß wie alle Längen. Je größer die kosmologische Rotverschiebung z ist, umso weiter entfernt ist die Quelle. Die dimensionslose Größe z ist definiert als die Differenz aus beobachteter Wellenlänge und Ruhewellenlänge (der Wellenlänge der Strahlung am Ort der Quelle) geteilt durch die Ruhewellenlänge.
Der aktuelle Spitzenreiter bei den Rotverschiebungen von Galaxien liegt bei z = 14,3 (siehe »Galaktischer Entfernungsrekord«). Diese Galaxie muss eher als Protogalaxie bezeichnet werden und heißt JADES-GS-z14-0. Sie wurde mit dem James-Webb-Teleskop (englisch: James Webb Space Telescope, JWST) entdeckt. Ihre kosmologische Rotverschiebung lässt sich mit einem kosmologischen Modell in eine Zeitepoche umrechnen; dabei hilft beispielsweise das Web-Tool »Ned Wright’s Cosmology Calculator«. Das Ergebnis: Der Rekordhalter existierte bereits 300 Millionen Jahre nach dem Urknall. So früh – vielleicht sogar noch früher – gab es bereits Vorläufer von Galaxien. Physikalische Modelle der kosmischen Strukturbildung müssen es leisten, diese rasche Entwicklung nach dem Urknall zu erklären. Das JWST könnte im Prinzip zu noch früheren Epochen mit z = 30 zurückschauen. Schon morgen könnte ein neuer Distanzrekord aufgestellt werden.
ii) Die kosmische Hintergrundstrahlung Einer der größten Durchbrüche der Kosmologie war die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung, die auch als kosmischer Mikrowellenhintergrund (englisch: cosmic microwave background, CMB) bezeichnet wird. Es war ein Zufallsfund, der den US-Radioastronomen Arno Penzias und Robert Woodrow Wilson im Jahr 1964 glückte. Mit einer Hornantenne in New Jersey wiesen die beiden Radiowellen nach, die gleichmäßig aus allen Himmelsrichtungen kommen. Dieses Rauschen in der Radioantenne wird als elektromagnetische Strahlung interpretiert, die uns aus den frühesten Entwicklungsphasen des Universums erreicht, nämlich aus einer Epoche von 380 000 Jahren nach dem Urknall. Wir wissen das so genau, weil die kosmologische Rotverschiebung der Strahlung gemessen werden kann. Sie beträgt z = 1100. Das Alter folgt dann im Rahmen des kosmologischen Modells, das zugrunde gelegt wird. Damit ist es das älteste elektromagnetische Signal, das die Menschheit aus den Tiefen des Weltraums direkt messen kann.
Es kommt aus einer Zeit, als weder Galaxien noch Sterne und erst recht keine Planeten exisitierten. In dieser Ära gab es im Wesentlichen nur ein fein verteiltes Gemisch aus Wasserstoff- und Heliumgas. Es war das Urmaterial, das im heißen Kosmos bereits Minuten nach dem Urknall entstanden war (primordiale Nukleosynthese). Das Gasgemisch hatte genug Zeit, damit sich ein thermodynamisches Gleichgewicht einstellen konnte. Daher hatte es eine bestimmte Temperatur und gab die dazu passende Wärmestrahlung ab, also elektromagnetische Wellen, die aufgrund der Wärmebewegung von elektrischen Ladungen im Gas abgegeben werden. Das Gleichgewicht und die Entstehung der Strahlung geschahen schon vorher; freigesetzt wurde die Strahlung aber erst nach 380 000 Jahren. Zu dieser Zeit hatte sich das Universum infolge der Expansion so weit abgekühlt, dass neutrale Atome entstanden waren und die Strahlung nun nicht mehr im Gas von freien Elektronen gefangen war.
