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News: Bevölkerung nicht technikfeindlich

Von einer generellen Technikfeindlichkeit kann in Baden-Württemberg keine Rede sein: 53 Prozent der Bevölkerung des Landes halten die moderne Technik 'eher für segensreich'. 38 Prozent sind skeptisch, und nur 9 Prozent sehen darin 'eher einen Fluch'. Die Politik trägt für mehr als die Hälfte der Befragten eine hohe technologiepolitische Verantwortung: 52 Prozent halten sie für verantwortlich, wenn es darum geht, 'daß den Bürgern durch großtechnische Anlagen keine unannehmbaren Risiken entstehen'.
Bei der Einführung und Gestaltung neuer Technologien wünscht sich die Öffentlichkeit eine aktivere Rolle: 89 Prozent finden, daß ihre Meinung bei technologiepolitischen Entscheidungen "nicht ausreichend berücksichtigt wird". Dabei signalisieren die Beteiligten eine erstaunliche Partizipationsbereitschaft: 90 Prozent der Befragten würden sich beispielsweise an einem Volksentscheid über die Gentechnik beteiligen.

65 Prozent würden sogar ein Wochenende investieren, um im Rahmen eines Bürgerbeteiligungsverfahrens wie dem "Runden Tisch" über neue Techniken zu diskutieren und Empfehlungen an die Politik zu erarbeiten. Dies ergab jetzt eine repräsentative Umfrage der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Insgesamt, so Professor Dr. Ortwin Renn und Dr. Michael Zwick von der Akademie, werde Technik sehr differenziert wahrgenommen und beurteilt: 89 Prozent begrüßen die Sonnenenergie, 83 Prozent das 3-Liter-Auto und 67 Prozent der Befragten äußerten sich positiv zur Organtransplantationstechnik. Zum Vergleich: Nur etwa 30 Prozent sind gegenüber dem Handy positiv eingestellt. Während neue Technologien in der Arbeitswelt wie Multimedia-Anwendungen von 39 Prozent und Industrieroboter von 36 Prozent für "gut" oder "sehr gut" gehalten werden, stoßen Kernernergie und einige Anwendungen der Gentechnik auf Skepsis: Sie werden als Risikotechnik wahrgenommen und kännen Ängste ausläsen. 60 Prozent der Befragten fürchten sich vor der Kernenergie und 51 Prozent vor der Gentechnik. Diese beiden Technologien werden nur von 21 Prozent der Befragten befürwortet.

Die Begründung der Urteile über verschiedene Technologien zeigt auch, daß die Öffentlichkeit in Baden-Württemberg durchaus fähig ist, zu differenzieren. Bei den Multimedia-Technologien etwa stehen Vorteile wie die einfache Informationsbeschaffung und Bequemlichkeit im Vordergrund (28 Prozent), gefolgt von der Furcht, daß die Technik persänliche Beziehungen zerstören könne (17 Prozent) und Datenschutz und -sicherheit nicht gewährleistet seien (14 Prozent).

Bei der Gentechnik zielen die meisten Argumente (32 Prozent) auf den Verdacht ab, sie könne mißbraucht werden. 23 Prozent erwarten jedoch einen medizintechnischen oder pharmazeutischen Nutzen zur Therapie bislang unheilbarer Krankheiten. Was die Kernenergie betrifft, so konzentrieren sich die Argumente auf das Risiko- und Katastrophenpotential beim Betrieb von Anlagen, beim Transport und bei der Lagerung radioaktiven Materials (47 Prozent). 22 Prozent der Befragten räumen ein, daß die Kernenergie zur Zeit noch für die Energieversorgung des Landes gebraucht werde. Beim Einsatz von Industrierobotern dominiert mit 67 Prozent das Argument der Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen. 29 Prozent sehen in dieser Technik ein Mittel, um schwere oder gesundheitsschädliche Arbeit zu erleichtern.

Die Einstellung zur Technik wird nach der Studie wesentlich von zwei Faktoren bestimmt: Wichtig ist zunächst, wie jeder einzelne ihre Kosten-Nutzen-Bilanz erlebt. Technik wird um so skeptischer beurteilt, je geringer ihr Nutzen und je höher ihre Risiken eingeschätzt werden. Zweitens zählt, wie Technik emotional beurteilt wird – ob sie Ängste oder Begeisterung ausläst.

Insgesamt bescheinigen die Wissenschaftler den Bürgerinnen und Bürgern des Landes ein ausgeprägtes Urteilsvermögen: Sie sehen den Einsatz von Technik differenziert und sind bereit, konstruktiv an Gestaltungsprozessen mitzuwirken.

Die Studie verdeutlicht, daß es nicht ausreicht, zur Erhöhung der Akzeptabilität von Technik in der Öffentlichkeit nur die Technikrisiken zu minimieren. Technik wird vor allem dann befürwortet, wenn sie umwelt- und sozialverträglich erscheint, wenn hohen Nutzenerwartungen geringe Risikopotentiale entgegenstehen, wenn keine ethischen Bedenken gesehen werden und wenn ausreichendes Vertrauen in staatliche Kontroll- und Regulierungsaufgaben besteht. Außerdem wünscht die Mehrheit eine stärkere Einbindung der Bürger in die Planung und Gestaltung ihrer unmittelbaren Umwelt.

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