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Ökosysteme: Kennste eins, kennste alle

Weltweit werden Flora und Fauna immer eintöniger, weil sich wenige Arten durchsetzen, während andere aussterben. In Kalifornien versuchen Wissenschaftler und Landwirte, dem entgegenzuwirken und einheimische Bestäuber zurückzubringen.
Europäische Honigbiene auf einer gelben Blüte.

An diesem warmen Morgen im März windet sich ein steter Strom an Wanderern die steile Straße zum Torrey Pines State Natural Reserve hinauf. Viele besuchen den beliebten Park nördlich von San Diego in Kalifornien wegen der spektakulären Aussicht auf den glitzernden Pazifik und wegen der knorrigen, vom Aussterben bedrohten Kiefern, Pinus torreyana, denen das Reservat seinen Namen verdankt. Aber Lauren Ponisio ignoriert diesen Anblick. Stattdessen steht die Ökologin von der University of Oregon mit Panamahut und orangefarbener Sicherheitsweste auf dem staubigen Seitenstreifen der Straße und beobachtet aufmerksam eine buschige Ansammlung schwarzer Salbeipflanzen mit zierlichen lilafarbenen Blüten.

Plötzlich schlägt sie mit einem langen Kescher auf den Busch und dreht ihn geschickt herum, um den summenden Inhalt einzuschließen. Der süße Duft des Salbeis strömt durch die Luft. »Europäische Honigbiene«, sagt Ponisio enttäuscht. »Das ist wirklich auffällig. Wir fangen einfach so viele Honigbienen.« Die einheimischen Bienen, nach denen Ponisio und ihr kleines Team heute Ausschau halten, sind hingegen nicht zu sehen.

Lauren Ponisio benutzt ein Netz, um Bienen während einer Untersuchung im Torrey Pines State Reserve zu fangen.

Die Suche ist Teil einer Zählung von Insektenbestäubern in allen Ökosystemen Kaliforniens – von der Pazifikküste bis zur Sonora-Wüste und den Bergen der Sierra Nevada. Bestäuber sind unabdingbar für die Fortpflanzung von Pflanzen: Auf ihrer Jagd nach Nahrung übertragen Bienen und andere Insekten sowie Säugetiere und Vögel unbeabsichtigt Pollen von den männlichen Teilen einiger Pflanzen auf die weiblichen. Mit seinen Fallen und Netzen will das Team um Ponisio herausfinden, wie sich die Bestäuber des Golden State verändert haben, und verstehen, was dies für Kalifornien bedeuten könnte. Bienen sind zweifellos die am weitesten verbreiteten Bestäuber – und diejenigen, für die sich Ponisio am meisten interessiert.

Kalifornien ist traditionell ein globaler Hotspot der Bienenvielfalt: »In Kalifornien gibt es etwa 1500 bis 1700 Arten von Wildbienen«, sagt Ponisio. Für sie ist der Bundesstaat »der Amazonas der Bienenvielfalt«. Und doch steht die Ökologin nach einer weiteren halben Stunde immer noch mit leeren Händen da. »Ich hoffe, wir finden wenigstens eine einheimische Biene«, scherzt sie nervös. Doch stattdessen geht ihr eine Honigbiene nach der anderen ins Netz.

Die Bienen, die Lauren Ponisio während der Untersuchung im Torrey Pines State Reserve fängt, werden in kleinen Aufbewahrungsbehältern aus Plastik gesammelt.

Die Europäische Honigbiene ist eine der domestizierten Bienenarten, die der Mensch seit mindestens 9000 Jahren nutzt, sei es für die Erzeugung von Honig und Wachs oder die Bestäubung von Nutzpflanzen. Die bernsteinfarben und schwarz gestreiften Bienen, die in Eurasien und Afrika beheimatet sind, scheinen heutzutage überall zu sein, wo Ponisio und ihr Außendienstteam auf die Jagd gehen. Sie finden bei ihren Untersuchungen so viele Honigbienen, dass sie sich nicht die Mühe machen, sie alle in Fläschchen zu sammeln, wie sie es bei den anderen Insekten handhaben. Stattdessen fangen sie einfach eine Honigbiene und zählen den Rest auf der Pflanze.