Diese urtümliche Strahlungsform füllt den Kosmos aus, aber durch die kosmologische Rotverschiebung wurde ihre Wellenlänge erheblich gestreckt, bis sie erstmals fast 13,8 Milliarden Jahre später von der Hornantenne von Penzias und Wilson aufgefangen wurde. Das kontinuierliche Spektrum von Wärmestrahlung – das dem planckschen Strahlungsgesetz folgt – kann durch einen einzigen Parameter festgelegt werden: die Temperatur. Infolge der kosmologischen Rotverschiebung hatte sich das Spektrum und damit die Temperatur des Strahlers stark verschoben: von 3000 Kelvin vor Ort auf 2,7 Kelvin am Beobachtungsort, unserer Erde. Setzt man diese beiden Temperaturen ins Verhältnis, resultiert genau der Faktor z ≈ 1100.
Tatsächlich hatten einige Theoretiker vorhergesagt, dass die kosmische Hintergrundstrahlung existieren muss. Der Erste war der Russe George Gamow (1904 – 1968), der mit seinen Doktoranden Ralph Alpher und Robert Herman die Urstrahlung im Jahr 1948 prognostizierte. Der Nobelpreis für Physik ging 1978 an Penzias und Wilson (sowie Pyotr Kapiza, der allerdings mit der Hintergrundstrahlung nichts zu tun hatte) für die Entdeckung der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung. Gamow, gestorben 1968, wurde leider nicht bedacht, weil der Preis nicht posthum verliehen wird.
Im Jahr 2006 wurden erneut zwei leitende Wissenschaftler ausgezeichnet, die mit dem NASA-Satelliten Cosmic Background Explorer (COBE) die Verteilung der kosmischen Hintergrundstrahlung erstmals am ganzen Himmel erforscht hatten: John Mather und George Smoot. Mather bekam den Preis für COBE FIRAS (Far-InfraRed Absolute Spectrophotometer), den Spektrografen, mit dem die plancksche Form des Spektrums zuerst nachgewiesen wurde. Smoot entdeckte die Temperaturschwankungen mit dem Instrument COBE DMR (Differential Microwave Radiometer). Die erwähnte Temperatur der Hintergrundstrahlung von rund 2,7 Kelvin ist nicht überall am Himmel exakt gleich. Vielmehr variiert sie geringfügig im Bereich von nur 10–5 Kelvin, und das je nach Blickrichtung an den Himmel (siehe »Himmelskarten der Hintergrundstrahlung«). Derartige Anisotropien haben eine fast unglaubliche Interpretation: Erste Schwankungen der Materiedichte führten dazu, dass das Strahlungsfeld leichter – im Fall von »Unterdichten« – beziehungsweise weniger leicht bei den »Überdichten« entkommen kann. Die mit COBE dokumentierten Temperaturschwankungen bilden damit urzeitliche Schwankungen der Materiedichte ab. Die Himmelskarte der kosmischen Hintergrundstrahlung ist so etwas wie ein »Babyfoto des Universums«!
iii) Ursprung der leichten chemischen Elemente Als das Universum klein und heiß genug war, fungierte es als Ganzes als thermonuklearer Reaktor. Die Bedingungen erlaubten, dass bestimmte Umwandlungsreaktionen für Atomkerne möglich waren (siehe »Elementreaktionen im frühen Universum«). In den ersten Minuten nach dem Urknall wurden so die ersten leichten Atomkerne der chemischen Elemente Wasserstoff, Helium, Lithium und Beryllium (instabil) erzeugt. In der Fachliteratur wird diese spezielle Epoche der Elemententstehung als primordiale Nukleosynthese bezeichnet (primordial = »urzeitlich«; lateinisch: nucleus = »Kern«, gemeint ist der Atomkern; und Synthese bedeutet, dass sich die Atomkerne verbinden).
Der bereits erwähnte russische Forscher Gamow leistete zusammen mit Alpher und Herman zu diesen Vorstellungen die Pionierarbeit im Jahr 1946. Am häufigsten treten Wasserstoff und Helium auf, wobei Lithium und Beryllium weit abgeschlagen nur in Spuren vorkommen (siehe »Frühe Elemententstehung«). Die beobachteten Häufigkeiten dieser ersten Elemente passen bestens zu heute beobachteten Vorkommen der Elemente und sprechen somit für einen heißen und dichten Urkosmos.
