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Paracetamol: Wirbel um ein rätselhaftes Schmerzmittel

Es ist eines der meistgenutzten Schmerzmittel der Welt – und zugleich ein medizinisches Mysterium: Warum Paracetamol wirkt, ist bis heute nicht vollständig geklärt. 
Eine Packung Paracetamol-Tabletten mit der Aufschrift „Paracetamol 500mg Caplets“ und „32 Caplets“ auf der Verpackung. Zwei weiße Tabletten liegen auf einer Holzoberfläche vor der geöffneten Blisterpackung.
Paracetamol wird seit Jahrzehnten zur Behandlung von Schmerzen und Fieber eingesetzt.

Paracetamol – auch unter dem Namen Acetaminophen bekannt – ist ein seit Jahrzehnten verwendetes gängiges Schmerzmittel, das in kaum einem Haushalt fehlt. Es hat wohl selten so viel Aufmerksamkeit erhalten wie in der letzten Woche, als Donald Trump behauptete, die Einnahme des Mittels in der Schwangerschaft erhöhe das Risiko für kindlichen Autismus.

Die Behauptung hatten mehrere Fachleute umgehend widerlegt. Sie wiesen darauf hin, dass die umfassendsten und aussagekräftigsten Studien keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Paracetamol und Autismus bei Kindern gefunden haben. Außerhalb der USA wird Paracetamol daher weiterhin als Mittel der Wahl gegen Schmerzen und Fieber in der Schwangerschaft empfohlen. Darüber hinaus betonten die Wissenschaftler, das Medikament gelte allgemein nicht als Ursache für neurologische Entwicklungsstörungen. Vielmehr könnten unbehandelte Schmerzen und Fieber Müttern und Föten schaden.

Solange man sich an die empfohlene Dosierung halte, sei Paracetamol eines der sichersten verfügbaren Medikamente, mit sehr wenigen möglichen Komplikationen, sagt der Neurowissenschaftler Tony Dickenson vom University College London.

Paracetamol ist für Menschen gut verträglich. Für bestimmte Tierarten dagegen kann das Mittel tödlich sein, weil sie über andere Leberenzyme verfügen – etwa für Schlangen. Deshalb warfen die USA im Jahr 2013 tausende mit Paracetamol präparierte tote Mäuse ab, um invasive Populationen der Braunen Nachtbaumnatter auf der Pazifikinsel Guam zu bekämpfen.

Wie wirkt Paracetamol?

Auch nach jahrzehntelangem klinischem Einsatz und mehreren Theorien zum Wirkmechanismus ist bis heute nicht eindeutig geklärt, wie Paracetamol Schmerzen lindert. Die meisten Studien konzentrierten sich auf die Frage, was nach der Einnahme im Gehirn passiert, sagt Dickenson. »Paracetamol ist nicht nur ein Analgetikum, sondern auch ziemlich gut darin, Fieber zu senken«, erklärt er. Und die Körpertemperatur werde vom Hypothalamus gesteuert, einem Bereich des Zwischenhirns. »Das Medikament gelangt also eindeutig ins Gehirn.«

Diese Wirkung auf das zentrale Nervensystem – geschützt durch die Blut-Hirn-Schranke – unterscheidet Paracetamol von den entzündungshemmenden Schmerzmitteln wie Ibuprofen und Aspirin, die eher am Ort der Gewebeschädigung wirken. Studien deuten außerdem darauf hin, dass das Medikament auf neuronale Bahnen zwischen Gehirn und Rückenmark einwirkt, die die Intensität von Schmerzsignalen steuern. »Mehrere Systeme sind daran beteiligt, und jedes ist für die Schmerzverarbeitung von zentraler Bedeutung«, sagt Dickenson. »Es ist also ziemlich schwierig, herauszufinden, was genau vor sich geht.«

Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Medikament auch direkt auf Nervenzellen im Körper einwirken kann, und zwar auf sogenannte Nozizeptoren. Das sind Neurone, die schädliche Reize erkennen. Damit ähnelt die Wirkungsweise von Paracetamol jener von Lokalanästhetika.

Die Ergebnisse können jedoch die fiebersenkende Wirkung des Medikaments nicht erklären. Möglicherweise werden daher Schmerz- und Fieberlinderung von unterschiedlichen Systemen gesteuert, glaubt der Schmerzpharmakologe Avi Priel von der Hebräischen Universität Jerusalem, der an der Studie beteiligt war.

Kaum neue Schmerzmittel

Trotz der Zulassung Dutzender neuer Medikamente zur Behandlung akuter und chronischer Schmerzen in den vergangenen 50 Jahren ist Paracetamol immer noch eines der am häufigsten verwendeten Schmerzmittel. Forscher haben jahrzehntelang versucht, neue Angriffspunkte für Analgetika zu finden, doch die Entwicklung wirksamer und sicherer Medikamente ist eine Herausforderung. Seit Jahrzehnten gibt es kaum Fortschritte, beklagt der Neurobiologe Clifford Woolf von der Harvard Medical School.

Ein Grund dafür ist der starke Placeboeffekt, der bei einer beträchtlichen Zahl von Probanden in klinischen Studien zu neuen Schmerzmitteln auftritt. Dieser erschwert es, einen signifikanten Nutzen nachzuweisen. Hinzu kommt, dass es bei vorklinischen Studien an Tieren äußerst kompliziert ist, Schmerz zu identifizieren und zu messen. »Schmerz ist eine subjektive Erfahrung«, sagt Woolf. »Wie fragt man eine Maus, wie sehr sie leidet?«

Der Neurowissenschaftler Ted Price von der University of Texas in Dallas weist auf ein weiteres Problem hin: Ihm zufolge ist das Verständnis der neurobiologischen Mechanismen von Schmerz immer noch lückenhaft. Daher kenne man auch längst noch nicht alle Wege, sie zu blockieren. Er sieht eine Möglichkeit darin, die Gemeinsamkeiten von Paracetamol und Opioiden wie Morphin zu erforschen. Worin ähnelt sich ihre Wirkung? »Es wäre großartig, wenn wir die entsprechenden Mechanismen adressieren könnten, ohne dass die problematischen Folgen von Opioiden auftreten«, sagt er.

Nach langer Flaute gibt es immerhin Hoffnung: Im Januar wurde in den USA mit Suzetrigin nach 20 Jahren erstmals wieder ein nichtopioides Schmerzmittel zugelassen. Es soll akute, verletzungsbedingte Schmerzen lindern. Ob es auch bei chronischen Beschwerden hilft, ist allerdings noch unklar.

Forscher versuchen zudem, die Hürde bei der Übertragung von Tier- auf Humanstudien zu überwinden. So helfe beispielsweise maschinelles Lernen dabei, die Schmerzreaktion von Tieren besser zu verstehen, erklärt Woolf. »Das wird die Aussagekraft der Daten insgesamt verbessern«, sagt er. »Ich bin zuversichtlich, dass wir auf einem guten Weg sind.«

Donald Trump preist das Medikament Leucovorin als Durchbruch bei Autismus an. Was Fachleute davon halten, lesen sie in diesem Artikel.

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  • Quellen

Dreier, J. W. et al., Pediatrics, 10.1542/peds.2013–3205, 2020

Maatuf, Y. et al., PNAS, 10.1073/pnas.241381112, 2025

Przybyła, G. W. et al., Clinical and Experimental Pharmacology and Physiology, 10.1111/1440–1681.13392, 2020

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