Mit den europäischen Siedlern begann die Transformation

Auch wenn bereits die Ureinwohner die Landschaft auf ihre Art und Weise formten, begann erst mit den europäischen Kolonisatoren ein zerstörerisches Kapitel für die Natur. Die Siedler brachten viele neue Pflanzen und Tieren mit, die die heimischen Ökosysteme durcheinanderbrachten. Im 20. Jahrhundert beschleunigte sich diese Entwicklung durch die Zunahme der industriellen Landwirtschaft und das Bevölkerungswachstum. Und diese Metamorphose Kaliforniens ist nicht mehr auf die Landschaft beschränkt – auch die Artenvielfalt verändert sich.

Natürlich gibt es dieses Problem nicht nur in Kalifornien. Der Mensch gestaltet heute den Planeten Erde in einem Maß um, dass sich auch einst völlig unterschiedliche Ökosysteme angleichen – sei es durch die Urbanisierung, die Intensivierung der Landwirtschaft und den Abbau von Rohstoffen, den Transport von Arten oder die Veränderung des Klimas. Gegenden, die früher eine ausgeprägte und einzigartige Vielfalt an Lebewesen beherbergten, werden heutzutage von einigen wenigen Arten dominiert – oft von Neuankömmlingen, die zunächst Generalisten sind, oder von solchen, die sich an ein Leben in der Nähe moderner menschlicher Siedlungen angepasst haben. Dazu gehören Spatzen, Ratten und englischer Efeu. Und die Europäische Honigbiene.

Die Forscherin Julie Lockwood und ihr Kollege Michael McKinney haben dafür einen Begriff geprägt: »biotische Homogenisierung«, also die Angleichung der Biosysteme. Lockwood, Professorin für Ökologie an der Rutgers University in New Jersey, hat allerdings noch einen einprägsameren Begriff parat: die »McDonaldisierung der Natur«. So wie man fast überall auf der Erde aus einem Flugzeug aussteigen und auf eine McDonald's-Filiale treffen kann, können Reisende jetzt die immer gleichen Pflanzen und Tiere sehen, wenn sie um die Welt fliegen. »Das hat es so noch nie gegeben«, sagt Lockwood.

Einst komplexe und verschiedene Ökosysteme werden immer ähnlicher

Wissenschaftler analysierten kürzlich jahrzehntelange Aufzeichnungen über fruchttragende Pflanzen und die Tiere, die diese Früchte fressen und ihre Samen verbreiten. Sie wollten herausfinden, wie sich diese Beziehungen im Lauf der Zeit verändert haben. Nicht überraschend, fraßen früher einheimische Vögel einheimische Früchte. Doch in den letzten 75 Jahren haben sich die Interaktionen zwischen den eingeführten Arten versiebenfacht. Die Globalisierung hat also alte geografische Grenzen verwischt: Jetzt verspeisen Vögel, die ursprünglich aus Südasien stammen, die Früchte südamerikanischer Pflanzen – und das in ihrem neuen Zuhause auf Hawaii.

Während der Mensch einigen Arten bei der Ausbreitung hilft, dezimiert er unbeabsichtigt andere, oft die selteneren und exotischeren, indem er sie in immer kleiner werdende, zersplitterte Habitate zwingt. Und  – um bei der Fast-Food-Metapher zu bleiben – die moderne Gesellschaft hat dieses ökologische Modell nun weltweit im Angebot. Der Mensch verwandelt komplexe Ökosysteme in eine Art biologische Einkaufszentren, in denen jeder Ort dem anderen immer ähnlicher wird.

In einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 werden die Auswirkungen der biotischen Homogenisierung als einer der wichtigsten, aber noch nicht ausreichend untersuchten Trends zur Umgestaltung der Ökosysteme seit 1970 genannt. Forscher haben eine Homogenisierung bei Vögeln, Fischen, Säugetieren, Pflanzen und einer Reihe anderer Lebewesen auf der ganzen Welt festgestellt. Der Süßwasserökologe Julian Olden nennt dies »das Nebenprodukt eines globalen anthropogenen Mixers«. Ein Ergebnis dieser biologischen Vermischung, so Lockwood, ist die Entwicklung einer »langweiligeren Welt mit weniger Möglichkeiten für Überraschungen und Wunder«.

Wie unterscheidet sich das Vorkommen der Bestäuber von früher?

Nach mehr als einer Stunde, in der sie nur Honigbienen findet, juchzt Lauren Ponisio freudig auf. »Oh! Eine einheimische Biene! Komm: Lande, lande«, ruft sie dem fliegenden Insekt zu, das sich mit der Blütenwahl Zeit lässt. Wenige Augenblicke später ist es so weit, und ein neues Exemplar ist Teil der heutigen Sammlung: Bombus vosnesenskii, die Gelbgesichtshummel. »Die neue häufigste Hummel in Kalifornien«, sagt Ponisio und hält ein Fläschchen mit dem flauschigen, goldgekrönten Insekt hoch. »Früher war es Bombus occidentalis, aber diese Hummel ist praktisch ausgestorben.«

Europäische Honigbiene auf einer Blüte in Kalifornien.

Die Begeisterung für das Gewöhnliche ist unter Taxonomen eher ungewöhnlich; in der Regel lieben sie es, seltene Arten aufzuspüren. Darum geht es Ponisio und ihrem Team aber gar nicht. Ihr Forschungsziel beruht in diesem Fall auf wissenschaftlichen Studien von vor rund fünf Jahrzehnten. Zwischen 1968 und 1971 erforschte Andrew Moldenke, damals Student an der Stanford University, zwei Transekte – also Untersuchungsräume –, die mehrere Vegetations- und Klimazonen entlang eines Gradienten im Norden und Süden Kaliforniens umfassten. Dort sammelte er alle Insektenbestäuber, die ihm begegneten, seltene wie alltägliche, von der Wüste bis zur Bergwiese. Es war Pionierarbeit. Viele von ihm gefundene Bestäuber waren von der westlichen Wissenschaft noch nie beschrieben worden.

Ponisio und ihr Team sind nun dabei, Moldenkes Untersuchung zu wiederholen. Sie wollen herausfinden, inwieweit sich das Vorkommen der Bestäuber an diesen Orten heute von damals unterscheidet. Dazu tragen sie fünf Jahre lang ihre Beobachtungen zusammen. Kalifornien hat sich in den mehr als 50 Jahren seit Moldenkes Untersuchung stark verändert: Die Bevölkerung des Staats hat sich fast verdoppelt, Brände und Dürre wüten, und Häuser sind wie Kalifornischer Mohn ungezügelt über das Land gewachsen. Einer der von Moldenke untersuchten Orte ist heute eine Offroad-Rennstrecke für Quads, ein anderer ist voller schicker Vorstadthäuser.

Ponisio erwartet, dass ihr Team viele damals noch häufig anzutreffende Arten heute kaum mehr finden wird. Bei einer kürzlich von anderen Forschenden durchgeführten Momentaufnahme der Hummelpopulationen in Kalifornien wurden mehrere einst zahlreich vorhandene Arten gar nicht mehr gesehen. In Südkalifornien entdeckten sie an keinem einzigen Standort mehr als zehn Hummeln. Gleichwohl stoßen Ponisio und ihr Team immer noch auf eine Reihe einheimischer Bestäuber, darunter winzige Halictidae, im Englischen »sweat bees« genannt, weil sie von Schweiß angelockt werden. Oder grün schimmernde Bienen, metallisch blaue Mauerbienen, flauschige Hummeln und gelb-schwarze Schwebfliegen, die Bienen imitieren.

