BitterLiebe: Bittere Pillen ohne Power

Eine junge Frau lächelt in die Kamera. Vor ihr liegen Gemüse und Hefewürfel. Mittendrin: eine braune Glasflasche mit grün-rosafarbenem Etikett und weißem Schriftzug. »Cholesterin senken ohne Nebenwirkungen?«, fragt sie und liefert direkt die Antwort: »Ja, das geht.«
So beginnt am 29. Dezember 2024 ein Reel auf dem Instagram-Kanal der Marke BitterLiebe. Das Unternehmen dahinter heißt BitterPower GmbH und präsentiert in dem Clip sein neuestes Produkt. Bei einem zu hohen Cholesterinspiegel würden schnell Cholesterinsenker verschrieben, erklärt die Sprecherin, so genannte Statine. Diese Medikamente könnten jedoch Nebenwirkungen wie Muskel- oder Gelenkschmerzen auslösen. Dabei ließe sich der Cholesterinspiegel in den meisten Fällen auch ohne solche Mittel senken. »Die einzigartige und komplett natürliche Lösung kommt von uns«, fährt sie fort: »der BitterLiebe Cholesterin* Komplex«.
Doch Beweise für die versprochene Wirkung der Kapseln bleibt der Hersteller schuldig, nicht nur in diesem Instagram-Video. Mehr noch, Experten warnen: Wer zu Gunsten von Nahrungsergänzungsmitteln auf Medikamente verzichtet, riskiert seine Gesundheit.
Lifestyle statt evidenzbasierter Medizin
Der Wunsch, seine Gesundheit zu optimieren, liegt im Trend. Sanft sollen die Produkte sein, natürlich, vor allem aber ohne Nebenwirkungen – und frei von »chemischen Zusätzen«. Besonders beliebt sind Nahrungsergänzungsmittel. Ihr Markt boomt: 2024 haben Menschen in Deutschland rund 4,3 Milliarden Euro für solche Tabletten, Kapseln und Tropfen ausgegeben. Eine Umfrage unter 2070 Verbrauchern zeigt: Etwa 53 Prozent der Befragten greifen mindestens einmal wöchentlich zu Nahrungsergänzungsmitteln, 38 Prozent sogar mehrmals pro Woche. Sie wollen damit in erster Linie einen möglichen Nährstoffmangel ausgleichen und ihr Immunsystem stärken, ein Drittel erhofft sich sogar, damit Krankheiten vorzubeugen.
Nahrungsergänzungsmittel mit Pflanzenteilen oder -extrakten – so genannte Botanicals – werden dabei als besonders natürlich wahrgenommen und deren Risiken als gering eingeschätzt.
Auch der »Cholesterin* Komplex« von BitterLiebe enthält Botanicals. Mit Hilfe von Extrakten aus Artischockenblättern und Mariendistelsamen, Löwenzahnwurzelpulver sowie Beta-Glucanen und B-Vitaminen sollen Käufer ihren Cholesterinspiegel »regulieren« und ihr Herz schützen können. Die Glasflasche mit 120 Kapseln kostet rund 35 Euro. Vier Kapseln pro Tag empfiehlt der Hersteller; die Packung reicht demnach für etwa einen Monat.
BitterPower bietet eine breite Palette an Produkten rund um den Markenkern »Bitterstoffe« an. Das Unternehmen wurde 2018 von Jan Stratmann und Andre Sierek gegründet. 2019 stellten sie »BitterLiebe Tropfen« in der Unterhaltungsshow »Die Höhle der Löwen« vor, bei der Unternehmerin Judith Williams in das Start-up investierte. Das machte die Marke bekannt. Seitdem hat BitterPower das Sortiment deutlich erweitert: Es umfasst unter anderem Stoffwechselkapseln, Basentee, Leberspray und Probiotika, die Bitterstoffe mit Vitaminen, Mineralstoffen oder Bakterien kombinieren.