Elementreaktionen im frühen Universum
Wenige Sekunden und Minuten nach dem Urknall herrschten Bedingungen, bei denen sich Atomkerne von leichten chemischen Elementen bilden konnten. Die wesentlichen Umwandlungsreaktionen sind nachfolgend aufgelistet. Sie greifen ineinander, weil die Produkte der einen Reaktion das Ausgangsmaterial für andere Reaktionen waren. Am Ende dieser Vorgänge steht ein frühes Universum, das sich vor allem aus Wasserstoff und Helium zusammensetzt. Bis heute wurden diese Verhältnisse kaum verändert, obwohl Sterne und Sternexplosionen noch schwerere chemische Elemente produzierten. Derartige »Metalle«, wie im Astronomie-Jargon alle Elemente jenseits von Helium genannt werden, kommen kosmisch betrachtet nur in Spuren vor.
Erst viel später reicherte sich das Universum mit noch schwereren Elementen wie Kohlenstoff (C), Stickstoff (N), Sauerstoff (O) oder Eisen (Fe) an: zum einen durch die 100 bis 200 Millionen Jahre später einsetzenden Fusionsreaktionen in den ersten Sternen (stellare Nukleosynthese) und zum anderen in den Kernreaktionen in explodierenden massereichen Sternen sowie in den Kollisionen von Neutronensternen (explosive Nukleosynthese). Letztere werden auch als Kilonovae bezeichnet. So wurden im Ereignis GW170817 sogar Gravitationswellen von solch einem katastrophalen Zusammenstoß direkt am 17. August 2017 beobachtet.
Stellare und explosive Kernfusionsprozesse geschehen bis heute, auch im nahen und heutigen Universum. Somit wird der Kosmos fortlaufend mit weiteren schweren Elementen angereichert, jedoch dominieren Wasserstoff und Helium nach wie vor deutlich die Häufigkeiten.
iv) Supernovae vom Typ Ia In der Astronomie ist die Messung der Distanzen von Himmelsobjekten eine Paradedisziplin von enormer Wichtigkeit. Eine Methode beruht auf Helligkeiten der Himmelsobjekte. Die beobachtete oder scheinbare Helligkeit nimmt mit dem Abstandsquadrat ab. Kennt man die Helligkeit der Quelle an ihrem Ort, im Prinzip die Leuchtkraft, folgt aus der beobachteten Helligkeit wieder die Distanz der Quelle. Im Entfernungsmodul werden scheinbare (beobachtete) Helligkeit, die absolute Helligkeit (die Helligkeit am Ort der Quelle) und die Entfernung miteinander in Beziehung gesetzt.
Anfang des 20. Jahrhunderts gelang mit dieser Methode der Sprung zu extragalaktischen Himmelskörpern: Der Andromedanebel (Messier 31, M 31) entpuppte sich als eigenständiges Objekt außerhalb des Milchstraßensystems. M 31, heute als Andromedagalaxie bekannt, ist 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt. Zum Einsatz kamen veränderliche Sterne, die Cepheiden. Sie haben die sehr nützliche Eigenschaft, dass ihre beobachtete Helligkeitsvariation Rückschlüsse auf die Leuchtkraft, also ihre absolute Helligkeit, erlaubt. Da Cepheiden junge, sehr leuchtkräftige Sterne sind, können sie über viele Millionen Lichtjahre beobachtet werden können. So wurden Distanzen zu vielen Galaxien bestimmt.