Auf einem Pfad mit Blick aufs Meer rätselt Ponisio über die Identität einer Primel, die gerade von einer Biene besucht wird, als ein Wanderer sie anspricht und fragt, was sie macht. Er wird hellhörig, als sie ihm antwortet, dass sie sich mit Bienen beschäftigt. »Ich bin selbst Imker«, sagt er. »Ja, wir haben heute eine Menge Honigbienen gefangen«, antwortet Ponisio vorsichtig. »Apis mellifera, die Europäische Honigbiene?«, fragt er lächelnd. »Süß.«

»Die Honigbiene ist wahrscheinlich eine der erfolgreichsten invasiven Arten aller Zeiten«Lauren Ponisio, Ökologin an der University of Oregon

Die Konversation verdeutlicht eine weitere Herausforderung dieser Arbeit: Im Gegensatz zu ihren domestizierten europäischen Verwandten haben Wildbienen ein Problem mit ihrem Bekanntheitsgrad. Die Europäische Honigbiene ist eine Ikone, eines der wenigen allgemein beliebten Insekten. Schulkinder zeichnen sie. Städtische Imker hegen und pflegen sie. Landwirte mieten Bienenstöcke, um ihre Ernten zu bestäuben. Weltweit produzieren 81 Millionen Europäische Honigbienenvölker jährlich mehr als 1,7 Millionen Tonnen Honig. »Aber sie ist nicht einheimisch«, sagt Ponisio. »Und sie ist wahrscheinlich eine der erfolgreichsten invasiven Arten aller Zeiten. Die Art ist auf allen Kontinenten außer in der Antarktis zu finden.«

Sorge um Honigbienen überschattet Rückgang der Wildbienen

Honigbienen tragen möglicherweise zum Rückgang ihrer wilden Artgenossen bei. »Es gibt viele Hinweise darauf, dass sie ihre Viren und Parasiten miteinander teilen«, sagt Ponisio. Zudem würden Honigbienen bisweilen auch mit Wildbienen um Nahrung konkurrieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Öffentlichkeit, wenn sie überhaupt etwas über Bienen erfährt, vom Rückgang der Honigbienen hört. Ab 2006 meldeten Imker in Nordamerika und Europa das plötzliche Absterben großer Teile ihrer Bienenvölker – mitunter bis zu 90 Prozent ihrer Tiere. Für dieses mysteriöse Bienensterben gibt es wahrscheinlich mehrere Ursachen. Und unabhängig von diesem Vorfall deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass Parasiten, Krankheiten und Pestizide den Honigbienen Probleme bereiten.

Die Ironie dabei ist, dass die Zahl der Honigbienen weltweit so hoch ist wie nie zuvor. Diese weit verbreitete Sorge um die domestizierten Honigbienen überschattet, was mit den Wildbienen geschieht. Forschende haben keinen wirklichen Überblick darüber, wie gut es den weltweit 20 000 Bienenarten geht. Oft fehlen ihnen selbst die grundlegendsten Informationen über die Wildbienenpopulationen. Aber dort, wo sie verfügbar sind, ist der Trend oft rückläufig.

Können einheimische Bestäuber zurückkehren?

»Kein Wunder, dass die Öffentlichkeit verwirrt ist«, sagt Ponisio, während sie an den Menschenmassen in Torrey Pines vorbeigeht. Es ist, als ob Fachleute wie sie versuchten, die Aufmerksamkeit auf die Notlage der Fleckenkäuze zu lenken (eine Eulenart, die vom Aussterben bedroht ist), stattdessen die Menschen aber besorgt darüber wären, ob es den Hühnern auf dem Bauernhof gut geht.

Für Ponisio sind das zwei unterschiedliche Dinge: Die Honigbienen brauchen Hilfe durch Verbesserungen in der Landwirtschaft. Und die Wildbienen brauchen Hilfe durch einen besseren Natur- und Artenschutz. Immerhin beginnen mehr und mehr amerikanische Obst- und Gemüsebauern, die stark von Honigbienen abhängig sind, sich über den Schutz von Wildbienen Gedanken zu machen. Eine Lösung wäre, wenn einheimische Bestäuber zurückkehren würden.

