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Bernstein: Urviecher in Goldgelb

Bernstein, in dem Tiere oder Pflanzen stecken, ist ein besonderer Schatz für die Forschung. Doch der Blick in die Urzeit trübt sich. Viele Museumsstücke drohen zu zerbröseln.
In den Schubladen der Bernsteinsammlung am Naturkundemuseum Berlin lagern 40000 Stücke. Darunter dieses Exemplar mit eingeschlossener Ameise.

Berliner Naturkundemuseum, dritter Stock, direkt unter dem Dach: ein schmuckloser Raum, mit einer Phalanx von grauen Metallschränken und einer Reihe von Kartons, die noch darauf warten, ausgepackt zu werden. Nicht gerade das, was man sich unter einer prunkvollen Schatzkammer vorstellt. Und doch wird hier – in dem bis auf ein paar Oberlichter fensterlosen Raum – ein wissenschaftlicher Schatz aufbewahrt, von dem sich noch gar nicht genau sagen lässt, wie wertvoll er eigentlich ist.

»Hier befindet sich die Bernsteinsammlung des Museums, etwa 40 000 Stücke, alle mit Inklusen«, sagt Christian Neumann, der Kurator der Sammlung. Inklusen, das sind Einschlüsse im Material. Als das Baumharz vor mehreren Millionen Jahren von den Bäumen tropfte, umschloss es kleine Insekten, Spinnen, Blätter, Pollen und Blüten und konservierte sie so bis heute. Tausende längst ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten lagern in den Schränken. Sie sollen mit den wissenschaftlichen Methoden und technischen Möglichkeiten von heute untersucht und bestimmt werden.

Die Sammlung ist zwar bereits gut erforscht und international renommiert. Wegen der hohen Diversität der eingeschlossenen Organismen bietet sie aber noch genügend Forschungsmaterial für die Zukunft. Das macht sie so wertvoll. Vor allem die große Zahl so genannter Holotypen trägt dazu bei. Das sind Exponate, anhand derer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Art beschrieben und definiert haben. Rund 850 Holotypen lagern in den Metallschränken unterm Museumsdach.

Wie die Bernsteinstücke ins Berliner Naturkundemuseum kamen

Die Lagermethoden entsprechen allerdings noch nicht den neuesten wissenschaftlichen Standards. Häufig werden die Stücke noch genauso aufbewahrt wie zu der Zeit, als sie ins Museum kamen. Nicht selten ist das mehr als 100 Jahre her. Neumann öffnet eine Schranktür, auf der »Sammlung Berendt« steht, und zieht eine Schublade heraus. Darin liegen dutzende akkurat gefaltete Briefchen, zum Teil mit grazilen Buchstaben beschriftet. Georg Carl Berendt (1790–1850) war Augenarzt in Danzig und ein leidenschaftlicher Bernsteinsammler und Naturforscher. Schon früh erkannte er die Bedeutung der Inklusen und veröffentlichte 1845 das Buch »Die im Bernstein befindlichen organischen Reste der Vorwelt«. Ein paar Jahre nach Berendts Tod im Jahr 1850 kaufte Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) die Sammlung für das Naturkundemuseum auf.

Briefchen | Fein säuberlich sind dutzende Bernsteine in Papier gefaltet. Der Danziger Augenarzt Georg Carl Berendt hatte die Stücke gesammelt, der preußische König Friedrich Wilhelm IV. hat sie für das Berliner Museum erworben.

Die Kollektion des Museums besteht aus mehreren Schenkungen von Privatsammlern. Manche Bernsteine sind in gut verkorkten Reagenzgläsern untergebracht, andere lagern in Zigarrenschachteln oder sind in Watte gepackt. Viele Stücke lagern jedoch auch lose in kleinen Plastikboxen und sind zum Teil in Form von Schmuckperlen oder Tropfen geschliffen. Sie stammen aus dem Braunkohletagebau Goitzsche bei Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Dort wurde in den 1970er Jahren Bernstein entdeckt, den der Volkseigene Betrieb (VEB) Ostseeschmuck in Ribnitz-Damgarten zu Ketten, Broschen und Anhängern weiterverarbeitete. Der damalige Direktor des Naturkundemuseums, Manfred Barthel (1934–2019), hatte mit der VEB die Vereinbarung getroffen, dass Stücke mit Inklusen dem Museum überlassen werden. So gelangten in den 1970er und 1980er Jahren zirka 10 000 Stück nach Berlin.