In der Kosmologie möchte man noch größere Entfernungen bestimmen: Milliarden von Lichtjahren. Hier kommen die Supernovae Ia (SNe Ia) zum Einsatz. Das Grundprinzip ist wie bei den Cepheiden die fotometrische Ermittlung der Distanz, also aus Helligkeiten, nur, dass SNe Ia absolut noch viel heller sind. Wenn es gelingt, sich die absolute Helligkeit einer SN Ia zu beschaffen, funktioniert das Verfahren wie bei den Cepheiden. Doch über die Jahrzehnte wurde eine wahre Vielfalt der SN-Ia-Explosionen mit stark abweichenden absoluten Helligkeiten und sehr wahrscheinlich auch unterschiedlichen Explosionsmechanismen diagnostiziert (siehe SuW 3/2020, S. 30). Die absoluten Helligkeiten von sorgfältig ausgewählten SNe Ia können empirisch auf einen Standardwert korrigiert werden. Häufig spielt ein einzelner Weißer Zwerg die Hauptrolle. Er ist das Überbleibsel der Entwicklung eines massearmen Sterns wie unserer Sonne. Weiße Zwerge gehören astrophysikalisch zu den kompakten Objekten, weil sie typischerweise eine Sonnenmasse haben, aber lediglich so groß sind wie unsere Erde. Noch kompakter als Weiße Zwerge sind nur Neutronensterne und Schwarze Löcher.
Weiße Zwerge sind makroskopische Objekte, die nur dank eines Gesetzes der submikroskopischen Quantenwelt existieren können
Weiße Zwerge können aber höchstens eine Masse von ungefähr 1,4 Sonnenmassen haben. Diese Obergrenze wurde mathematisch von dem indischen Physiker Subrahmanyan Chandrasekhar berechnet, der für seine Beiträge zur Struktur und Entwicklung von Sternen den Physik-Nobelpreis im Jahr 1983 erhielt. Bis zu diesem Massenlimit, das geringfügig von der chemischen Zusammensetzung des Zwergsterns abhängt, können die freien Elektronen im Inneren des Objekts noch der Gravitation standhalten. Elektronen gehören nämlich zu den Spin-1/2-Teilchen. Solche Fermionen unterliegen dem Pauli-Prinzip und können nicht mehrfach denselben Quantenzustand besetzen. Makroskopisch tritt das Pauli-Verbot als Entartungsdruck in Erscheinung: Die Elektronen wehren sich sozusagen dagegen, beliebig nahe zusammengepresst zu werden. Weiße Zwerge sind makroskopische Objekte, die nur dank eines Gesetzes der submikroskopischen Quantenwelt existieren können.
In der Natur kommt es vor, dass ein Weißer Zwerg, der bereits die Chandrasekhar-Grenze erreicht hat, noch mehr Masse aus der Umgebung aufnimmt, zum Beispiel von einem nahen Nachbarstern. Spätestens wenn das geschieht, explodiert der Zwergstern in einer Supernova Ia. Es stellt sich allerdings heraus, dass die meisten Weißen Zwerge schon explodieren, lange bevor sie 1,4 Sonnenmassen erreicht haben. SNe Ia sind vor Ort demnach nicht immer gleich hell; absolute Helligkeiten sind im Bereich von –19,3 Magnituden. Um sie dennoch als »Standardkerzen« für die Kosmologie benutzen zu können, muss eine sorgfältige Auswahl im »Zoo« der SNe Ia erfolgen. Dann hat man wieder einen Hebel, um aus bekannter absoluter Helligkeit und beobachteter scheinbarer Helligkeit über das Entfernungsmodul die Distanz der SNe Ia zu bestimmen.
Im Jahr 1998 gelang zwei Forschungsteams ein Durchbruch: Sie nutzten mehrere explodierende Weiße Zwerge vom Typ SN Ia, um kosmologische Distanzen sehr präzise zu bestimmen. So konnten sie die Expansionsgeschichte des Universums im Detail nachvollziehen, und sie stellten fest, dass sich der Kosmos in seiner Spätentwicklung nicht nur ausdehnt, sondern sogar beschleunigt expandiert. Für diesen Befund erhielten Saul Perlmutter, der Leiter des einen Teams, und Brian Schmidt sowie Adam Riess, die einer anderen konkurrierenden Gruppe angehörten, den Nobelpreis für Physik im Jahr 2011.