An einem Aprilnachmittag im kalifornischen Central Valley stehen zwei Männer vor einem Streifen blühender Sträucher, der zwischen Feldern mit Bäumen verläuft, die voller samtgrüner Knollen unreifer Mandeln hängen. Schwebfliegen ruhen sich in den Blüten aus, Wolken von Florfliegen treiben zwischen den Sträuchern.

Diese Hecke auf der Bixler Ranch ist eine Wette: Wenn man einheimische Bestäuber fördert, werden sie zurückkehren. Das Unternehmen, das dahintersteckt – eine Mandelfarm –, hofft, dass es damit etwas Gutes tun kann. Normalerweise haben es Bienen auf diesen Feldern nicht leicht: Reihenweise blühen ein und dieselben Pflanzen nur für eine kurze Zeit und werden währenddessen mit Pestiziden überschüttet. Die moderne intensive Landwirtschaft in den USA stützt sich deshalb stark auf Europäische Honigbienen, die an solchen Orten nicht lange leben müssen. Jedes Frühjahr werden Bienenstöcke auf Traktoranhängern durch das ganze Land transportiert, um die Obst-, Nuss- und Gemüsekulturen zu bestäuben.

Die hocheffizienten Arbeitsbienen befruchten so jedes Jahr US-amerikanische Kulturen im Wert von etwa 15 Milliarden Dollar. Kaliforniens milliardenschwere Mandelindustrie steht an der Spitze dieser Liste. Für ein paar Wochen legt sich ein Schleier von Honigbienen wie eine Wolke über die Mandelplantagen im Central Valley. Der US-Bundesstaat ist der weltweit größte Mandellieferant, der ohne die große Zahl von Bestäubern nicht existieren würde.

Zur Befruchtung der Pflanzen mieten Farmen in Kalifornien wochenweise Honigbienenstöcke.

Laut Gary Williamson, einem der Experten auf diesem Gebiet und Leiter der Farm, ist diese Abhängigkeit mit enormen Kosten verbunden. Die Bestäubung ist ein 250 Millionen Dollar schwerer Wirtschaftszweig. Die Bixler Ranch, die ebenfalls auf die Dienste der Honigbienen angewiesen ist, mietet die Bienenstöcke momentan für 220 Dollar pro Stück für ein oder zwei Wochen Bestäubung, Tendenz steigend, sagt Williamson, ein stämmiger Mann mit kariertem Hemd und Truckermütze. Die Kosten für die Bestäubung von fast 1200 Hektar Mandeln und Blaubeeren belaufen sich laut seiner Schätzung hier auf knapp eine halbe Million Dollar pro Jahr.

»Die Landschaften sind verkümmert, wir haben nicht genügend einheimische Bienen und müssen Geld ausgeben, um andere Bienen auf die Farmen zu holen«Wood Turner, Senior Vice President of Global Impact bei Agriculture Capital

Der zweite Mann, Wood Turner, ergreift das Wort. »Schauen Sie, wir als Gesellschaft haben uns in eine völlig verfahrene Situation gebracht: Die Landschaften sind verkümmert, wir haben nicht genügend einheimische Bienen und müssen Geld ausgeben, um andere Bienen auf die Farmen zu holen – gebietsfremde, damit diese die Bestäubung übernehmen«, sagt er. Turner ist Senior Vice President of Global Impact bei Agriculture Capital, einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Investmentfirma. Die kalifornische Tochtergesellschaft des Unternehmens betreibt diese Farm. »Diese Kombination ist es, die uns wirklich motiviert«, sagt er.

Turner geht durch die beiden sauber gepflanzten Reihen der Hecke. Sie ist Teil einer größeren Bepflanzung aus überwiegend einheimischen Gehölzen, die einheimischen Bienen und anderen Bestäubern sowie nützlichen Raubinsekten Nahrung und Lebensraum bieten soll. Die Bixler Ranch hat ihre erste derartige Hecke bereits im Jahr 2018 gepflanzt. Drei Meilen sind die beiden Hecken heute lang – und sie werden länger.

Eine Vosnesensky-Hummel sitzt auf Schwefelbuchweizen in den Trinity Alps, Kalifornien.

