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Granulare Materie: Bis zur Hüfte

Was ist dran an den Geschichten, in denen Wüstenreisende plötzlich im Sandboden versinken, unrettbar verloren, nicht mehr zu befreien, schon gar nicht aus eigener Kraft? Da sich Freilandexperimente von selbst verbieten, bringen Laborversuche Licht ins Körnerdunkel. Und Erleichterung vor der nächsten Saharatour.
Im Treibsand
Mannis Bluff misslingt: Zwar stoppt er die rasante Jagd des schwulen Nashornpärchens im Film "Ice Age", doch ausgerechnet das verfolgte Faultier Sid enttarnt den vermeintlichen Treibsand als festen Untergrund. Damit bleibt die Frage ungeklärt: Wie tief wären die beiden ungehaltenen Unpaarhufer wohl eingesunken?

Nur bis zur Hüfte, würden Daniel Bonn von der Ecole Normale Supérieure in Paris und seine Kollegen alle Nashornliebhaber beruhigen. Doch auf die gute folgte die schlechte Nachricht: Die beiden Eiszeitgenossen wären steckengeblieben. Ohne äußere, weit kraftvollere Hilfe als Manni hätten sie sich die herannahenden Gletscher wohl von unten besehen müssen.

Die Wissenschaftler locken selbstverständlich keine Nashörner in Treibsandfelder, um zu solchen Aussagen zu kommen, sie erforschen das Verhalten der seltsamen Sande im Labor. Mit einer speziellen Mischung aus Sand, Ton und Salzwasser simulieren sie die Eigenschaften des tückischen Untergrundes und erkunden die Einsinkgefahr mit Kugeln unterschiedlicher Dichte. Wird das Gefäß in Ruhe gelassen, steigert sich die Viskosität des Gemischs mit der Zeit, da sich durch den Tonanteil langsam ein kolloidales, allerdings höchst fragiles Gel ausbildet. Sobald jedoch die kleinste Erschütterung auftritt, verliert das System die Fassung und verflüssigt sich sofort. Je mehr ein darin Gefangener also versucht, mit den Armen zu rudern, desto tiefer sinkt er ein.

Und warum kommt man nur so schwer wieder heraus? Weil sich durch die Verflüssigung aus der lockeren Mischung zwei Phasen bilden: die eine – unten – reich an Sand, nun dichter gepackt, die andere – oben – dementsprechend gehaltvoller an Wasser und deutlich weniger dicht als zuvor. Um einen Eingeschlossenen zu befreien, müsste also Wasser in die Sandschicht mit ihrer hohen Viskosität gepumpt werden, damit sie wieder durchlässiger wird. Ein allerdings aufwändiges Unterfangen: Damit das rettende Nass mit einem Zentimeter pro Sekunde in den Boden vordringt, bräuchte man bei der durchschnittlichen Porengröße von Sand zehn Bar – also das Zehnfache des Luftdrucks. Um mit derselben Geschwindigkeit einen Fuß aus der Falle zu ziehen, wären mehrere zehntausend Newton nötig. Mit solchen Kräften lassen sich ganze Mittelklassewagen heben.

In ihren Labortreibsandversuchen wollten die Forscher nun testen, ob ein Mensch hilf- und haltlos bis über den Kopf versinken könnte – Stoff zahlreicher Wüstenerzählungen. Sie ermittelten daher, mit welcher Geschwindigkeit eine Aluminiumkugel mit einer Dichte von 2,7 Gramm pro Milliliter und zwei Millimetern Radius in dem Gemisch verschwindet. Wieder zeigte sich, dass bei ruhigen Bedingungen rein gar nichts passiert: Trotz ihrer größeren Dichte – der Labortreibsand hat zwei Gramm pro Milliliter – blieb die Kugel auf der Oberfläche liegen. Schüttelten die Wissenschaftler ihre Treibsandschüssel jedoch nur leicht, sauste die Kugel so schnell in die Tiefe, dass sie sogar vor der Entstehung der bremsenden Sandschicht am Boden ankam.

Aus den Versuchsergebnissen errechneten Bonn und seine Mitarbeiter, dass ein Objekt mit einer Dichte von nur einem Gramm pro Milliliter nicht versinken, sondern "schwimmend" verharren würde. Zu solchen Objekten zählen Mensch und Tier. Wer also in Treibsand gerät, sollte trotz Panik vor allem eines tun: stillhalten und hoffen, das schnell kraftvolle Hilfe kommt.

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