Warum war dieser Befund ein Durchbruch? Wie sich der Verlauf der kosmischen Expansion über Milliarden Jahre entwickelt, hängt empfindlich von den Materie- und Energieformen ab, die sich im Universum befinden (siehe »Vielfalt der kosmischen Expansion«). Nun gibt es unterschiedliche Energieformen. Offensichtlich bestehen zwei seiner Komponenten aus gewöhnlicher Materie (unter anderem Sternen, Planeten, Galaxien) und elektromagnetischer Strahlung, die man beide direkt beim Anblick des Nachthimmels sehen kann. Materie und Strahlung reagieren allerdings recht unterschiedlich darauf, dass das Universum infolge der Ausdehnung an Volumen zunimmt: Die Energiedichte der Strahlung nimmt schneller ab, als sich die Materie verdünnt.
Daher war die Energiedichte – Energie pro Volumen – der Strahlung vor allem in den Anfängen des Universums relevant, als der Kosmos räumlich klein und heiß war. Man spricht hier vom strahlungsdominierten Kosmos. Doch nach verhältnismäßig kurzer Zeit war die Strahlung im Kosmos durch weitere Volumenzunahme so stark ausgedünnt, dass ihre Energiedichte unter diejenige der Materie fiel. Strahlung wurde für die dynamische Entwicklung des Universums irrelevant. Dann trat der Kosmos in seine materiedominierte Phase über: Strukturbildung setzte allerorts ein; Galaxien sowie Galaxienhaufen verklumpten hier und da durch die Wirkung der Gravitation.
Die beiden Supernova-Teams dokumentierten nun, dass in der weiteren kosmischen Entwicklung etwas vollkommen Unerwartetes geschah: Der Kosmos strebte einige Milliarden Jahre nach dem Urknall beschleunigt auseinander. Ein solches Verhalten erfordert eine Antigravitation, etwas, was das Universum expandieren lässt. Albert Einstein hatte es im Jahr 1917 erfunden: die kosmologische Konstante Λ. Im Gegensatz zu Strahlung und Materie entfaltet sie eine antigravitative Wirkung. In der zugehörigen Zustandsgleichung ist das an einem negativen Druck erkennbar. Auf der Erde kennen wir ansonsten nur das Vakuum der Quantenfeldtheorien, das einen negativen Druck aufweist (Casimir-Effekt).
Um im Bild der kosmischen Entwicklung zu bleiben: Nach der materiedominierten Phase dünnen die kosmischen Energieformen weiter aus, weil das kosmische Volumen weiter zunimmt. Während alle Energieformen dadurch zur Bedeutungslosigkeit für die kosmische Dynamik verdammt sind, übernimmt dann die Energiedichte der kosmologischen Konstante. Sie dominiert die Spätphase. Aus der Sicht der Menschheit sind das die letzten Milliarden Jahre.
In den 1990er Jahren prägte der US-Astronom Michael Turner den englischen Begriff »dark energy«, auf Deutsch »Dunkle Energie«. Inzwischen wurden viele verschiedene Formen Dunkler Energie vorgeschlagen, die sich anhand ihrer Zustandsgleichung unterscheiden. Einsteins kosmologische Konstante ist eine davon, nämlich eine Form, deren Energiedichte konstant ist; demnach hängt sie nicht von der Zeit – man könnte auch sagen: nicht von der kosmologischen Rotverschiebung z – ab.
Seit Ende der 1990er Jahre basiert die Standardkosmologie auf einer Dunklen Energie. Sie ist das Beste, was wir haben, um die kosmisch beschleunigte Expansion elegant zu erklären. Es lohnt allerdings, einen Blick auf die genaue Formulierung zu werfen, wofür die drei Vertreter der beiden Supernova-Teams den Nobelpreis erhalten haben. Die Würdigung lässt sich auf der Website nobelprize.org nachlesen. Dort heißt es: »... for the discovery of the accelerating expansion of the Universe through observations of distant supernovae.« Die Ehrung erhielten sie demnach für die Entdeckung der beschleunigten kosmischen Expansion mithilfe von Supernovae – nicht für die Entdeckung der Dunklen Energie! Ersteres ist ein Befund aus Beobachtungen, und Letzteres ist eine Interpretation. Inzwischen werden Alternativen zur Dunklen Energie diskutiert.