Das Mekka der Bernsteinforschung

So interessant die individuellen Aufbewahrungsmethoden auch sein mögen, besonders gut für die Objekte selbst sind sie nicht: »Bernstein ist ein sehr empfindliches Material, das zum Beispiel auf Temperaturschwankungen und auf Licht reagiert«, sagt Eva-Maria Sadowski. Sadowski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum und hat 2021 im Fachblatt »Earth-Science Reviews« eine Studie über die Konservierung von Bernstein veröffentlicht. Die Paläobotanikerin hat bereits ihre Doktorarbeit an der Universität Göttingen über die in Bernstein konservierte Pflanzenwelt im Ostseeraum geschrieben. Göttingen ist ebenso wie Berlin ein Mekka der Bernsteinforschung. Während des Zweiten Weltkrieges waren die wichtigsten Teile der Königsberger Sammlung – rund 30 000 Stück – nach Göttingen ausgelagert worden. Dort sind sie bis heute geblieben.

»Vor allem Sauerstoff setzt Bernstein zu. Aus konservatorischer Sicht ist es deshalb das Beste, die Stücke in Kunstharz einzubetten«, sagt Sadowski. Bei ungünstigen Lagerbedingungen kommt es relativ schnell zu Zerfallserscheinungen wie Rissen, Brüchen oder Verfärbungen, die dann die Unversehrtheit der im fossilen Harz eingeschlossenen Tiere und Pflanzenfragmente gefährden. Tatsächlich finden sich schon bei einer oberflächlichen Durchsicht der Sammlung Zeichen des Zerfalls: Bernsteinstaub, der sich in einigen Aufbewahrungsboxen sammelt, oder schartige Kanten, weil Exponate rissig und brüchig geworden sind. In ihrer aktuellen Studie stellen Sadowski und ihr Team Exponate vor, die sich durch die unsachgemäße Aufbewahrung verfärbt haben oder aufgerissen sind. Die Einschlüsse lassen sich dann kaum noch erkennen. In den Rissen wachsen zudem leicht Kristalle, oder es gelangt Luft an die Millionen Jahre alten Inklusen.

Viele der großen historischen Bernsteinsammlungen müssen dringend besser konserviert werden, um sie für künftige Forschergenerationen zu erhalten. Das Berliner Naturkundemuseum bildet da keine Ausnahme. Immerhin, die Bernsteine lagern im Dunkeln und in Metallschränken. In Holzschränken können die Ausdünstungen von Ölen oder Lacken den Stücken zusetzen. Aber: Der Raum ist großen Temperaturschwankungen ausgesetzt. Gerade im Sommer kann es unter dem Dach sehr heiß werden.

Ein Plan für die Zukunft der Bernsteinsammlung

Doch in Zukunft soll sich dort einiges ändern. Es gibt einen 660 Millionen Euro schweren Zukunftsplan für das Museum, der die altehrwürdige Institution aus dem 19. Jahrhundert fit für das 21. Jahrhundert machen soll. Neben großen Bauvorhaben gehört die Aufarbeitung der wissenschaftlichen Sammlungen dazu, unter anderem soll die Bernsteinsammlung fotografiert, dokumentiert und digitalisiert werden. Das ist der erste Schritt, um später weitere konservatorische Maßnahmen ergreifen zu können.

»Für die Zukunft streben wir die Lagerung der Inklusen in Klimaschränken an«, sagt Christian Neumann. Ein erster konnte bereits bestellt werden. Darin lassen sich die Luftfeuchtigkeit und die Temperatur genau regulieren. Außerdem sollen so viele Exponate wie möglich zum Schutz in Kunstharz gegossen werden.

