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News: Beobachtete Atome zerfallen schneller

Eine der verblüffendsten Erkenntnisse der modernen Physik ist, dass schon die einfache Beobachtung von Mikrosystemen deren Eigenschaften beeinflussen kann. Theoretisch müssten hinreichend schnell wiederholte Messungen quantenmechanische Prozesse - wie beispielsweise den radioaktiven Zerfall - sogar aufhalten können. Doch dieser so genannte Quanten-Zenon-Effekt stellt nicht die Regel, sondern lediglich eine Ausnahme dar, ergaben neue Berechnungen. In den meisten Fällen beschleunigt die Beobachtung sogar den Vorgang.
Der griechische Philosoph Zenon der Ältere, der im fünften Jahrhundert vor Christus lebte, war für seine Vorliebe für logische Knobeleien berühmt. Eine der Paradoxien, die noch heute seinen Namen trägt, betrifft den Einfluss der Beobachtung auf die Geschwindigkeit laufender Prozesse: Unterteilt man beispielsweise die Bewegung eines fliegenden Pfeils in unendlich viele Abschnitte, so müsste dieser natürlich während jedes einzelnen unendlich kurzen Moments stillstehen. Da die Summe unendlich vieler Nullen aber wiederum Null ergibt, dürfte sich der beobachtete Pfeil eigentlich nicht bewegen – so der paradoxe Schluss. Mit anderen Worten: Jemand, der dem fliegenden Pfeil wiederholt blitzschnelle Blicke zuwirft, müsste ihn damit in der Luft anhalten können.

Zenon folgerte daraus sogar, dass es überhaupt keine Bewegung gebe – wobei er sich als treuer Schüler seines Lehrers Parmenides erwies, demzufolge jegliche vermeintliche Veränderung in der Natur nichts anderes ist als menschliche Illusion.

Doch schon Aristoteles missfiel diese Weltsicht, und im 19. Jahrhundert wurde auch formal bewiesen, dass es innerhalb der einzelnen Abschnitte einer infinitesimal geteilten Flugbahn eben doch Geschwindigkeiten ungleich Null geben kann – was Zenons Argumentationskette an entscheidender Stelle zusammenbrechen lässt.

Überraschenderweise kam es dann im 20. Jahrhundert zu einer Neuauflage des antiken Beobachtungsparadoxons – im Zuge der Entwicklung der Quantenmechanik. Das sogenannte Quanten-Zenon-Paradoxon basiert auf der Erkenntnis, dass mikrophysikalische Systeme durch Beobachtung in ihrem Verhalten beeinflussbar sind. Ein anschauliches Beispiel in diesem Zusammenhang liefert der radioaktive Zerfall – der sich formal durch eine lineare Superposition verschiedener Atomzustände beschreiben lässt. Ein angeregter Zustand eines Atoms im Vakuum stellt eine Überlagerung mit dem stabilen Grundzustand samt emittiertem Elektron dar. Nun wirft der Messvorgang, bei dem festgestellt wird, ob ein Atom bereits zerfallen ist oder nicht, dieses in den Anfangszustand zurück. Physiker sprechen von einer Projektion der Superposition auf den Anfangszustand. Es ist wie in einem Sketch: Der Ober fragt den Gast so oft, ob ihm die Suppe schmeckt, dass dieser gar nicht dazu kommt, sie zu probieren. Etwas zugespitzt ergibt sich als Schlussfolgerung: Wenn die Beobachtungsrate dauerhaft so hoch ist, dass die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Messungen kürzer ist als die natürliche Lebensdauer des angeregten Zustands, dann kann das Atom nie zerfallen.

Zwei Physiker vom israelischen Weizmann Institute, Gershon Kurizki und Abraham Kofman, haben sich nun ein weiteres Mal theoretisch mit der Abhängigkeit quantenmechanischer Systeme von der Messrate auseinandergesetzt (Nature vom 1. Juni 2000). Auch sie beschreiben radioaktiven Zerfall als Kopplung der Zustände eines so genannten Reservoirs, zwischen denen Übergänge möglich sind. Eine Messung beeinflusst die System-Oszillationen, was wegen der Energie-Zeit-Unschärferelation die Energieniveaus des Ausgangszustands verbreitert. Die Zerfallshäufigkeit ist dann im Wesentlichen von der Lage der Energieniveaus der verschiedenen Reservoir-Zustände sowie von der Energieverbreiterung abhängig.

Der Quanten-Zenon-Effekt sollte auftreten, wenn die Energieverbreiterung durch wiederholte Messung groß wird im Vergleich zu bestimmten Systemgrößen. Das ist in der Regel aber nicht der Fall. Die messbedingte Energieverbreiterung wird normalerweise eher klein ausfallen. Die Folge ist gewissermaßen ein "Anti-Zenon-Effekt": Je weiter die Messrate anwächst und damit die Energieverbreiterung des instabilen Zustands zunimmt, desto größer wird die Anzahl der erreichbaren Reservoir-Zustände, zu denen ein Übergang erfolgen kann. Mit anderen Worten: Je häufiger die Messung, desto wahrscheinlicher der Zerfall!

Dazu meint Kurizki: "Wenn wir eine Analogie zwischen einem Objekt, das sich im Lauf der Zeit verändert – beispielsweise einem zerfallenden Atomkern oder einem angeregten Atom – und Zenons fliegendem Pfeil herstellen, dann beschleunigt sich der Pfeil, je häufiger die Blicke werden. Die überraschende Schlussfolgerung unserer Studie lautet, dass der Anti-Zenon-Effekt bei allen Zerfallsprozessen auftreten kann, während der ursprüngliche Zenon-Effekt Bedingungen voraussetzt, die bei derartigen Prozessen nur selten bestehen."

Nur bei einer vergleichsweise kleinen Klasse von Systemen darf man nach Kurizki und Kofman den herkömmlichen Quanten-Zenon-Effekt erwarten – und selbst dort wiederum nicht, denn die Messraten, die zum Erzielen des Effekts notwendig wären, würden das System sofort zerbersten lassen.

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