Biologisches Qubit: Ein Quallenprotein als Quantensensor

Auf den ersten Blick scheinen Biologie und Quantentechnologie grundverschieden. Lebende Systeme operieren in warmen, verrauschten Umgebungen und sind permanent in Bewegung. Quantensysteme dagegen brauchen in der Regel extreme Isolation und Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, um zu funktionieren. Allerdings ist die Quantenmechanik die Grundlage von allem, auch von biologischen Molekülen. Könnte es also doch mehr Gemeinsamkeiten geben als bislang angenommen? Das fragten sich auch Forschende der University of Chicago und haben ein in lebenden Zellen vorkommendes Protein in ein funktionierendes Qubit umgewandelt, die Grundlage von Quantentechnologien. Das bloß wenige Nanometer große, fluoreszierende Protein-Qubit könne als Quantensensor verwendet werden, der winzige Veränderungen in seiner Umgebung mit außergewöhnlicher Empfindlichkeit erkennt und so einen beispiellosen Einblick in biologische Prozesse ermöglicht, schreibt das Team im Fachmagazin »Nature«.
Ein Qubit ist ein quantenmechanisches Zweizustandssystem. Es ist die kleinstmögliche Speichereinheit eines Quantencomputers und somit das quantenmechanische Analogon zum klassischen Bit. Während ein klassisches Bit jedoch lediglich im Zustand 1 oder im Zustand 0 ist, kann ein Qubit auch in einer Überlagerung dieser beiden existieren (Superposition). Es lässt sich zudem mit anderen Quantenbits verschränken, sodass deren Zustände unmittelbar voneinander abhängen. Theoretisch lässt sich aus jedem System, das zwei klar voneinander unterscheidbare Quantenzustände hat, ein Qubit erzeugen. In der Praxis erweisen sich jedoch viele Systeme als ungeeignet. Bislang bestehen Qubits aus winzigen Schaltkreisen, Ionen, Atomen oder Defekten in Kristallen, um nur einige zu nennen.
»Anstatt nun einen herkömmlichen Quantensensor zu nehmen und ihn umständlich in ein biologisches System einzuschleusen, haben wir die Idee verfolgt, ein biologisches System selbst zu nutzen – und es zu einem Qubit weiterzuentwickeln«, erklärt David Awschalom, Koleiter des Projekts und Professor für Molekulartechnik, den neuartigen Ansatz. Denn bislang war der Einsatz von herkömmlichen festkörperbasierten Quantensensoren in den Lebenswissenschaften begrenzt. Sie sind in der Regel zu groß oder inkompatibel mit biologischen Systemen. Im Gegensatz zu künstlichen Nanomaterialien können Protein-Qubits direkt von Zellen hergestellt und mit atomarer Präzision am gewünschten Ort platziert werden.
»Die Tatsache, dass es funktioniert hat, bringt uns immer noch zum Strahlen«Peter Maurer, Quantenphysiker
Als optisch ansteuerbares Qubit dient das an das Protein angehängte Fluorophor, das ein kontrollierbares Zwei-Zustandssystem besitzt. Das »enhanced yellow fluorescent protein«, kurz EYFP, stammt ursprünglich aus der Qualle Aequorea victoria. Es ist ein häufig in der Zellbiologie verwendetes Werkzeug, um winzige Strukturen innerhalb von Zellen darzustellen. Bisher sei der metastabile Triplettzustand des EYFP eher als Makel denn als hilfreiche Eigenschaft angesehen worden, erklärt Quantenphysiker und Koautor Peter Maurer. »Der Durchbruch kam, als wir erkannten, dass dieser Zustand Quanteninformationen speichern kann, und wir einen Weg fanden, diese mit Hilfe von Methoden aus der Quantenphysik auszulesen.« Zunächst hätten viele die Idee für verrückt gehalten, ein Quallenprotein in ein Qubit umzuwandeln, erzählen Maurer und Awschalom. »Doch die Tatsache, dass es funktioniert hat, bringt uns immer noch zum Strahlen.« Möglich sei dies nur gewesen, weil viele motivierte Menschen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen an den Erfolg des Projekts geglaubt hätten.
Das Team nutzt Mikrowellenpulse, um das Protein-Qubit zu manipulieren – und somit Techniken, die auch in anderen Qubit-Systemen wie etwa supraleitenden Qubits oder Diamant-Qubits zum Einsatz kommen. Um anschließend die Information auszulesen greifen sie erneut auf existierende Ansätze aus der Atomphysik zurück. Eine entscheidende Voraussetzung für ein in lebenden Organismen funktionierendes Qubit ist zudem, dass es bei der jeweiligen Körpertemperatur seinen Quantenzustand beibehält. »Normalerweise würde man denken, dass biologische Systeme verrauscht sind und Quanteninformationen sehr schnell zerstören würden«, sagt Maurer. »Wir konnten jedoch zeigen, dass die verwendeten Energieniveaus ähnliche Eigenschaften aufweisen wie die aus Atomuhren bekannten. Das führt zu Zuständen, die auch bei Umgebungstemperatur vor Rauschen geschützt sind.«
Bislang erreichen die neuen proteinbasierten Qubits noch nicht die Empfindlichkeit der derzeit besten Quantensensoren, die in der Regel durch Stickstofffehlstellen in Diamanten realisiert werden. Da sie sich aber auf genetischer Ebene in lebende Systeme hineinschreiben lassen, versprechen sie etwas weitaus Radikaleres: die Möglichkeit, biologische Vorgänge auf Quantenebene zu beobachten, von der Proteinfaltung und Enzymaktivität bis hin zu den frühesten Anzeichen einer Krankheit.
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