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Geologie: Wenn die Erde nachgibt

Bergstürze sind als Gefahr in den Bergen bekannt. Doch manchmal sackt mitten in der Stadt der Boden ab und mit ihm Häuser. Beide Phänomene sind teils schwer vorherzusagen. Forscher arbeiten daran. Auch neue Technologien wie Drohnen kommen zum Einsatz.
Zerstörtes Gebäude

Der Hochwanner ist eher etwas für Spezialisten; er steht deutlich im Schatten seiner Nachbarin, der Zugspitze. Mit 2744 Meter Höhe ist er zwar Deutschlands zweithöchster Berg und liegt südlich von Garmisch-Partenkirchen im Wetterstein-Massiv auf der Grenze zu Österreich. Doch allenfalls bei Kletterern ist er berühmt für seine Nordwand, die fast 1400 Meter steil aus dem Reintal aufsteigt. Vor etwa 500 Jahren sind dort drei Millionen Kubikmeter Fels abgebrochen. Heute liegt dieser Fels als »Steingerümpel« im engen Tal und zwingt die eiskalte Partnach zu einem unterirdischen Verlauf. Etwas daneben findet sich das kleinere Geröllfeld »Blaue Gumpe«, das bei einem Bergsturz von einer Million Kubikmetern im Jahr 1800 entstanden ist.

»80 000 Kubikmeter hängen aber noch in der Abbruchnische und könnten abstürzen. Außerdem gibt es hier überhaupt viel Steinschlag. Aus beiden Gründen haben wir dort ein Observatorium aufgebaut«, sagt Jens Turowski vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. Eine Infrarot- und eine optische Kamera beobachten die Wand, sechs Seismometer, die kleinste Erschütterungen registrieren, liegen davor und darüber. »Damit können wir im Prinzip Einschläge von Steinen von der Größe eines Fußballs triangulieren«, sagt der Physiker, also den Ort aus den Signalen berechnen. Wo sie aus der Wand gebrochen sind, lässt sich bei wiederkehrenden Messungen mit einem Laserscanner erfassen, der die Felsen vorher und nachher vergleicht. »Wir sehen dann, wo etwas fehlt, denn die freigesetzte Energie beim Abbrechen können unsere Instrumente meistens nicht vom Rauschen trennen – im Gegensatz zum Einschlag.«

Steinschlag ist eine der Naturgefahren, die grundsätzlich überall im Gebirge drohen; wenn sich mehr als eine Million Kubikmeter lösen, sprechen Geoforscher auch von einem Bergsturz. Wie am Hochwanner erwarten Geologen am Hochvogel im Allgäu und am Hochnissl bei Innsbruck in Tirol, dass sich eines nicht allzu fernen Tages größere Felsmassen lösen.

Bergsturz unterschätzt

Der größte Bergsturz der jüngeren Vergangenheit in den Alpen ereignete sich im August 2017 im schweizerischen Kanton Graubünden. Von der Nordflanke des Piz Cengalo fielen Millionen Kubikmeter Geröll ins Tal beim Dorf Bondo nieder. Obwohl Geologen schon Ende Juli klare Zeichen gesehen hatten, unterschätzten sie und die zuständigen Behörden offenbar, wie akut die Gefahr war: Acht Bergwanderer kamen auf den nicht gesperrten Wegen ums Leben.

»In Deutschland werden solche Unglücke und Schäden durch Naturgefahren im Gegensatz zur Schweiz nicht systematisch erfasst«, sagt Turowski. Insgesamt wissen die Forscher über die Details der Prozesse, die zum Bergsturz führen, noch zu wenig. Das Reintal gilt aber als außergewöhnlich aktives Gebiet. Schon Anfang der 2000er Jahre hatten darum Forscher der Technischen Universität München (TUM) dort Netze aufgestellt, um die Menge der abstürzenden Felsen zu erfassen. Bei kleinen Ereignissen, die jeweils weniger als zehn Kubikmeter ausmachen, kamen hochgerechnet gut 1500 Kubikmeter pro Jahr herunter. Rechnet man die historischen Bergstürze dazu, krachen im Durchschnitt fast 9000 Kubikmeter Geröll pro Jahr zu Tal.

