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Biodiversität: Hier leben die meisten unentdeckten Wirbeltiere

Das Zeitalter der Entdeckungen ist noch lange nicht vorbei. Eine Studie zeigt nun, wo die Chancen auf bislang unbekannte Amphibien, Reptilien, Vögel oder Säuger am größten sind.
Frosch im Grünen

Wie wenig wir bislang über die Artenvielfalt der Erde wissen, belegt eine Entdeckung aus dem Jahr 2017: Damals beschrieben Fachleute um Erik Meijaard eine neue Menschenaffenart von der Insel Sumatra: den Tapanuli-Orang-Utan (Pongo tapanuliensis). Und dieser Primat ist bei Weitem nicht die einzige größere Wirbeltierart, die in den letzten Jahren wissenschaftlich neu entdeckt wurde. Eine Studie von Mario Moura und Walter Jetz in »Nature Ecology and Evolution« beschreibt, wo die Chancen momentan noch am größten sind, neue Landwirbeltierarten zu entdecken und taxonomisch zu erfassen.

Wenig überraschend finden sich viele dieser Hotspots in bekannten Zentren der Artenvielfalt in den Tropen. Vor allem die nördlichen Anden, der brasilianische Atlantikregenwald, die Gebirge Ostafrikas, Madagaskar, die Bergregenwälder Indochinas sowie die Inseln der Philippinen und Indonesiens sowie Neuguinea sind demnach die lohnendsten Ziele für Entdeckungsreisende. Viele der Neubeschreibungen aus der jüngeren Vergangenheit stammen von dort. Rund ein Viertel der unbekannten Arten verteilt sich auf nur vier Länder, schreiben die beiden Biologen: Brasilien und Kolumbien, Madagaskar und Indonesien. Und die Hälfte der Spezies lebt wahrscheinlich in tropischen Regenwäldern.

Für ihre Studie hatten Moura und Jetz die Daten über die Größe, den Lebensraum, die Verbreitung und weitere Eigenschaften von 32 000 Landwirbeltieren in ein Computermodell eingegeben. Dann haben sie berechnet, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Art mit unterschiedlichen Eigenschaftskombinationen entdeckt wurde oder noch entdeckt wird und wo dies am ehesten der Fall sein wird. Aus dem Vorhandensein bekannter Spezies leiteten sie also ab, wo sich unbekannte Arten aufhalten könnten und welche Eigenschaften sie aufweisen dürften. Große Säugetiere mit einem großen Verbreitungsgebiet an Land sind demnach höchstwahrscheinlich bereits überwiegend entdeckt (Ausnahmen siehe oben), kleine Frösche in bewaldeten Gebirgstälern Kolumbiens dagegen des Öfteren noch nicht.

Deshalb erwarten die beiden Wissenschaftler in den nächsten Jahren zahlreiche Neubeschreibungen von kleinen Reptilien und Amphibien, bei Säugern eher von Nagetieren und Fledermäusen, aber ebenso einige Primaten. Bei Vögeln ist dagegen die Zahl der unbeschriebenen Spezies eher klein, und sie verteilen sich vorwiegend auf kleine Singvögel oder Eulen. Überraschungen sind hier aber ebenfalls nicht ausgeschlossen: Eine einzelne Studie aus Indonesien erbrachte 2020 gleich fünf neu erfasste Singvogelarten (sowie fünf Unterarten) auf einmal.

Die Studie soll aber nicht nur einen theoretischen Wert haben. Viele der genannten Regionen gehören gleichzeitig zu den am stärksten von Naturzerstörung betroffenen Gebieten der Erde. Um die Arten vor dem Aussterben zu erfassen – und am besten schützen zu können –, sollte sich die Taxonomie verstärkt den örtlichen Ökosystemen widmen. Der Tapanuli-Orang-Utan etwa wurde womöglich gerade noch rechtzeitig vor seinem Verschwinden dokumentiert: Ein Stausee soll bald Teile seines Lebensraums überfluten.

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