Auch wenn sich die beworbenen Einsatzzwecke unterscheiden – alle Produkte vereint, dass sie Bitterstoffe aus Pflanzenteilen oder -extrakten enthalten. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben eine Mission: »Wir von BitterLiebe wollen die Kraft der Bitterstoffe wieder zurück ins Bewusstsein und Alltag [sic!] der Menschen bringen.«
Was sind Bitterstoffe?
Bisher sind mehr als 2700 Bitterstoffe bekannt, bei denen es sich oft um pflanzliche Polyphenole handelt. Doch auch Koffein und Aminosäuren wie Tryptophan gehören dazu. Wir empfinden sie als bitter, da sie an jene Rezeptoren auf der Zunge binden, die unserem Gehirn mitteilen: »Vorsicht, bitter!«
Für unsere Vorfahren war die Warnung vor Bitterstoffen lebenswichtig, um Essbares von Ungenießbarem oder gar Schädlichem zu unterscheiden. Denn viele giftige Stoffe in Pflanzen schmecken bitter, etwa das Amygdalin aus Bittermandeln und Aprikosenkernen. Im Körper zerfällt die Substanz zu hochgiftiger Blausäure.
Bitterrezeptoren befinden sich jedoch nicht nur auf unserer Zunge, sondern auch auf Zellen im Darm, Gehirn, in der Lunge und den Skelettmuskeln. Im Darm reagieren Bitterrezeptoren mit verschiedenen Stoffen aus Lebensmitteln, Gallensäuren und bakteriellen Stoffwechselprodukten. Welche Folgen das hat, ist weitgehend unklar.
Mit dem »Cholesterin* Komplex« brachte BitterLiebe 2024 erstmals ein Produkt auf den Markt, das laut Anbieter »chemische Präparate« ersetzen können soll. »Schütze dein Herz mit der natürlichen Power«, wirbt das Unternehmen auf seiner Website. Auf dem BitterLiebe-Facebook-Account hieß es Mitte Dezember 2024: »Tu deinem Herz-Kreislauf-System etwas Gutes – auf natürliche Weise.« Darunter ein Bild mit einem verstopften Blutgefäß.
Die Reaktionen in den sozialen Medien waren geteilt. Einige User zeigten sich experimentierfreudig: »Ich möchte nächste Woche damit starten. Keine Lust auf Statine!!!!« Andere kritisierten die Werbeversprechen als überzogen. Und das aus gutem Grund.
Wissenschaftliche Wirknachweise fehlen
Der »Cholesterin* Komplex« wird als Mittel zum »Cholesterinsenken ohne Nebenwirkungen« beworben und damit als vermeintliche Alternative zu Medikamenten: rein pflanzlich, natürlich und sanft. Harmlos ist ein solches Produkt deshalb noch lange nicht. Bei der Zielgruppe – Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten – könnte der Eindruck entstehen, das Nahrungsergänzungsmittel wirke genauso gut wie ein herkömmlicher Cholesterinsenker, sei aber besser verträglich. Studien, die eine Wirkung des Produkts belegen, kann der Hersteller allerdings auch auf Nachfrage nicht vorweisen.
Julia Stingl, Leiterin der Abteilung für Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, kritisiert Werbung mit solchen Aussagen. Nahrungsergänzungsmittel werden weder auf ihre Wirkung noch auf Nebenwirkungen geprüft. »Arzneimittel müssen in Studien beweisen, dass sie tatsächlich den Cholesterinspiegel senken«, sagt die Medizinerin. Zudem werde etwa getestet, ob durch die Wirkstoffe weniger Schlaganfälle oder Herzinfarkte auftreten. Solche Rückschlüsse seien für Stoffe, die nicht pharmakologisch geprüft werden, nicht möglich.
