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News: Besuch in der Milchstraße

Seit 1994 wissen die Astronomen, daß ein kleines, die Milchstraße umkreisendes Sternsystem, tatsächlich in die Heimatgalaxie unserer Erde - die Galaxie - eingetreten ist. Eine Astrophysikerin der Johns Hopkins University präsentiert am 13. Februar 1998 einen Überblick über das neu entdeckte Sternsystem, anläßlich der jährlichen Zusammenkunft der American Association for the Advancement of Science. Und keine Panik: Wir haben den Größenvorteil auf unserer Seite.
Den Wissenschaftlern war aufgefallen, daß sich zahlreiche Sterne im Sternbild Schütze (Sagittarius), in dem sich das Zentrum unserer Galaxis befindet, mit anderer Richtung und Geschwindigkeit bewegen als sie es als Mitglieder des Milchstraßensystems eigentlich tun müßten. Sie erkannten schließlich, daß es sich um ein eigenständiges kleines Sternsystem – eine Zwerggalaxie – handelt, das von der Erde aus gesehen auf der anderen Seite des Milchstraßenzentrums liegt.

Die Sagittarius-Zwerggalaxie, wie dieser kosmische Eindringling genannt wird, enthält viel weniger Sterne als unsere Galaxis: Ihr Durchmesser beträgt ungefähr ein Zehntel, ihre Masse weniger als ein Tausendstel der entsprechenden Werte des Milchstraßensystems. Die Galaxie befindet sich in etwa so nah am Zentrum unserer Galaxis wie die Erde. Sie gehört zu den neun bekannten Zwerggalaxien der Milchstraße.

„Die anderen Galaxien sind jedoch so weit entfernt, daß man sie nicht wirklich als Eindringlinge in unseren Raum empfinden würde“, erklärte Rosemary Wyse, Astrophysikerin an der Johns Hopkins University. „Man kann sie mehr oder weniger ignorieren. Doch Sagittarius hat sich richtig bei uns eingenistet...Die Galaxie ist nahe genug, daß wir ihre Sterne genauso beobachten können wie unsere eigenen Sterne“"

Wyse und vier weitere Astronomen haben neue Sterne innerhalb der Zwerggalaxie beobachtet und berechnet, daß dieses Sternsystem in weniger als einer Milliarde Jahren unsere Milchstraße vollständig umkreist. Da die kleine Galaxie das Milchstraßenzentrum umwandert, taucht sie in zentrale Bereiche des größeren Sternsystems ein. Die Astronomen schlußfolgerten, daß sie unsere Milchstraße bereits mindestens 10 Mal umrundet hat.

Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit führten zum Schluß, daß die kleine Galaxie überraschend robust sein muß: Nach so vielen Umrundungen wäre sie durch die Gravitationskräfte unserer eigenen Galaxis auseinandergerissen worden, wenn sie nicht mehr Materie enthielte, als die Anzahl ihrer sichtbaren Sterne erkennen läßt. „Es gibt dort viel dunkle Materie, so daß die Galaxie sich an ihren Sternen festhalten kann“, sagte Wyse hierzu.

Die Astronomen analysierten Spektren aus Beobachtungen mit dem Anglo-Australian Telescope und dem Cerro Tololo Interamerican Observatory. Rodrigo Ibata vom European Southern Observatory, Gerard Gilmore vom Institute of Astronomy und Mike Irwin vom Royal Greenwich Observatory war 1994 die eigentliche Entdeckung der Galaxie gelungen.

Wyse zufolge ist es wichtig, Sagittarius zu studieren, um die Gesamtfrage nach dem Ursprung und der Entwicklung von Galaxien zu klären. Die Astronomen gehen davon aus, daß derartige, kleine Begleitgalaxien miteinander verschmolzen und so die größeren Galaxien wie die Milchstraße entstanden sind. Jetzt versuchen die Astronomen mehr über einen diffusen „Sternenhof“ zu erfahren, der die zentrale, elliptische Ausbauchung sowie die Sternenscheibe in der Milchstraße und in anderen Galaxien umgibt. Wie zum Beispiel bildet sich dieser Sternenhof? Sind dies die zerfetzten Stücke kleiner Satelliten wie Sagittarius?

Wyse glaubt, daß wahrscheinlich höchstens 10 Prozent der Sterne im Hof aus Zwerggalaxien wie Sagittarius stammen, die mit der Milchstraße innerhalb der letzten ca. 8 Milliarden Jahre verschmolzen sind.

Durch das Studium von Sagittarius können vielleicht auch andere Fragen besser beantwortet werden, wie bspw.: Bildete sich die zentrale Ausbauchung unserer Milchstraße auch durch verschmelzende Begleitgalaxien, allerdings durch dichtere Teile, die zum Zentrum gelangen konnten? Welche Sternentypen bestimmen das Bild anderer Galaxien, die wir detailgenau erforschen können?

Durch Sagittarius haben die Astronomen außerdem die Gelegenheit, dunkle Materie einer anderen Galaxie genau studieren zu können. Die Wissenschaftler hoffen nun, die Natur dieser dunklen Materie erkunden zu können. Theorien und Beobachtungen zufolge enthält das Universum mehr Materie, als mittels unserer gegenwärtiger Technologie beobachtet werden kann. Die Astronomen glauben, daß mindestens 90 Prozent der Masse im All noch nicht direkt entdeckt wurde.

Indem die Wissenschaftler die Anzahl der Sterne und die Helligkeit von Sagittarius vergleichen, können sie erfahren, welche Arten dunkler Materie in dieser Galaxie existieren. Die Astronomen hoffen, in der nahen Zukunft herauszufinden, ob auch andere Begleitgalaxien in die Milchstraße eindringen. Da Sagittarius zufällig entdeckt worden war, wurden vielleicht andere Galaxien bis dato nur nicht bemerkt.

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