Ab dem Jahr 1998 kam es zunächst zu einer Renaissance der kosmologischen Konstante. Sie steht als Λ am Anfang des Akronyms ΛCDM, das unser kosmologisches Standardmodell verklausuliert. »CDM« steht für eine weitere wichtige Komponente: die kalte Dunkle Materie (englisch: cold dark matter, CDM), um die es im folgenden Abschnitt gehen soll.
v) Die beobachtete großräumige Struktur Die Gravitation ist verglichen mit den anderen Fundamentalkräften – elektromagnetischer, schwacher und starker Kraft – bei Weitem die schwächste. Aber man kann sie nicht abschirmen. Auf den riesigen Längenskalen des Universums dominiert daher die unendlich weit reichende Schwerkraft. Ihre Wirkung führt dazu, dass das Universum so aussieht, wie wir es kennen.
Groß angelegte astronomische Beobachtungskampagnen wie der Sloan Digital Sky Survey (SDSS) oder der Two-degree Field Galaxy Redshift Survey (2dF GRS) dienen dazu, den Himmel nach Galaxien zu durchmustern. Astronominnen und Astronomen analysieren die so gewonnene enorme Datenmenge, bestimmen die Entfernungen der Galaxien und ihre weiteren Eigenschaften. Zusammen mit der Position am Himmel (zwei Winkel, zum Beispiel Rektaszension und Deklination) liefert die Distanz eine Tiefeninformation, eine Position in 3-D, wo sich Galaxien relativ zu uns befinden.
Visualisiert man diese Daten für Tausende Galaxien, so resultiert eine erstaunliche räumliche Ansicht der makroskopischen Welt (siehe »Großräumige Struktur in 3-D«). Auf einer Längenskala von Milliarden Lichtjahren ähnelt der Kosmos strukturell einem Nervengeflecht. Es gibt Knotenpunkte, wo sich Galaxien aufgrund der Gravitation zusammenballen. Diese Knoten sind über fadenförmige Filamente miteinander verbunden. Abseits dieser Strukturen ist der Raum über weite Strecken leer. Die gigantischen Leerräume innerhalb der gigantischen kosmischen Waben werden Voids genannt. Sie erreichen Größen von ungefähr 100 Millionen Lichtjahren!
Neben der oben angesprochenen Dunklen Energie kommt eine weitere nicht sichtbare kosmische Komponente ins Spiel: die Dunkle Materie. Evidenz für ihre Existenz kommt aus drei Richtungen: von Galaxien, von Galaxienhaufen und von der großräumigen Struktur als Ganzem.
Historisch führte sie der schweizerische Astronom Fritz Zwicky ein. Er beobachtete im Jahr 1933 den Coma-Galaxienhaufen im Sternbild Haar der Berenike (lateinisch: Coma Berenices). Ihm wurde klar, dass die elektromagnetisch sichtbare Materie – Sterne, Gas und Staub – allein nicht ausreicht, um die Galaxien des Coma-Haufens trotz ihrer enormen Geschwindigkeiten von ungefähr 1000 Kilometern pro Sekunde zusammenzuhalten. Daher postulierte er die Dunkle Materie als nicht sichtbare Materieform.
Etwa zur selben Zeit, Anfang der 1930er Jahre, betrachtete der niederländische Astronom Jan Hendrik Oort, den wir vor allem von der nach ihm benannten Oortschen Wolke am Rand des Sonnensystems kennen, unsere Galaxis. Er untersuchte die Bewegungen von Sternen in der galaktischen Scheibe, insbesondere ihre Geschwindigkeit. Oort kam zu dem Schluss, dass die bekannte sichtbare Materie im Milchstraßensystem nicht die enormen, beobachteten Geschwindigkeiten von galaktischen Sternen zu erklären vermochte. In den 1960er Jahren bestätigte die US-Astronomin Vera C. Rubin dieses Phänomen anhand von weiteren einzelnen Spiralgalaxien.
