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Biologisches Geschlecht: Wie der Maulwurf sein Geschlecht wechselt

Weibchen können bei Bedarf auch Männchen werden, wie der Maulwurf zeigt. Genetisch ist das auf den ersten Blick etwas kompliziert – aber eigentlich könnte das ganze Tierreich den Trick beherrschen.
Maulwurf schaut aus seinem Hügel

Das biologische Geschlecht eines Lebewesens ist, wie Biologinnen und Biologen wissen, selten ganz eindeutig: Zwischen »männlich« und »weiblich« liegen viele Übergangsstadien, und alles ist immer eine Frage der Definition. Schön deutlich wird das beim Maulwurf, bei dem Tiere mit zwei X-Chromosomen zwar säugetiertypisch wie Weibchen aussehen und Nachwuchs bekommen, ebenso aber das Geschlecht wechseln oder Zwitter sein können. Wie diese Vielfalt im Körper reguliert wird, ist verwirrend komplex – und war nun Untersuchungsgegenstand eines vielköpfigen Forscherteams um Stefan Mundlos vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Die Forscher haben ihre neuen Erkenntnisse zur Maulwurfgeschlechterforschung gerade im Fachmagazin »Science« publiziert.

Das Versuchstier der Wissenschaftler war dabei der Iberische Maulwurf Talpa occidentalis. Hier finden sich in »Weibchen« mit zwei X-Chromosomen sowohl funktionierende Eierstöcke wie auch Hoden in einem kombinierten Fortpflanzungsorgan, den Ovotestes. Diese produzieren Eier, allerdings keine Spermien – stattdessen werden im Hodenabschnitt des Gewebes aber größere Mengen des männlichen Sexualhormons Testosteron gebildet. Tiere mit hohen Werten jenes Hormons im Blut sind aggressiv im Verhalten und muskulös, was ihnen im Konkurrenzkampf bessere Chancen einräumt.

Die Forscher um Mundlos untersuchten nun, wie die innere Ausstattung der Maulwurfgeschlechter reguliert wird. In Frage kamen verschiedene genetische Regulationsmechanismen – und so sequenzierten die Forscher das Erbgut der Tiere zunächst vollständig. Auf diese Weise konnten sie einfache genetische Unterschiede in der Basenabfolge zwischen den unterschiedlich ausgestatteten Tieren erkennen. Zudem verglichen sie die epigenetische Regulation der DNA und die Unterschiede der dreidimensionalen Struktur des Erbguts in der Zelle. Denn die Lage von regulatorischen Elemente und den von ihnen beeinflussten Genen verändert auch, wie oft und gut Gene abgelesen werden, und bestimmt ebenso über das Entwicklungsprogramm.

Tatsächlich fiel den Forschern auf, dass an der Entstehung von Hodengewebe in XX-chromosomalen Tieren eine Inversion eines kurzen Erbgutabschnitts beteiligt ist – ein DNA-Abschnitt, der umgedreht in die DNA eingebaut wurde. Dadurch geraten Gene auf diesem Abschnitt in den Einflussberich eines bestimmten Regulationsabschnittes, des Gens FGF9. Jenes steuert die Aktivität nun anders, was zu der anatomischen Veränderung beiträgt. Gleichzeitig sorgt eine weitere genetische Veränderung dafür, dass in den Zellen des Hodengewebes mehr Testosteron produziert wird: Das Gen CYP17A1 wird verdreifacht, was die Produktionskapazität für die männlichen Sexualhormone erhöht.

Solche Veränderungen funktionieren im Übrigen nicht nur beim Maulwurf, wie das Team weiter zeigen konnte: Gentechnisch veränderte, chromosomal »weibliche« Mäuse mit identischen genetischen Umbauten produzierten auch mehr Testosteron und legten im Vergleich zu Standardweibchen an Muskelmasse zu.

Die Maulwürfe sind nicht die einzigen Säugetiere mit »intersexuellen Phänotypen«, also Zwischenformen mit nicht eindeutiger Ausstattung der Geschlechtsorgane: Man kennt Ähnliches etwa vom Sternmull Condylura cristata. Der natürliche Prozess, bestimmte Einzeleigenschaften von Geschlechtern nach Bedarf in einem Tier zu mischen, wird offenbar von den Anforderungen im Evolutionsprozess angestoßen. Er kann mit recht komplexen Veränderungen der Genstruktur einhergehen, die in der Folge dann die genetischen Regulationsmechanismen verändern. Dieser Mechanismus wurde bisher womöglich unterschätzt: Es ist durchaus denkbar, dass er häufiger als gedacht hinter bislang ungelösten Rätseln phänotypischer Varianten und Anpassungen im Tierreich steckt.

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