»Nur weil etwas natürlich ist, ist es nicht automatisch gesund und ungefährlich«Stefan Lorkowski, Biochemiker
Auch werden Nahrungsergänzungsmittel nicht auf ihre Sicherheit geprüft, wobei mögliche gesundheitliche Risiken durch exotische Pflanzenteile oder hoch konzentrierte Extrakte oft unbekannt sind. Das Vertrauen in rein pflanzliche Produkte sei ein Trugschluss, sagt auch Stefan Lorkowski, Professor für Biochemie und Physiologie der Ernährung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. »Natürliche Pflanzenextrakte klingt erst einmal super«, sagt er. Aber kaum jemand bedenke, dass Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln unerwünschte oder sogar schädliche Wirkungen haben könnten. Der Biochemiker warnt: »Nur weil etwas natürlich ist, ist es nicht automatisch gesund und ungefährlich.«
Flächendeckende Qualitätskontrollen fehlen. »Nahrungsergänzungsmittel enthalten selten reine Substanzen, die pharmakologisch getestet wurden«, erläutert Lorkowski. Niemand könne garantieren, dass die Produkte sauber sind. Immer wieder stoßen Zoll und Aufsichtsbehörden bei Kontrollen auf Nahrungsergänzungsmittel mit Verunreinigungen, Schadstoffen und illegalen Substanzen.
Statine hingegen nehmen inzwischen Millionen von Patienten ein, sagt Lorkowski: »Heutzutage gibt es zudem niedrig dosierbare Statine, die quasi nebenwirkungsfrei sind, also kaum noch zu Beschwerden wie Muskelschmerzen führen.«
Trotzdem reden Mitarbeiterinnen von BitterLiebe in tausendfach geklickten Videos gängige Medikamente schlecht, etwa indem sie deren Nebenwirkungen dramatisieren. Stattdessen solle die Zielgruppe lieber auf den »natürlichen Cholesterinsenker« zurückgreifen. Auf Facebook und Instagram bewirbt der Anbieter das Produkt »zur Herzgesundheit« und als »Cholesterin-Killer ohne Chemie« – und erreicht damit mehr als 100 000 Follower.
Werbung mit unerlaubten Gesundheitsversprechen
Dabei ist die Rechtslage klar: Krankheitsbezogene Werbung ist für Lebensmittel – und so auch für Nahrungsergänzungsmittel – grundsätzlich verboten. Zu behaupten, Vitamin C heile Krebs, ist genauso unzulässig wie die Aussage, Omega-3-Fettsäuren schützten vor Schlaganfällen.
Etwas kniffliger ist die Lage bei so genannten Health Claims, also gesundheitsbezogenen Angaben. Zunächst prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), ob die Angaben wissenschaftlich haltbar sind. Anschließend entscheidet die Europäische Kommission, ob sie den Health Claim genehmigt.
Das heißt aber auch: Solange die EU-Behörden eine Werbeaussage wie »senkt den Cholesterinspiegel« nicht für einen bestimmten Inhaltsstoff genehmigt und in die Liste zugelassener Angaben aufgenommen haben, ist sie verboten. Für die im »Cholesterin* Komplex« verwendeten Pflanzenpulver und -extrakte ist keine auf Cholesterin bezogene Angabe erlaubt.
Der Hersteller aus Mannheim beruft sich allerdings auf eine Ausnahmeregelung für Botanicals. Für mehr als 1500 Health Claims stehen die Bewertungen noch aus, darunter auch mögliche Wirkungen von Artischockenblättern und Löwenzahnwurzelextrakt auf den Cholesterinspiegel. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Unternehmen solche On-hold-Claims verwenden, bevor die Europäische Kommission sie genehmigt. Doch die Hürden sind hoch: Der Europäische Gerichtshof urteilte 2020, dass über die gesundheitsfördernden Eigenschaften »Einigkeit in der Wissenschaft« bestehen müsse. Die dünne Studienlage für die pflanzlichen Stoffe und ihre Dosierung im »Cholesterin* Komplex« reicht hierfür nicht aus.
