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Bundestagswahl 2005: "Bessere Arbeitsbedingungen für Naturwissenschaftler"

Am 18. September 2005 haben Sie die Wahl: Es geht nicht nur um wichtige Fragen zur Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, sondern auch für Wissenschaft und Forschung werden entscheidende Weichen gestellt. spektrumdirekt befragt hierzu die forschungspolitischen Sprecher der Parteien, die voraussichtlich in den Bundestag einziehen werden. Unsere Interviewreihe beginnt mit Petra Sitte von der Linkspartei.PDS.
Petra Sitte
spektrumdirekt:
Welches Gewicht haben Wissenschaft und Technologie in Ihrem Wahlprogramm? Wie sehen die entsprechenden Grundzüge aus?

Petra Sitte:
Wissenschaft und Technologie sind im Wahlprogramm der Linkspartei.PDS in den Bereichen Bildungspolitik und regionale Innovationspolitik eingeordnet. Wir setzen uns ein für eine dauerhaft sichere Finanzierung von Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen, für einen sozial gleichen Zugang zum Hochschulstudium, insbesondere durch eine ausreichende Ausbildungsförderung sowie ein Verbot von Studiengebühren, für eine verbesserte Mitbestimmung und einen höheren Grad an Autonomie der Hochschulen, für die Fortführung der Personalstrukturreformen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Geschlechtergleichstellung und der Qualifizierung von Lehr- und Betreuungsangeboten, für die Verbesserung der Fördermöglichkeiten für Forschung und Entwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen und die Erleichterung des Zugangs zu Fördermitteln sowie für die Verknüpfung von Wissenschafts- und Wirtschaftseinrichtungen zur Clusterförderung unter dem Gesichtspunkt Technologietransfer und Technologieförderung.

spektrumdirekt:
Wie wollen Sie dieses Programm finanzieren?

Sitte:
Eine Reform der Steuerpolitik, unter anderem bei den für die Länder relevanten Steuern wie beispielsweise der Vermögensteuer sowie der Erbschafts- und Schenkungssteuer soll die Situation der öffentlichen Haushalte verbessern und den Ländern erweiterten Handlungsspielraum für Investitionen in den Bildungsbereich geben.
"Wir fordern ein Verbot von Studiengebühren"
Das Körperschaftsvermögen der Hochschulen soll durch Zustiftungen und Spenden erhöht werden können. Die Übertragung von Grundstücken in das Eigentum der Hochschulen wäre denkbar, wenn es gelänge, die daraus entstehenden steuerrechtlichen Folgen im Sinne der Wissenschaftseinrichtungen zu klären. Der Solidarpakt II soll stärker auf die Förderung industrienaher Infrastruktur und die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ausgerichtet werden. Bundesprogramme zur Förderung von regionalen Kompetenzzentren müssen mit Blick auf Wissenschaftsförderung neu zugeschnitten werden.
Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung regionaler Wirtschaftsstruktur, insbesondere der Bereich Infrastrukturförderung muss wesentlich stärker als bisher für den Aufbau von wissensbasierter Ökonomie und die Schnittstellenförderung von Wissenschaft und Wirtschaft genutzt werden.

spektrumdirekt:
Welche Gewichtung messen Sie der angewandten und Grundlagenforschung bei?

Sitte:
Der Mix aus beiden Forschungssektoren sollte im Wesentlichen beibehalten werden. Die Länder und der Bund haben in den vergangenen Jahren umfangreiche Evaluationen der entsprechenden Forschungseinrichtungen vorgenommen. Deren Ergebnisse sollten nun umgesetzt werden. Grundsätzlich sollte auch innerhalb einer Föderalismusreform die gemeinsame Forschungsförderung von Bund und Ländern gesichert werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die klassische Grundlagenforschung auch in Zukunft einer besonderen Förderung aus öffentlicher Hand bedarf.

spektrumdirekt:
Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland liegen derzeit bei 2,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Europäische Kommission hat sich in der Vereinbarung von Lissabon darauf verpflichtet, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahr 2010 auf drei Prozent zu erhöhen. Halten Sie dieses Ziel noch für realistisch? Und wie soll es erreicht werden?

Sitte:
In keinem Fall sollte die Umsetzung der Lissabon-Strategie durch ein Absinken der BIP-Quote erreicht werden, wie dies in einzelnen Bundesländern auf Grund unzureichender Wirtschaftskraft der Fall ist. Die Umsetzung der Lissabon-Strategie kann nur durch ein von Bund und Ländern gemeinsam verabredetes Stufenprogramm erreicht werden, was jedoch eine Verbesserung der Handlungsmöglichkeiten der öffentlichen Haushalte voraussetzt. Umsetzbar ist diese Zielstellung durch entsprechende Prioritätensetzungen in politischen Entscheidungen auf der Ebene von Bund und Ländern.

spektrumdirekt:
Derzeit tragen die Unternehmen in Deutschland rund zwei Drittel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Kann der Staat sich noch intensiver engagieren? Oder muss sich die Wirtschaft noch mehr anstrengen? Wie wollen Sie das erreichen? Mit Förderprogrammen? Oder durch Änderung von Rahmenbedingungen?