Detailliertere Einblicke als das noch junge Observatorium am Hochwanner erlaubte eine ähnliche Beobachtungsplattform im Lauterbrunnental des Berner Oberlands. Dort liegt unterhalb des Ortes Mürren eine steile Felswand, von wo sich im Sommer Basejumper in die Tiefe stürzen. Hier hatte das Team des GFZ ebenfalls sechs Messgeräte, so genannte Geofone, installiert und in jeweils drei Monaten im Herbst 2014 und Frühjahr 2015 insgesamt 49 Ereignisse vermessen; beim größten davon hatten sich gut zwei Kubikmeter Material gelockert. »Für die Größe der Wand ist das schon eine hohe Frequenz, und dort gibt es viele Wanderer, viel Tourismus«, sagt Turowski.

Wechsel von Wärme und Kälte als Ursache

Die Studie lieferte einige vor allem für die Region spezifische Ergebnisse: So gab es zum Beispiel um acht Uhr morgens und abends eine leichte Häufung der Ereignisse. Und bei jeweils etwa einem Drittel waren der Wechsel von Kälte und Wärme sowie Regenfälle Auslöser des Bergsturzes. Frieren und Tauen hat nur etwa ein Zehntel der Blöcke aus der Wand gebrochen.

Die Veränderungen, die Wasser, Frost und Temperaturschwankungen im Gestein auslösen, sind indes überall im Gebirge zu beobachten. Zieht sich das Material bei Kälte zusammen, bevor es sich bei Wärme wieder ausdehnt, werden vorhandene Risse immer größer. Dringt Wasser in Spalten und gefriert dort, drückt das Eis mit seinem größeren Volumen gegen den Fels. Treibt ein Gewitter Regen in die Wand, wirkt nicht nur hydrologischer Druck in allen Klüften, sondern die Flüssigkeit verringert ebenso die Reibung und kann den letzten Impuls für einen Felsbruch liefern. »Bergstürze können vom Wasser ausgelöst werden, doch ihre Ursache ist es nicht unbedingt«, bestätigt Jens Turowski. Auch die Forscher aus München hatten vor einigen Jahren am Beispiel Reintal und Hochwanner festgestellt, dass schwere Gewitter und starke Niederschläge in mehr als 90 Prozent der Fälle dem Steinschlag unmittelbar vorausgingen.

»Bergstürze können vom Wasser ausgelöst werden, doch ihre Ursache ist es nicht unbedingt«Jens Turowski

Anfällig für solche Ereignisse sind vor allem steile Wände sowie Felsregionen, wo es bereits Verwerfungen gibt und/oder verschiedene Gesteinsarten aufeinandertreffen. Der Klimawandel hat zudem weitere Szenarien für Bergstürze geschaffen: Zurückgehende Gletscher verlieren ihre stützende Funktion oder legen Gestein frei, das vorher nicht von der Witterung angegriffen wurde. Und tauender Permafrost macht den bislang dauerhaft gefrorenen Untergrund weich und gefährdet so die Stabilität. Schon eine kleine Erwärmung kann dann überproportionale Folgen haben.

Am Kitzsteinhorn bei Kaprun im österreichischen Bundesland Salzburg untersuchen einheimische und deutsche Forscher solche Veränderungen im Permafrost. Wissenschaftler aus Innsbruck verfolgen die Rissbildung mit Fugenmessern; Salzburger Geomorphologen installierten Temperaturfühler 30 Meter unter der Oberfläche; und die Wissenschaftler um Michael Krautblatter von der TUM haben die elektrische Leitfähigkeit der Bergflanke erfasst, teilweise im Vierstundentakt, um Vorzeichen von Abbrüchen erkennen zu können.

»Es gibt an der Zugspitze Felsbereiche, die sind zum ersten Mal seit hunderten oder tausenden Jahren aufgetaut. Wenn sich da gerade eine Kluft befindet, die anfällig ist, dann kann das auch zu Felsstürzen führen«Michael Krautblatter

An der Zugspitze testen die bayerischen Forscher mit der Methode regelmäßig die Ausdehnung des dauerhaft gefrorenen Inneren. Besonders im extrem heißen Sommer 2018 ist der linsenförmige Permafrostbereich deutlich weiter zurückgegangen als sonst in der warmen Jahreszeit. »Es gibt dort Felsbereiche, die sind zum ersten Mal seit hunderten oder tausenden Jahren aufgetaut. Wenn sich da gerade eine Kluft befindet, die anfällig ist, dann kann das auch zu Felsstürzen führen«, sagte Krautblatter vor Kurzem bei einem Interview im Bayerischen Rundfunk. »Bei der Zugspitze sind wir relativ sicher, dass in 50 Jahren kein Permafrost mehr da ist.«

In Mittelgebirgen kommt es aber ebenfalls vor, dass Hänge instabil werden. So hat zum Beispiel die Forschungsstelle Hangrutschungen in Mainz Ereignisse im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb, 2011 am Kap Arkona auf Rügen und 2015 in der Marienschlucht bei Allensbach am Bodensee dokumentiert: In den beiden letzteren Fällen gab es dabei jeweils ein Todesopfer. Dem Unglück im Südwesten waren tagelange schwere Regenfälle vorausgegangen.