Relevantes Detail: Hefe statt Getreide
Trotzdem wirbt der Anbieter mit einer positiven Wirkung auf den Cholesterinspiegel und verweist dabei auch auf die zugesetzten Beta-Glucane. Die unverdaulichen Kohlenhydrate, also Ballaststoffe, können den Cholesterinspiegel leicht senken, indem sie im Darm cholesterinhaltige Gallensäuren binden und deren Ausscheidung fördern. »Beta-Glucane tragen zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei« ist deshalb eine zulässige Werbeaussage.
Erlaubt ist diese gesundheitsbezogene Angabe aber nur für Beta-Glucane aus Hafer oder Gerste. BitterLiebe verwendet in seinem »Cholesterin* Komplex« jedoch Beta-Glucane aus Hefe. Letztere unterscheiden sich in ihrem Aufbau von denen aus Getreide – und sie binden, zumindest in vitro, weder Cholesterin noch Gallensäuren so effektiv wie ihre pflanzlichen Pendants. Ob sie im Menschen überhaupt den Cholesterinspiegel senken, ist wissenschaftlich nicht belegt. Einen zugelassenen Health Claim für Beta-Glucane aus Hefe gibt es daher nicht.
Bisher setze man Beta-Glucane aus Hefe ein, »um auch Personen mit einer Glutenunverträglichkeit den Verzehr zu ermöglichen«, schreibt die PR-Agentur des Unternehmens auf Nachfrage der Investigativstation.
Zudem widersprechen sie: Der zugelassene Health Claim beziehe sich nicht nur auf Beta-Glucane aus Getreide, sondern auch auf solche aus anderen Lebensmittelquellen wie Hefe. Dies ergebe sich aus »der wissenschaftlichen Stellungnahme der EFSA«. Gemeint ist offenbar die Publikation der europäischen Lebensmittelbehörde aus dem Jahr 2009, in der Beta-Glucane aus Hefe und ihre mögliche Wirkung auf Blutfettwerte am Rande erwähnt werden. Die EFSA wies aber gleichzeitig darauf hin, dass bisherige Studien nur Dosierungen von mindestens drei Gramm untersuchten.
Vier Kapseln »Cholesterin* Komplex« – die Verzehrempfehlung des Anbieters – enthalten ein Gramm Beta-Glucane. Das wäre selbst bei pflanzlichen Beta-Glucanen zu wenig, um eine Wirkung zu bewerben. Wer den Health Claim verwenden will, müsste Verbraucher deshalb darüber aufklären, dass die erwünschte Wirkung erst ab einer Tagesdosis von drei Gramm Beta-Glucanen eintritt. Das wären für »Cholesterin* Komplex« also zwölf Kapseln am Tag.
Eine rechtliche Wirkung hat die Randnotiz aus der EFSA-Stellungnahme aber ohnehin nicht: »Es gilt ausschließlich der Eintrag in der offiziellen Liste der Europäischen Kommission«, erklärt Alfred Hagen Meyer von der Kanzlei meyer.rechtsanwälte. Und der erlaube den Health Claim nur für Beta-Glucane aus Getreide. BitterPower schreibt, dass »derzeit eine Umstellung auf Beta-Glucane aus Hafer erfolgt«.
»Für Beta-Glucane aus Hefe und die tägliche Verzehrmenge ist die Nutzung des Health Claims unzulässig«Alfred Hagen Meyer, Lebensmittelrechtler
Vieles deutet also darauf hin, dass der Aufdruck auf dem Etikett juristisch nicht haltbar sein könnte. Zu dieser Einschätzung kommt auch Rechtsanwalt Meyer: »Das passt alles nicht. Für Beta-Glucane aus Hefe und die tägliche Verzehrmenge ist die Nutzung des Claims unzulässig«, sagt der Experte für Lebensmittelrecht.