Das Unternehmen hat sich aus mehreren Gründen für dieses Vorgehen entschieden. Einer ist der Kostenfaktor: Die Landwirtschaft ist traditionell ein Geschäft mit geringer Gewinnspanne. Landwirte sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Kosten zu senken. Angesichts steigender Kosten und eines sich ändernden Klimas sieht Turner in der Kultivierung gesunder Wildbienenpopulationen einen möglichen Schritt, um die Abhängigkeit der Farm von gemieteten Honigbienen zu verringern.

Die Kapitalgesellschaft Agriculture Capital möchte aber auch die Gelder institutioneller Anleger, wie zum Beispiel Pensionsfonds, von Industrien weglocken, die etwa fossile Brennstoffe fördern. Um dies zu erreichen, muss das Unternehmen zeigen, dass regenerative Ansätze in der Landwirtschaft funktionieren – also Verfahren, die die Böden regenerieren, Kohlenstoff speichern und die Artenvielfalt fördern –, dass sie also gut für den Planeten sein können und sich gleichzeitig positiv auf das Geschäftsergebnis auswirken. Die Hecken von Bixler sind ein Teil dieser Strategie, und auch dieser Pressetermin gehört dazu.

Zertifikat für bienenfreundliche Landwirtschaft

Der Betrieb nimmt am Zertifizierungsprogramm »Bee Better Certified« teil, das 2017 von der gemeinnützigen »Xerces Society for Invertebrate Conservation« ins Leben gerufen wurde, einer internationalen gemeinnützigen Organisation, die sich für den Schutz der Natur durch die Erhaltung der wirbellosen Tiere und ihrer Lebensräume einsetzt. »Das Programm konzentriert sich auf den Aufbau und die Wiederherstellung vielfältiger, gesunder Lebensräume für einheimische Bienen und den Schutz dieser Bienen vor Pestiziden und Krankheiten auf landwirtschaftlichen Flächen«, sagt Cameron Newell, der Koordinator von Bee Better Certified.

Um sich für das Bee-Better-Siegel zu qualifizieren, muss ein Landwirt mehrere Voraussetzungen erfüllen. Mindestens fünf Prozent seiner Anbaufläche müssen als Lebensraum für Bestäuber geeignet sein, davon ein Prozent als dauerhafter Lebensraum, der nicht verlegt werden darf. Im Central Valley, wo riesige Farmen von Zaun zu Zaun bepflanzt sind, würden die Landwirte die bienenfreundlichen Pflanzen oft an den Rändern oder zwischen den Reihen einstreuen, sagt er. Auf der Bixler Ranch werden alte, mit Zement ausgekleidete Bewässerungsgräben entfernt, um Hecken anzulegen, die hauptsächlich an die Heidelbeerfelder angrenzen – der neue Schwerpunkt des Unternehmens.

Ein Landwirt, der eine Zertifizierung anstrebt, muss zudem den Pestizideinsatz reduzieren. Außerdem darf der Landwirt keines der vier Insektizide aus der Gruppe der Neonikotinoide einsetzen, die für Bienen besonders schädlich sind.

Einige Unternehmen hatten Xerces ursprünglich gebeten, einen soliden Standard zu schaffen, um anderen Bestäubersiegeln entgegenzuwirken, die keine Verifizierung durch Dritte vorweisen konnten. Bee Better ist nun das Ergebnis. Xerces berät landwirtschaftliche Betriebe, die das Siegel anstreben, und hilft ihnen bei der Ausarbeitung eines Plans mit bienenfreundlichen Maßnahmen, die auf die jeweiligen Grundstücke zugeschnitten sind. Dazu zählt zum Beispiel, dass man einheimische Pflanzen identifiziert, die den Bienen das ganze Jahr über blühende Nahrung bieten. Ein unabhängiger Dritter, Oregon Tilth, führt dann Inspektionen vor Ort durch, um zu bescheinigen, dass die Betriebe wirklich besser für einheimische Bienen sind. Von diesen Farmen können Lebensmittelunternehmen nun Bee-Better-Zutaten für ihre Produkte beziehen und das Siegel erhalten.