Eine Form Dunkler Materie, die sich vor allem im Außenbereich (Halo) der Spiralgalaxie befinden soll, beschleunigt über ihre Gravitationswirkung die Sterne in den Scheiben der Galaxien, sodass die beobachteten Geschwindigkeiten zu erklären sind. Zu Ehren von Vera Rubin wurde das neue 8,4-Meter-Teleskop auf dem chilenischen Cerro Pachón Vera C. Rubin Observatory getauft.
Astronomisch gibt es demnach mehrere Hinweise auf die Existenz von Dunkler Materie. Der bei Weitem überzeugendste Hinweis auf Dunkle Materie ist der Vergleich zwischen den Strukturen in der Himmelskarte der kosmischen Hintergrundstrahlung und den heutigen großräumigen Strukturen: Ohne Dunkle Materie wären die heutigen Strukturen um einen Faktor 100 geringer ausgeprägt. Das motivierte unmittelbar, nach ihr zu suchen, auch im Sonnensystem und auf der Erde. So ist es denkbar, dass sich hinter der Dunklen Materie ein neues Elementarteilchen verbirgt. Doch trotz jahrzehntelanger Suche in zahlreichen Experimenten, unter anderem auch am Large Hadron Collider (LHC) am CERN bei Genf, wurde kein einziges Dunkle-Materie-Teilchen aufgespürt.
In der Wissenschaft werden zwei Varianten unterschieden: heiße und kalte Dunkle Materie. Bei der heißen Dunklen Materie liegt ein leichtes Dunkle-Materie-Teilchen vor. Es kann sich sehr schnell bewegen, fast so schnell wie das Licht, und wird daher als »heiß« bezeichnet. Entsprechend ist von heißer Dunkler Materie (englisch: hot dark matter, HDM) die Rede. Zu dieser Materieform können die Neutrinos gerechnet werden, die es ja tatsächlich gibt, die eine fast verschwindende Ruhemasse haben und sich deshalb extrem schnell bewegen können.
Bei der kalten Dunklen Materie (englisch: cold dark matter, CDM) sind die Kandidaten für das Dunkle-Materie-Teilchen hingegen massereich und schwer. Sie können sich daher nicht so schnell bewegen. In diesem Zusammenhang ist von WIMPs die Rede, die eine Form von CDM darstellen. WIMP steht für »weakly interacting massive particle«, also ein schwach wechselwirkendes, massereiches Teilchen. In der Vergangenheit machten immer wieder vermeintliche Erfolgsmeldungen die Runde, dass ein WIMP nachgewiesen worden sei. Aber die statistische Signifikanz dieser Funde war gering. Später konnte keiner der Teilchenkandidaten bestätigt werden. Ist Dunkle Materie vielleicht gar kein Teilchen? Wir wissen es nicht. Dennoch geht die Suche in der experimentellen Teilchenphysik natürlich weiter.
Die Beweislast der fünf Befunde aus astronomischen Beobachtungen scheint erdrückend (siehe »Verblüffende Eintracht«). Sie alle legen die Geburt des Universums im heißen Urknall nahe. Alle sprechen für ΛCDM. Aber wie robust ist das kosmologische Standardmodell wirklich? Seit Jahren ringen wir um ein Verständnis darüber, was sich physikalisch hinter Dunkler Energie und Dunkler Materie verbirgt. Wenn etwas »Dunkles« über Jahrzehnte nicht nachgewiesen oder erklärt werden kann, schürt das Zweifel und motiviert zur Suche nach Alternativen. Jüngst wurden neue viel versprechende Ansätze vorgestellt, um die es im zweiten Teil gehen soll.
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