Seltenheit | Blüten oder andere Pflanzenteile, die von Baumharz umschlossen sind, finden sich äußert selten. Das liegt nicht nur an den urzeitlichen Umweltbedingungen, sondern auch am modernen Sammlerverhalten: Bernsteine mit Tierchen sind schlicht beliebter.

Bis es so weit ist, wird es aber noch dauern. Einen einzelnen Bernstein in Kunstharz einzubetten und so anzuschleifen, dass die Inkluse gut sichtbar darin ruht, kann mehrere Stunden in Anspruch nehmen. »Bislang sind es Einzelstücke, die wir entsprechend bearbeiten«, sagt Sadowski. Bevor sie im Bernstein ein Blatt oder eine Blüte betrachtet, schleift sie manche Stücke an, damit sie die Einschlüsse bestmöglich erkennen kann – und übergießt sie anschließend mit einem Gemisch aus Epoxidkunstharz und Härter. Ist das nach drei Tagen ausgehärtet, muss sie das Objekt nochmals schleifen und polieren.

Welche Tiere und Pflanzen in den Bernsteinen schlummern

»Einschlüsse von Pflanzenteilen sind wesentlich seltener als die von Insekten oder anderen Tieren«, sagt Eva-Maria Sadowski. Letztere näherten sich oft frischem Baumharz, weil sie der aromatische Geruch lockte. Nicht selten blieben sie dabei an der Masse kleben und wurden von ihr umschlossen. Eine Blüte oder ein Blatt hingegen muss zufällig auf die klebrige Substanz geweht werden. Geschätzt enthält nur etwa jeder 1000. Bernstein aus dem Ostseeraum einen Einschluss. Und nur ein bis drei Prozent dieser Inklusen sind pflanzlich.

Bei Sammlern sind eingeschlossene Insekten oder Spinnen beliebter als Pflanzen. Vermutlich weil man als Laie eine Ameise oder Fliege leicht identifizieren und zuordnen kann – besser jedenfalls als ein Blatt oder ein Samenkorn. Auch deshalb sind die pflanzlichen Einschlüsse in den großen historischen Sammlungen eher eine Seltenheit.

Nicht nur weil sie eine Rarität sind, hat Eva-Maria Sadowski die pflanzlichen Inklusen zu ihren bevorzugten Forschungsobjekten gemacht: »Damit bekommen wir ein ziemlich gutes Bild der Pflanzenwelt vor zirka 34 bis 38 Millionen Jahren«, sagt sie. In ihren Studien hat sie schon zeigen können, dass der Baltische Bernsteinwald – damit ist der urzeitliche Forst gemeint, der sich einst über Teile des Baltikums erstreckt haben muss – aus vielen unterschiedlichen Lebensräumen bestand. Sadowski identifizierte Blüten und Pollen von Gewächsen, die in Küstensümpfen und Hochmooren heimisch waren, daneben Pflanzenteile, die für Auwälder und Sümpfe im Hinterland typisch sind. Zudem muss es einst Mischwälder oder Wiesen mit Nadelgehölzen und Blütenpflanzen gegeben haben. Der Baltische Bernsteinwald war demnach nicht nur ein Wald, sondern auch eine sehr heterogene und artenreiche Landschaft.

Bei der Untersuchung der Inklusen stellte sich zudem heraus, dass im Ostseeraum einst Arten wuchsen, deren Nachfahren heute nur noch in Nordamerika oder Ostasien zu finden sind. So zum Beispiel Koniferen der Gattungen Cathaya und Nothotsuga. Der Grund für die Wanderung war ein natürlicher Klimawandel. Seit dem Ende des Eozäns vor etwa 34 Millionen Jahren wurde es in Europa und Nordamerika deutlich kühler. Wärme liebende Pflanzen wichen daraufhin in für sie angenehmere Regionen aus.

