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Sinne: Bittere Details

Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten: Sogar was dem einen bitter ist, rührt den anderen nicht. Verantwortlich dafür sind drei winzige genetische Unterschiede.
Vor beinahe exakt zwei Jahren haben Wissenschaftler ein siebzig Jahre altes genetisches Rätsel gelöst: warum manche Menschen bei einer Kostprobe von Phenylthioharnstoff (PTH) angewidert das Gesicht verziehen und andere nicht. Erstere empfinden die nicht natürliche Substanz schon in kleinsten Konzentrationen als ekelhaft bitter, eine Eigenschaft, die sie offenbar von ihren Eltern vererbt bekamen. Ihre ungerührten Mitmenschen hingegen schmecken überhaupt nichts oder erst in vielfach höheren Dosen.

PTH-Kristalle | Phenylthioharnstoff-Kristalle unter dem Mikroskop
Im Februar 2003 nun hatten Forscher um Un-kyung Kim von den National Institutes of Health berichtet, dass sie das Gen für den zuständigen Bitterrezeptor aufspüren konnten. Die kurze Sequenz auf Chromosom 7 kodiert für Protein, das zu einer in der Geschmacksrezeptorenwelt weit verbreiteten Familie namens T2R gehört. Allerdings tritt dieser Vertreter in verschiedenen Varianten auf. So gibt es drei Stellen in der Sequenz – die Positionen 49, 262 und 292 –, an denen zwei Aminosäuren möglich sind, je nach genetischer Bauanleitung. Insgesamt stellten die Forscher fünf Haupttypen von Allelzusammenstellungen fest.

Am häufigsten sind dabei die Varianten PAV und AVI – hier sitzt an Position 49 die Aminosäure Prolin respektive ein Alanin, an Position 262 Alanin beziehungsweise Valin und an Position 296 Valin oder Isoleucin. Seltener treten auf AAI (Alanin, Alanin, Isoleucin), PVI (Prolin, Valin, Isoleucin) und AAV (Alanin, Alanin, Valin).

Fünf Bauanleitungen – fünf Empfindlichkeitstypen? Eine Frage, die sich an menschlichen Versuchskaninchen nur schwer eindeutig beantworten lässt, da viele Umgebungsfaktoren den eigentlichen Geschmackseindruck verfälschen können. Aber da die genetische Vorlage ja nun bekannt war, lag der nächste Schritt nahe: Bernd Bufe am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam und seine Kollegen schleusten die verschiedenen Gensequenzen in menschliche Zellkulturen ein und beobachteten dann die biochemische Reaktion der Zellen auf den Reizstoff PTC sowie auf Propylthiouracil (PROP). Diese ebenfalls bitter schmeckende Substanz, ein weiterer Thioharnstoff-Abkömmling, wird bei Schilddrüsenüberfunktion als Medikament eingesetzt.

Am empfindlichsten erwiesen sich die Zellen mit PAV-Rezeptoren, während die AVI-Vertreter überhaupt nicht reagierten. Eine mittelmäßige Antwort beobachteten die Forscher bei den drei selteneren Varianten. Und das, obwohl die Rezeptordichte auf der Zelloberfläche bei allen Typen vergleichbar war – offenbar also unterscheiden sich die gebildeten Proteine in ihrer Funktionalität. Bufe und seine Kollegen konstruierten außerdem weitere mögliche Allelzusammenstellungen, die beim Menschen nicht vorkommen. Hier zeigte sich, dass die Position 49 eine entscheidende Rolle für die Empfindlichkeit spielt: Das PAI-Konstrukt reagierte ähnlich gereizt wie PAV, die AVV-Variante dagegen gar nicht. Ebenfalls bedeutend scheint die zweite Austauschstelle zu sein, denn PVV blieb mittelmäßig in seiner Antwort. Die letzte Position hingegen – ob nun Valin oder Isoleucin – wirkt sich dagegen offenbar kaum auf die Reaktionsbereitschaft aus.

Dabei erwies sich der empfindlichste Kandidat PAV in weiteren Versuchen als ausgesprochen wählerisch: Er reagierte zwar auch auf andere Substanzen, die PCT strukturell ähnlich sind. Der Süßstoff Saccharin hingegen, ebenfalls bitter schmeckend, aber anders aufgebaut, ließ die Rezeptoren kalt.

Auch auf zellulärer Ebene spiegelt sich also die Bandbreite von Reaktionen wider, die sich beim Menschen im Geschmackstest mit PTC zeigt. Damit bleibt aber immer noch die Frage, ob sie sich entsprechen – jene Bitterempfindlichen also tatsächlich PAV-Rezeptoren besitzen und die Ungerührten AVI. Demnach galt es, doch einen Geschmackstest zu machen, nun aber mit ausgewählten genetischen Profilen. Und siehe da: PAV-Träger verzogen das Gesicht, AVI-Träger blieben heiter. Besaßen die Testteilnehmer beide Allele, lag ihre konzentrationsabhängige Geschmacksschwelle für PTC und PROP irgendwo zwischen den beiden Extremen.

Wenn nun jede Allelzusammensetzung einen eigenen Rezeptortyp hervorbringt, multipliziert sich dadurch die Zahl möglicher Geschmacksrezeptoren des Menschen. Wofür aber brauchen wir eine derart feine Abstimmung in der Wahrnehmung jener speziellen Bitterstoffe? Die Antwort liegt in ihrer Bedeutung: In Jodmangelgebieten führt eine Überversorgung mit Thioharnstoff-Abkömmlingen wie Isocyanaten zu Fehlfunktionen der Schilddrüse bis hin zu Kropfbildungen. Andererseits zeigen genau dieselben Substanzen, aufgenommen aus Kohlgemüsen, eine deutliche Anti-Krebswirkung. Je nach Region könnte also eine empfindliche oder ungerührte Bitterkeitswahrnehmung vorteilhaft gewesen sein – eine wahrlich kleine Aufgabe für das Auswahlsieb Evolution.

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