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News: Bergen beim Wachsen zusehen

Mit Hilfe des Satelliten-Navigationssystems, das auch Autofahrer und Schiffer verwenden, haben Geologen die Bewegung eines ganzen Kontinents überwacht und das jährliche Wachstum der Anden in Südamerika mit einer Genauigkeit von wenigen Millimetern aufgezeichnet.
Die Ergebnisse, die in Science vom 16. Januar 1998 vorgestellt werden, wecken Hoffnungen auf verbesserte Erdbebenvorhersagen, da Geologen mit Hilfe der Satellitendaten die Spannungen berechnen können, die sich entlang von Verwerfungen aufbauen.

Forscher der Northwestern University, der University of Miami, der Carnegie Institution und der University of Memphis sowie Wissenschaftler aus Peru und Bolivien haben mit Hilfe der Satelliten des NAVSTAR Global Positioning System (GPS) die Bewegungen an Meßpunkten, die über den südamerikanischen Kontinent verteilt liegen, verfolgt. Mit ihrer neuen Methode erhielten sie schon nach zwei Jahren Ergebnisse. Früher mußten sich Geologen auf Daten verlassen, die Plattenbewegungen über Millionen von Jahren beschreiben.

„Wir befinden uns jetzt in einer völlig neuen Welt, denn wir können uns die Geologie in Echtzeit betrachten“, sagte Seth Stein, Professor für Geowissenschaften an der Northwestern University und leitender Forscher der Studie. „Das GPS hat unser Forschungsgebiet von einer historischen Annäherung zu einer zeitgemäßen Herangehensweise gewandelt.“

Darwin hatte als erster vermutet, daß die gigantischen Berge, riesigen Vulkane und starken Erdbeben entlang der Pazifikküste Südamerikas ursächlich zusammenhängen. In den sechziger Jahren erkannten Geologen, daß alle diese Phänomene Folgen der Tatsache sind, daß die ozeanische Nazca-Platte unter die südamerikanische Platte gleitet.

Doch Wissenschaftler, die die Plattentektonik untersuchten, konnten nur Veränderungen beobachten, die sich über Millionen von Jahren akkumuliert hatten, weil die Platten von der Größe eines Kontinents sich jedes Jahr nur wenige Zentimeter bewegen – etwa mit der Geschwindigkeit, in der Fingernägel wachsen.

Die Situation änderte sich mit Einführung des GPS. Das Global Positioning System ist ein Netzwerk von zwei Dutzend um die Erde kreisenden Satelliten. Es wurde in den siebziger Jahren vom US-Verteidigungsministerium entwickelt, um den Aufenthaltsort von Schiffen und Flugzeugen auf etwa 100 m genau zu bestimmen. Dieselbe Genauigkeit erwies sich auch für Speditionsfirmen und Schiffsflotten als nützlich. Inzwischen ist ihr Einsatz so weit verbreitet, daß Autofahrer, Schiffer und sogar Wanderer von dem System Gebrauch machen.

Geologen haben im vergangenen Jahrzehnt die Technologie so weit verfeinert, daß sie in der Lage sind, einen Ort mit weit größerer Präzision zu bestimmen – bis auf 3 mm genau!

„Offensichtlich hatte das Militär keinen Bedarf, Ziele bis auf eine Genauigkeit von 3 mm zu bestimmen – und Autofahrer brauchen das auch nicht“, sagte Stein. „Wenn Sie einen GPS-Empfänger einschalten und nur zwei Minuten warten, erhalten sie genaue Informationen darüber, wo Sie sich gerade befinden – mit einer Genauigkeit von 100 m. Wenn Sie jedoch über einen längeren Zeitraum von einigen Tagen messen und einen Empfänger für 20000 Dollar statt für 300 Dollar benutzen, dann erhalten Sie eine Genauigkeit im Millimeterbereich.“

An 43 unterschiedlichen Stellen auf dem südamerikanischen Kontinent (Karte, 77KB) brachten die Forscher große Markierungen an. Sie reisten zu jedem Ort und benutzten ein auf einem Dreifuß installiertes präzises optisches Lot, um eine Antenne direkt über dem Orientierungspunkt zu positionieren. Dann wurden die Satelliten einige Tage lang verfolgt, während der GPS-Empfänger deren Positionen aufzeichnetete.

„Dadurch erhielten wir eine gewaltigen Datenmenge, so daß wir äußerst genaue Bodenpositionen bekamen“, erklärte Lisa Leffler-Griffin, Doktorandin an der Northwestern University. „Wir bearbeiteten die Satellitendaten, um Schwankungen durch ungenaue Bahndaten oder atmosphärische Störungen loszuwerden.“

Die Ergebnisse zeigen, daß die südamerikanische und die Nazca-Platte sich im Jahr um rund sieben Zentimeter gegeneinander verschieben. Die Bewegung ist dreigeteilt: Etwa drei Zentimeter gleitet die Nazca-Platte jedes Jahr sanft unter Südamerika, wodurch Vulkane entstehen. Weitere drei Zentimeter stauen sich an der Plattengrenze auf und werden in unregelmäßigen Abständen von circa 100 Jahren in großen Erdbeben freigesetzt. Schließlich wird Südamerika um einen Zentimeter im Jahr verkürzt, wodurch die Anden aufgebaut werden.

„Die Anden waren für uns ein Ziel erster Güte, weil sie zusammen mit dem Himalaya das höchste und großflächigste Bergmassiv sind, das gegenwärtig am Wachsen ist“, sagt Stein. „Das ist ein seismisch sehr anfälliges Gebiet. Einige der größten Erdbeben in der Welt ereignen sich hier.“

Die experimentell erworbenen Daten stimmten gut mit theoretischen Modellen überein, die Zeiträume von Millionen Jahren beschreiben. Nach Ansicht der Forscher scheint die Plattenbewegung ein sehr gleichmäßiger Vorgang zu sein.

(siehe Geodätische Messung der Plattentektonik in Spektrum der Wissenschaft 1/96, Seite 115)

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