Bernstein im CT | Die Berliner Naturkundler ließen einige Bernsteinobjekte am Deutschen Elektronen-Synchrotron scannen. Am Computer konnten sie das Urzeitharz dann auseinandernehmen und die eingeschlossenen Pflanzen bis ins Innere betrachten. Zu sehen ist hier eine Blüte, welche die Berliner Forscher mit Hilfe der Profilaufnahmen der Kastanienart Castanopsis kaulii zuweisen konnten.

Dass die Arten dabei so weite Wege bewältigten und die im Bernstein konservierte Flora der Vegetation von Nordamerika und Asien ähnelt, hat mit den damaligen Verbreitungsrouten zu tun: Zwischen Nordamerika, Grönland, Island und Europa bestand vor etwa 66 bis 23 Millionen Jahren eine Landbrücke, über die sich amerikanische Arten nach Europa und weiter bis Asien ausbreiten konnten. Aus den Inklusen ermitteln Fachleute wie Eva Maria Sadowski also wertvolle Kenntnisse über die erdgeschichtliche Vergangenheit.

Der Bernstein wird am Computer aufgeschnitten

Für die richtige Bestimmung einer Pflanze ist es jedoch wichtig, dass man alle Bestandteile im Bernstein genau erkennen kann. Bei Blüten beispielsweise Fruchtknoten, Kelch- und Staubblätter. Eine Blüte, die im Sediment versteinert, wird im Lauf der Zeit wie zwischen zwei Buchdeckeln plattgepresst. Im Bernstein dagegen bleibt die dreidimensionale Form erhalten, die dann im Lichtmikroskop plastisch und detailreich gut sichtbar wird. Moderne Technologien bieten außerdem neue Möglichkeiten der Betrachtung. »Mit Hilfe der Computertomografie können wir heute extrem detailreiche Bilder der Inklusen machen«, sagt Sadowski. Dabei werden die Stücke an einem Micro-CT am Naturkundemuseum oder in einem Teilchenbeschleuniger im Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg gescannt. Das Synchrotron ermöglicht besonders hoch aufgelöste Aufnahmen. Bei beiden Verfahren werden von den Objekten zahlreiche Einzelbilder aufgenommen. Später, bei der Bearbeitung, fügen die Forscherinnen und Forscher die Einzelscans zu einem dreidimensionalen Modell der Inkluse zusammen. Am Computer lässt sich das Modell zudem beliebig zerlegen und zerschneiden – man kann bis ins Innere einer Blüte blicken.

»Das Tolle an dem Verfahren ist, dass wir einen sehr detaillierten Einblick bekommen können, ohne das Exponat zu beschädigen«, sagt Sadowski. Das System ist noch nicht perfekt. Durch die Bestrahlung im Teilchenbeschleuniger trübt sich der Bernstein ein. Bei einer zu langen Behandlung würde das auch die Sicht auf die Inkluse beeinträchtigen. Insgesamt bieten die neuen technischen Verfahren aber wesentlich mehr Vorteile als Nachteile. In Zukunft könnten sie zum Beispiel den Zugang zur Bernsteinsammlung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt einfacher machen. Bisher ist es so, dass diese persönlich ans Museum kommen müssen, um die kostbaren Einschlüsse zu untersuchen. »In Zukunft könnten wir ein am Computer erstelltes 3-D-Modell der Inkluse für die Erforschung verschicken«, sagt Sadowski.

Das Ablichten und Bearbeiten der Daten kann – je nach Detailgenauigkeit – mehrere Tage oder auch Wochen dauern. Die gesamte Bernsteinsammlung auf diese Art zu erfassen, würde also viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. »Es würde schon helfen, wenn man bei den besonders wertvollen Stücken anfängt«, meint Sadowski.

Dank des technischen Fortschritts werden die Inklusen in Zukunft deutlich schneller und wesentlich genauer untersucht werden können. Für die kommenden Jahre geht es also vor allem darum, die Sammlungen in Berlin und anderen Museen so zu erhalten, dass sie noch lange Zeit ihre Geheimnisse preisgeben können.

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