Sitte:
Ich habe in den vorhergehenden Antworten bereits auf mögliche Veränderungen staatlicher Förderpolitik insbesondere durch Umwidmung bisheriger traditioneller Wirtschaftsförderung hingewiesen. Darüber hinaus müssen selbstredend auch die Unternehmen – schon im eigenen Interesse – Anstrengungen zur Verbesserung der F&E-Quote unternehmen. In diesem Bereich kann der Staat nur flankierend tätig sein und tut dies insbesondere durch die subventionierte Bereitstellung von Technologie- und Gründerparks, andere Formen der Infrastruktur sowie Förderpolitiken. Ein größeres Engagement der Wirtschaft an bereits bestehenden Wissenschaftseinrichtungen wäre auch zu erwarten, wenn es gelänge, Strukturen an Hochschulen so zu verändern, dass schnellere Entscheidungen, minimierte Hierarchien und flexiblere Formen der gemeinsamen Umsetzung von Ergebnissen zu Stande kämen.

spektrumdirekt:
Zum Thema Globalisierung von Forschung und Entwicklung: Befürchten Sie, dass nach der vielfältigen Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland die Forschung und Entwicklung nachfolgt? Wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang die Entwicklungen in Ländern wie Indien, China, Südkorea oder Osteuropa ein?

Sitte:
Die verstärkte Verlagerung von F&E-Kapazitäten ist vor allem dann zu befürchten, wenn es nicht gelingt, Wissenschaft und Forschung in der Gesamtstrategie bundesdeutscher Innovationspolitik eine andere Priorität einzuräumen.
"In keinem Fall sollte die Umsetzung der Lissabon-Strategie durch ein Absinken der BIP-Quote erreicht werden"
Die massiven Bemühungen der genannten Länder, ihre innovativen Ressourcen über staatliches und wirtschaftliches Engagement zu stärken, sind ein Indiz dafür, dass sich diese Länder mit ihrer Rolle als verlängerte Werkbank und Niedriglohnstandorte nicht zufrieden geben werden. Sie sehen darin nicht nur eine Möglichkeit, sich im Standortwettbewerb anders zu positionieren, sondern sich selbst eben auch andere soziale Perspektiven zu schaffen. Insbesondere die Konkurrenz zu Osteuropa aber auch zu den anderen genannten Ländern macht deutlich, dass die frühere Annahme, Deutschland könne sich der internationalen Konkurrenz dadurch entziehen, dass hierzulande ein besonders hohes Bildungs- und Ausbildungsniveau existiert, nicht mehr hinreicht. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass in einer globalisierten Ökonomie Globalisierungsverlierern, beispielsweise in Deutschland beim Abwandern eines Unternehmens, auch Globalisierungsgewinner, wie bei der Ansiedlung von Automobilfabriken in Osteuropa, gegenüberstehen. Darauf kann im Wesentlichen nur durch die Verbesserung der F&E-Bedingungen in Deutschland reagiert werden, wie ich sie bereits skizziert habe.

spektrumdirekt:
Viele deutsche Forscherinnen und Forscher zieht es ins Ausland – insbesondere in die Vereinigten Staaten. Dort machen sie häufig Karriere. Sehen Sie das als Beleg dafür an, dass das deutsche Ausbildungssystem zwar seine Stärken hat, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserer Heimat aber zu wenig Entfaltungsspielraum haben? Wie wollen Sie das ändern, falls Sie künftig in Berlin mitreden oder sogar das Sagen haben?

Sitte:
Die Linkspartei.PDS hat sich sowohl bei den Beratungen zur Reform des Hochschuldienstrechts im Deutschen Bundestag als auch bei der Erarbeitung von entsprechenden Regelungen in den Länderparlamenten stets für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern eingesetzt.
So unterstützten wir das Anliegen, durch die Einführung von Juniorprofessuren einen Weg zu finden, der es jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ohne den Umweg über die Habilitation ermöglicht, zeit- und praxisnäher eine Professur erreichen zu können. Besonders die damit verbundene Eigenständigkeit und Ausstattung der Stelle sehen wir als einen Schritt an, sich aus dem hierarchisch strukturierten deutschen Hochschulwesen schrittweise zu lösen. Leider war es durch die Blockade der Union nicht möglich, auf die Habilitation gänzlich zu verzichten, wenngleich es auch Differenzen unter Vertretern der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedliche Positionen zur Abschaffung der Habilitation gibt. Unser Bestreben geht dahin, die Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren den regulären Professuren so weit wie möglich gleich zu stellen. Diesbezüglich sind unter dem PDS-Wissenschaftssenator Thoams Flierl in Berlin wesentliche Schritte erreicht worden.
An dieses Herangehen knüpft sich aus unserer Sicht weiterführend an, das Beamtentum an den Hochschulen schrittweise abzuschaffen. Mit einer Umstellung der Besoldungsstruktur zur Stimulierung und Honorierung von Leistungsbereitschaft und Leistung sollte sich Hochschulpolitik nicht zufrieden geben.
Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist die verbesserte finanzielle Ausstattung der Hochschulen, die bei der Linkspartei.PDS einen wesentlichen Raum einnimmt. Daraus leitet sich ab, dass den Hochschulen zugleich mehr Eigenständigkeit in ihrer Personal- und Berufungspolitik von der Länderebene zugestanden werden sollte.
Nicht zuletzt sei darauf verwiesen, dass bereits durch die Einführung von Tarifverträgen für studentische Beschäftigte erste Schritte zur Nachwuchsförderung getan werden. Das Scheitern des bundesweiten Wissenschaftstarifvertrages hat die Chancen für das letztgenannte Anliegen, aber auch für die Verbesserung der Situation der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler bedauerlicherweise gesenkt.

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