Andere Ereignisse werden zum Teil vom Naturkatastrophendienst (NatCat-Service) der Versicherungsgesellschaft Munich Re erfasst. Etwa der Abbruch eines Lehmbrockens 2012 in Großostheim bei Aschaffenburg, von dem eine Fünfjährige erschlagen wurde. Oder als im Jahr 2010 an einem Hügel in Stein an der Traun nordöstlich des Chiemsees ein Block von der Größe eines Busses aus der Wand brachund ein Haus zerdrückte, in dem zwei Menschen starben.

Schwaches Erdbeben als Auslöser

Das größte Ereignis dieser Art in Deutschland passierte 2009, als am Ufer einer gefluteten Braunkohlegrube bei Nachterstedt in Sachsen-Anhalt die Erde auf einer Länge von mehreren hundert Metern nachgab. Ein Doppelhaus und Teile eines Mehrfamilienhauses wurden in die Tiefe gerissen, drei Menschen verschüttet. Als Ursachen identifizierten Experten den Anstieg des Grundwassers sowie unbekannte Stollen alter Bergwerke im Untergrund; Auslöser könnte ein sehr schwaches Erdbeben gewesen sein.

In Zukunft könnten auch Drohnen bei der Überwachung helfen. An der Universität Freiburg und dem Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik haben Forscher an einen Multikopter eine 2,5 Kilogramm schwere Box gehängt, die den Untergrund per Kamera und Laserscanner untersucht. Die pulsierende Lichtquelle arbeitet dabei im Prinzip wie ein Radargerät: Sensoren fangen Reflexionen am Untergrund auf, und die Elektronik berechnet dann aus der Laufzeit des Lichtblitzes, wie weit der Fels entfernt ist. Der Vergleich mehrerer solcher Aufnahmen enthüllt Veränderungen.

Wird der Boden instabil, kann er Menschen nicht nur unter sich begraben, er kann auch unter ihren Füßen wegbrechen. Wissenschaftler sprechen dann von Erdfällen oder Dolinen; sie sind auch im Flachland eine Naturgefahr. »Wenn im Untergrund lösliches Material wie Muschelkalk oder Salz mit Wasser in Kontakt kommt und weggespült wird, bilden sich Poren und Hohlräume, die nachgeben können«, erklärt Charlotte Krawczyk vom GFZ das Phänomen. Das kann an vielen Stellen in Norddeutschland vorkommen, wo Salzstöcke im Untergrund liegen.

Wenn sich plötzlich ein Krater auftut

Südlich der Linie Kleve-Cottbus hingegen gibt es größere Gebiete mit Karbonatgestein und Karst, wo ähnliche Phänomene möglich sind, zum Beispiel südöstlich von Köln, südlich von Weimar und im oberen Tal der Donau. So tat sich zum Beispiel im thüringischen Schmalkalden im Jahr 2010 plötzlich ein Krater von 30 mal 30 Meter und 20 Meter Tiefe in einer Hügelsiedlung auf. In Nordhausen am Harz brach 2016 der Hof eines Firmengeländes ein. Und in Quickborn nördlich von Hamburg senkte sich 2010 die Erde auf dem Spielplatz vor zwei Mehrfamilienhäusern um 80 Zentimeter und 2018 in einem Garten in der Nähe um 50 Zentimeter.

Krawczyk koordiniert ein Verbundprojekt namens Simultan mit zehn weiteren Instituten, Hochschulen und Behörden, das ein Früherkennungssystem entwickeln will. Zwei Gebiete sind dabei besonders im Fokus: Thüringen und Hamburg. In der Hansestadt geht es um die Gegend um den Flottbeker Markt im Westen der Stadt, wo ein morastiges kleines Waldstück in einer Senke mitten im Wohngebiet liegt. Hier findet sich im Untergrund ein Salzstock, der nach Norden Richtung Quickborn verläuft. Im April 2009 hatte es hier mehrere schwache Erdbeben gegeben, die die Anwohner eines kleinen Gebiets beunruhigt hatten. »Die Beben stehen im Zusammenhang mit Lösungsvorgängen im Gipshut des Salzstocks im Untergrund«, erklärten die Behörden damals und veranlassten, dass der Neubau eines Supermarkts am Flottbeker Markt verlegt wurde.