Verzicht auf Medikamente kann gefährlich sein
Das sind – wie immer, wenn es um das europäische Kennzeichnungsrecht geht – juristische Details. Entscheidend für Verbraucher ist jedoch: Eine cholesterinsenkende Wirkung der BitterLiebe-Kapseln ist nicht belegt.
Nicht nur der Jurist, auch Stefan Lorkowski ist skeptisch. Selbst wenn es für einzelne pflanzliche Substanzen erwiesene gesundheitliche Vorteile gebe, so der Biochemiker, schätzt er die Wirkung für Beta-Glucane in Nahrungsergänzungsmitteln aus medizinischer Sicht als gering ein. Bei Menschen mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gebe es Zielwerte, etwa für das LDL-Cholesterin. »Die erreichen wir mit Medikamenten, nicht mit solchen Präparaten«, sagt er. Ganz im Gegenteil, warnt Lorkowski. Es könne bedeuten, dass Menschen mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ihre Cholesterinwerte eben nicht adäquat senken. »Damit erhöht sich ihr Risiko, beispielsweise einen Herzinfarkt zu erleiden; etwas, das mit einem Medikament unter Umständen verhinderbar gewesen wäre.«
Zu viel Cholesterin im Blut: Ein stiller Risikofaktor
Das Lipid Cholesterin ist lebenswichtig für den menschlichen Körper. Es ist ein elementarer Bestandteil von Zellmembranen und dient als Baustein für verschiedene Hormone. Der Großteil des benötigten Cholesterins wird von der Leber produziert, nur ein kleiner Teil stammt aus der Nahrung.
Cholesterin ist nicht wasserlöslich. Um es im Blut zu transportieren, wird es in speziellen Paketen verpackt, den so genannten Lipoproteinen. Das »low-density lipoprotein« (LDL) bringt Cholesterin über den Blutkreislauf zu den Körperzellen. Liegt LDL-Cholesterin jedoch im Überfluss vor, lagert es sich an den Gefäßen ab. Dauerhaft zu viel Cholesterin im Blut erhöht das Risiko für einen Herzinfarkt und Schlaganfall.
Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat einen deutlich erhöhten Cholesterinspiegel. Bei entsprechenden Befunden verschreiben Ärztinnen und Ärzte bewährte Medikamente, zunächst meist Statine. Diese senken den Cholesterinspiegel und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Besonders wichtig sind solche Arzneimittel für Menschen, bei denen ein hoher Cholesterinspiegel in der Familie liegt. Fachleute sprechen von einer genetisch bedingten Hypercholesterinämie. Betroffene sind dauerhaft auf Arzneimittel wie Statine angewiesen, um das Risiko für Herzerkrankungen zu senken.
Generell sollte ein erhöhter Cholesterinspiegel stets ärztlich abgeklärt werden.
Ähnlich bewertet Julia Stingl Cholesterinsenker, die »aus der Ernährung kommen«, also Substanzen, die Menschen über die Nahrung oder Nahrungsergänzungsmittel aufnehmen. »Sie können den Cholesterinspiegel um maximal zehn Prozent senken«, sagt sie. Und das sei klinisch meist viel zu wenig. Statine wiederum könnten die Cholesterinwerte um mindestens 30 Prozent drücken und dadurch nachweislich Gefäßverengungen, Schlaganfälle und Herzinfarkte verhindern. Die Medizinerin erklärt: »Deshalb verschreiben wir bei einem erhöhten LDL-Cholesterinwert in der Regel ein Arzneimittel.«
Ist der angebliche Cholesterinsenker von BitterLiebe überhaupt legal auf dem Markt?