Die Reichweite von Bee Better ist noch klein, rund 25 000 Hektar und etwa 38 Farmen insgesamt, aber es gewinnt an Fahrt. Häagen-Dazs-Eis und Silk-Mandelmilch haben beispielsweise beide bereits das Siegel bekommen.

Positive Wirkung des Siegels noch ausbaufähig

Gut 450 Hektar Blaubeerfelder der Bixler Ranch haben ebenfalls schon die Bee-Better-Zertifizierung. Agriculture Capital investiert auch in fünf Bee-Better-zertifizierte Bioheidelbeerfarmen in Oregon, die einen größeren Lebensraum für Bestäuber bieten als die Bixler-Farm. Bisherige Forschungen legen nahe, dass der Blaubeeranbau aus der Anpflanzung von einheimischen Bienenhabitaten in seiner Nähe messbar profitiert: Die Zahl der Wildbienen verdoppelte sich und der Ertrag stieg nach einigen Jahren um 10 bis 20 Prozent. Die Investition in den Lebensraum kann sich so innerhalb von vier oder fünf Jahren bezahlt machen. Die Farmen in Oregon könnten bereits erste Erfolge in Bezug auf Ertrag, Fruchtqualität und Größe verbuchen, so Turner. »Wir hoffen, dass wir hier das gleiche Ergebnis erzielen können.«

Untersuchungen auf den unternehmenseigenen Farmen in Oregon hätten außerdem gezeigt, dass es dort eine Fülle von Insekten gibt, die in der Landwirtschaft helfen: etwa neunmal so viele wilde Bestäuberarten und mehr als doppelt so viele nützliche Insektenarten, die Pflanzenschädlinge bekämpfen, so Turner. Dies deckt sich mit einer Reihe von Forschungsergebnissen, die zeigen, dass mehr Lebensräume für Bestäuber und weniger Pestizideinsatz die Gesundheit und die Populationen sowohl der einheimischen Bienen als auch der Honigbienen fördern können.

Diese positiven Ergebnisse stellen sich jedoch nicht über Nacht ein. Bereits relativ am Anfang des Bee-Better-Programms erhielt die Ökologin Lauren Ponisio eine Forschungsförderung, um dessen Wirksamkeit bei neu zertifizierten Mandelplantagen im Central Valley zu bewerten. Insgesamt 150 Stunden lang untersuchte sie Bee-Better-Farmen und fand insgesamt nur elf einheimische Bienen. Sie vermutet, dass in dem Meer an Monokulturen einfach kein Lebensraum für die Wildbienen übrig war, von dem aus sie sich in die neuen Hecken ausbreiten hätten können. Entmutigt hatte sie eines Tages einfach nach einem Insekt, nach irgendeinem Lebewesen außer einer Honigbiene gesucht, erinnert sie sich. Sie konnte keines finden.

Dennoch findet Ponisio es richtig, die Bauern dazu zu ermutigen, ihre Felder attraktiver für einheimische Bienen zu gestalten. Mehr finanzielle Anreize wären hilfreich, sagt sie, wie etwa die staatlichen Programme, die der Bixler Ranch bei der Finanzierung ihrer Hecken geholfen haben. Das Gleiche gilt für strenge Zertifizierungen wie Bee Better, die den Landwirten einen Marketingvorteil verschaffen und ihnen mehr Geld einbringen könnten. Eine kürzlich von Ponisio und einem Kollegen durchgeführte Umfrage unter mehr als 300 Mandelbauern ergab allerdings, dass das Interesse an bienenfreundlichen Maßnahmen noch gering ist – außer unter jenen Landwirten, die Probleme mit ihren Honigbienen haben. »Wie kann man die Mandelindustrie in Sachen Nachhaltigkeit knacken?«, fragt sie sich.