Inzwischen haben die Geophysiker aus Krawczyks Projekt entlang einiger Straßen der Gegend seismische Messungen gemacht, um mehr über den Untergrund zu erfahren. Sie erkunden das Erdreich mit Geofonen und einem Vibrationsgerät. Damit lassen sich Bilder vom Untergrund erzeugen, die zeigen, ob Schichten verzogen oder versetzt sind.

Kippt die Kirche bald um?

In Bad Frankenhausen, am für Erdfälle bekannten Kyffhäusergebirge in Thüringen gelegen, sieht man die Gefahr schon im Dorfbild: »Der Kirchturm dort steht schief, er ist stärker geneigt als der schiefe Turm von Pisa«, sagt Krawczyk. »Hier reichen die Störungen im Untergrund bis zur Oberfläche, wo Wasser eindringen kann.« Die Erdwissenschaftler kennen sogar einen Hohlraum in 30 bis 40 Meter Tiefe nahe dem Kirchenfundament. Ein Netzwerk von Sensoren überwacht jetzt dort die weitere Entwicklung.

Wenn Erdfälle auftreten, sind die Ereignisse bisweilen indirekt von Menschen gefördert worden, zum Beispiel bei Bauprojekten. Im ungestörten Boden, erklärt Krawczyk, könnte das Grundwasser zwar Salz bis zur Sättigungsgrenze gelöst haben. Wenn aber eine Baugrube ausgehoben und darunter Flüssigkeit abgepumpt wird, gelangt von der Seite frisches Wasser an den Salzstock und löst weiteres Material ab.

Um die Gefahr zu bändigen, kennen die geologischen Dienste der Bundesländer mehrere Methoden. In der Gemeinde Tiefenort etwa, die zu Bad Salzungen gehört, haben Experten beim Auffüllen eines Erdfallkraters ein schweres Gewicht eingegraben, das mit einem Draht an einem Messgerät hängt. Hier lässt sich regelmäßig kontrollieren, ob der Untergrund wieder nachgegeben hat und die Prüflast tiefer abgesunken ist.

Blick aus dem All erkennt wenige Zentimeter Senkungen

Sehr hilfreich sind auch wiederholte Satellitenmessungen der Oberfläche. Werden sie überlagert, zeigt sich schnell und präzise, wo der Boden abgesackt ist. Die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat mit der Methode zum Beispiel Norddeutschland und das Rhein-Mosel-Gebiet untersucht. Auf den Karten steht Grün für kaum merkliche Veränderungen, Blau markiert Hebungen und Rot Senkungen. So sind etwa Gebiete in der Nähe von Cloppenburg und Wolfsburg sowie westlich von Koblenz gekennzeichnet.

»Es dauert meist sehr lange, bevor es dann superschnell passiert«Charlotte Krawczyk

Mit Hilfe der regelmäßigen Blicke aus dem All haben israelische Geoforscher am Toten Meer ein Frühwarnsystem errichtet: Schon eine Absenkung von wenigen Zentimetern lässt sich dort erkennen – ein klarer Hinweis, dass sich bald ein Erdfall bildet. Das Tote Meer ist für die Geoforscher eine wichtige Forschungsregion, »weil dort alles so schnell geht. Außerdem ist die Landschaft nicht von Pflanzen überwuchert, so dass man sehr gut sieht, was passiert«, schwärmt Charlotte Krawczyk.

Auch hier ist der Prozess eine Folge menschlicher Eingriffe. Große Mengen Wasser werden für die Landwirtschaft aus dem Zufluss des salzigen Sees, dem Jordan, gepumpt; deshalb ist der Wasserspiegel deutlich gesunken. Aus den nahe gelegenen Bergen strömt nun langsam frisches Wasser nach und beginnt den Untergrund aufzulösen. 6000 Löcher sind darum dort in kurzer Zeit entstanden, berichtete jüngst die Fernsehsendung »Planet Wissen«. Das Strandbad Mineral Beach musste gesperrt werden, große Bereiche des Ufers sind nicht mehr zugänglich. In Israel ist damit eine Regel zum Teil außer Kraft gesetzt, die sonst für alle Arten von Erdfällen und Bergstürzen gilt: »Es dauert meist sehr lange«, sagt Charlotte Krawczyk, »bevor es dann superschnell passiert.«

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