Verknotete Quantenfelder: Lüften Quanten-Knoten die Geheimnisse unseres Universums?

Die Theorie von William Thomson, besser bekannt als Lord Kelvin, war zu schön, um wahr zu sein. Er vermutete, dass die Grundbausteine unserer Welt aus Knoten im »Äther« bestehen. Ein solches Modell hatte sowohl mathematisch als auch physikalisch extrem ansprechende Eigenschaften. Doch im Jahr 1887 wurde dieser Vorstellung einer verknoteten Welt der Garaus gemacht: Mit ihrem inzwischen weltberühmten Experiment wiesen die beide Physiker Albert A. Michelson und Edward W. Morley nach, dass es keinen Äther gibt.
Heute gehen Physikerinnen und Physiker davon aus, dass unsere Welt aus Quantenfeldern besteht. Jederzeit und überall durchdringen diese Raum und Zeit und wabern wie eine brodelnde Oberfläche vor sich hin. Aus ihnen gehen die Teilchen und Kräfte hervor, die wir in unserem Alltag beobachten. Doch nun haben Fachleute um den Physiker Muneto Nitta von der japanischen Keiō-Universität in Tokio gezeigt, dass sich auch dieses moderne Weltbild mit jenem von Lord Kelvin verbinden lässt: In einer bei »Physical Review Letters« erscheinenden Arbeit beweisen sie erstmals, dass in Quantenfeldern stabile Knotenzustände entstehen können, die möglicherweise unser frühes Universum bevölkert haben. »Wir waren sehr überrascht von diesem Ergebnis«, sagt Nitta zu »Spektrum«.
Quantenfeldtheorie
Anfang des 20. Jahrhunderts entstand die Quantenmechanik – und revolutionierte die Vorstellung von Materie. Plötzlich war ein Elektron nicht mehr bloß ein punktförmiges Teilchen; vielmehr besaß es in manchen Situationen Eigenschaften, die eigentlich lediglich Wellen innehaben. In den folgenden Jahren verallgemeinerten die Fachleute die quantenphysikalischen Konzepte, indem sie den Formalismus nicht nur auf die Mechanik, sondern auch auf den Elektromagnetismus und die Kernkräfte übertrugen.
Das führt jedoch schnell zu Problemen: So kann etwa die Quantenmechanik an sich nur Systeme mit einer festen Teilchenzahl beschreiben, die sich nicht ändert. Im Fall des Elektrons und seines Antiteilchens, des Positrons, trifft das aber beispielsweise nicht zu. Sie löschen sich gegenseitig aus. Für solche Systeme braucht es daher eine allgemeinere Theorie.
Und so entwickelte sich die Quantenphysik weiter. In den 1950er und 1960er Jahren setzten sich sogenannte Quantenfeldtheorien immer mehr durch. In diesen ist die Raumzeit niemals leer, sondern von verschiedenen Feldern durchzogen. Schwingungen darin entsprechen Teilchen oder Antiteilchen. Doch die Quantenfelder sind niemals ruhig: Sie sind der Theorie zufolge stets von kleinen Kräuselungen durchzogen, die extrem kurzlebigen Teilchen entsprechen. Die »virtuellen« Teilchen lassen sich nicht direkt detektieren – ihre Auswirkungen allerdings konnten bereits nachgewiesen werden.
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt erfolgreich alle bisher nachgewiesenen Elementarteilchen sowie ihre Wechselwirkungen unter dem Einfluss der starken und schwachen Kernkraft sowie der elektromagnetischen Kraft. Nitta und seine Kollegen haben für ihre Arbeit eine Erweiterung des Standardmodells untersucht, bei der darüber hinaus auch sterile Neutrinos sowie Axionen auftauchen. Erstere sind noch geisterhaftere Versionen der ohnehin schon geisterhaften Neutrino-Teilchen, die nur über die Schwerkraft wechselwirken und daher Kandidaten für Dunkle Materie sind; Axionen sind ebenfalls Anwärter für Dunkle Materie, die aber auch andere unverstandene Phänomene der Physik erklären könnten. Eine solche Erweiterung des Standardmodells gilt unter Teilchenphysikern als realistisches Szenario, selbst wenn beide Teilchenarten bislang nicht nachgewiesen wurden.
»Es ist eine moderne Wiederbelebung von Kelvins Traum: Das Universum war voller Knoten, und aus ihnen entstand die Materie«Muneto Nitta, Physiker
Falls es wirklich sterile Neutrinos und Axionen geben sollte, so könnten die zugehörigen Quantenfelder kurz nach dem Urknall eine suprafluide und eine supraleitende Phase gebildet haben, fand die Gruppe um Nitta heraus. In diesen Phasen können stabile verknotete Quantenzustände entstehen – etwas, was bisher noch nie in einem teilchenphysikalischen Modell aufgetaucht ist. »Die Möglichkeit, dass es im frühen Universum eine Phase der Knoten gegeben haben könnte, ist faszinierend und verdient weitere Untersuchungen«, sagt der Physiker Horatiu Nastase von der Universität Sao Paolo, der nicht an der Studie beteiligt war. Laut den Berechnungen des Teams um Nitta sollten die Knoten im Lauf der Zeit in Teilchen zerfallen und dabei eine Art Ungleichgewicht herbeiführen: Materie entstünde häufiger als Antimaterie, was den Überschuss an gewöhnlicher Materie in unserem Universum erklären würde.
»Dieses Szenario ist eine moderne Wiederbelebung von Kelvins Traum: Das Universum war voller Knoten, und aus ihnen entstand die Materie«, schreiben die Physiker in ihrer Veröffentlichung. Allerdings sind die geschilderten Vorgänge bislang noch sehr spekulativ. »Es beschreibt noch ein vereinfachtes teilchenphysikalisches Modell«, sagt Nastase. Nitta und seine Kollegen erklären aber, dass sich Hinweise auf die verknoteten Zustände - falls sie existieren - in Signalen von Gravitationswellen finden würden, die künftige Detektoren wie LISA aufspüren könnten.
Die Studie habe nicht nur ihre Sicht auf das Universum verändert, erzählen die Forschenden, sondern beeinflusse inwzischen auch ihr Privatleben. Yu Hamada, der am DESY in hamburg forscht, könne nun auch in seiner Freizeit beim Anblick einer Brezel an nichts anderes mehr als Knoten denken.
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