»Wenn man die Bienen nicht aktiv aushungert oder tötet, werden sie hoffentlich wieder auftauchen«Lauren Ponisio

Trotz gelegentlicher Anfälle von Pessimismus hat Ponisio die Hoffnung für die Wildbienen der Welt nicht verloren. »Ich hoffe, dass wir für die Bienen positive Veränderungen erreichen werden«, sagt sie. Diese wirbellosen Tiere sind widerstandsfähig, wenn man ihnen eine Chance lässt: »Wenn man sie nicht aktiv aushungert oder tötet, werden sie hoffentlich wieder auftauchen.«

Auf der Suche nach den heute noch vorhandenen Bienen durchkämmte Ponisios Außendienstteam während des gesamten Frühjahrs 2022 die südkalifornischen Wiesen, Sümpfe und Wüsten, in denen der Entomologe Moldenke Jahrzehnte zuvor geforscht hatte. Auf den langen wöchentlichen Fahrten in einem mit wissenschaftlicher Ausrüstung vollgepackten Van konnte es beobachten, wie die Menschen der Region die Landschaft verändert haben und ihr die immer gleichen Muster aufzwingen. Immer wieder fuhr der Wagen an Wohnsiedlungen, Geldinstituten, Rinderfarmen, Golfplätzen und Einkaufszentren vorbei.

Parallelen zur Vermischung der menschlichen Kulturen

Forschende aus dem Bereich der Homogenisierung der biologischen Vielfalt ziehen Parallelen zu den Kräften der Globalisierung: In zahllosen Städten in den USA und auf der ganzen Welt sind die kleinen Lädchen verschwunden, die Orten ihren Charme verliehen haben. Heute nehmen Amazon-Lagerhäuser und Walmart ihren Platz ein. Was übrig geblieben ist, könnte »Anywhere, USA« oder sogar »Anywhere, Earth« heißen. Ähnlich verhält es sich mit einigen wenigen Sprachen, die erst durch Kolonisatoren und dann durch die Massenkommunikation den Globus erobert haben, während tausende andere Sprachen langsam in Vergessenheit geraten.

Werden die mächtigen globalen Kräfte auch die biologische Vielfalt der Welt in ein metaphorisches McDonald's verwandeln – mit Pflanzen- und Tierpopulationen, die überall fast gleich sind? Die Ökologieprofessorin Julie Lockwood hofft weiterhin, dass das nicht passieren wird. »Aber wir tendieren definitiv in diese Richtung«, sagt sie.

Ein Planet, der weniger reichhaltig und vielfältig ist, ist nicht einfach weniger interessant. Es ist wie bei einem Aktienportfolio, das nicht diversifiziert ist. Eine geringere Vielfalt könne die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen angesichts größerer Störungen wie dem Klimawandel einschränken, sagt Lockwood.

In Torrey Pines hält Lauren Ponisio bei ihrer Suche nach Bienen in einem Sumpfgebiet in Meeresnähe inne. Sie blickt auf die bernsteinfarbenen Gräser, die vor Jahrhunderten mit den spanischen Invasoren kamen. Ponisio ist selbst in Kalifornien aufgewachsen und fragt sich, wie Kalifornien vor bald 500 Jahren ausgesehen haben muss, als die Europäer es zum ersten Mal sahen. Bevor die vielen großen Schiffsflotten anlandeten, vor den Missionen, dem Goldrausch und dem Technologieboom. Damals, als nur Ureinwohner hier lebten und das Land bewirtschafteten. Die Spanier, die hier ankamen, müssen gedacht haben, dass diese Küste ihrer mediterranen Heimat nicht unähnlich ist.

»Natürlich weiß niemand mehr, wie dieses Kalifornien vor langer Zeit ausgesehen hat«, sagt sie. Es gibt nur flüchtige Eindrücke von jener Version der Welt, die in Büchern niedergeschrieben oder im Wissen der Ureinwohner festgehalten sind. Eine kurz aufblitzende Bewegung in ihrem Augenwinkel holt Ponisio in die Gegenwart zurück. Wieder ist es keine Wildbiene.

Die Berichterstattung für diesen Artikel wurde durch eine Auszeichnung des »Institute for Journalism and Natural Resources« ermöglicht.

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