Beim »Cholesterin* Komplex« von BitterLiebe gibt es noch einen weiteren kritischen Punkt. Schaut man sich die Produktwerbung genauer an, fällt auf: Unzulässige Health Claims und Versprechen mit Krankheitsbezug sind keine einmaligen Ausrutscher der Marketingabteilung, sondern durchziehen die gesamte Social-Media-Strategie. »Senkt die Lipidwerte im Blut«, kann »Folgeerkrankungen vorbeugen« und die »Herzgesundheit fördern«, heißt es in Werbeanzeigen auf Facebook. Auf Instagram versprach das Unternehmen bis vor Kurzem, die Kapseln könnten nicht nur die Cholesterinwerte in Balance halten, sondern auch das Herz stärken und die Leber schützen. Nach der Investigativstation-Anfrage sind diese Werbeaussagen inzwischen nicht mehr abrufbar.
Weiterhin warnt das Unternehmen auf seiner Internetseite zum Produkt vor »Risikofaktoren für Deine Herzgesundheit« und empfiehlt, das Herz »mit der natürlichen Power« des »Cholesterin* Komplex« zu schützen. Wer das liest, könnte leicht glauben, das Mittel lindere und verhindere Krankheiten. Mit anderen Worten: Man könnte meinen, bei den Kapseln handele es sich um ein Arzneimittel.
Medizinrechtler bezeichnen Produkte, die zwar keine nachgewiesene pharmakologische Wirkung haben, aber wie ein Medikament beworben werden, als »Präsentationsarzneimittel«. Solche Produkte fallen unter das Arzneimittelrecht – eine vom Gesetzgeber eingeführte Regelung, um Verbraucher vor ungeeigneten Präparaten zu schützen.
Werden Produkte als Präsentationsarzneimittel eingestuft, kann die Arzneimittelüberwachung sie aus dem Verkehr ziehen. Droht dies auch dem »Cholesterin* Komplex« von BitterLiebe? Rechtsanwalt Alfred Hagen Meyer meint: noch nicht. Doch das Präparat sei nah dran, die Kriterien eines Präsentationsarzneimittels zu erfüllen.
Der Hersteller wiegelt ab: Für einen durchschnittlichen Verbraucher sei klar ersichtlich, dass das Produkt im Rahmen einer gesundheitsbewussten Ernährung eingesetzt werden und nicht als Arzneimittel dienen solle. Darstellung und Bewerbung des Produkts seien »marktüblich« für Nahrungsergänzungsmittel: »Es soll – für den Verbraucher erkennbar – nicht dazu dienen, eine bestimmte Krankheit zu heilen, zu lindern oder vorzubeugen.«
Ob Präsentationsarzneimittel oder nicht – entscheiden müsste dies letztlich das Regierungspräsidium Karlsruhe, das für die in Mannheim ansässige BitterPower GmbH zuständig ist. Doch zuständig sein und sich zuständig fühlen, sind im deutschen Behördenwesen mitunter zweierlei. Ob die »Cholesterin* Komplex«-Kapseln als Präsentationsarzneimittel einzustufen sind, hat das Regierungspräsidium gar nicht erst geprüft. Die Behörde verweist pauschal an die regionale Lebensmittelüberwachungsbehörde, die auch Nahrungsergänzungsmittel beaufsichtigt. Diese nahm die Investigativstation-Anfrage Mitte Mai zum Anlass, das Produkt durch das Chemische und Veterinärmedizinische Untersuchungsamt prüfen zu lassen – ein Ergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.
Bewusste Ernährung statt Nahrungsergänzungsmittel
Gesunde Menschen können bis auf wenige Ausnahmen auf Nahrungsergänzungsmittel verzichten. Bei leicht erhöhtem Cholesterinspiegel helfen oft schon regelmäßige Bewegung, Verzicht auf Alkohol und Nikotin sowie eine ausgewogene Ernährung, die Werte zu normalisieren. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt mindestens 30 Gramm Ballaststoffe pro Tag, etwa aus Vollkornprodukten, Beerenobst, Nüssen, Hülsenfrüchten wie Bohnen und Linsen oder Gemüse wie Karotten oder Paprika. Diese Lebensmittel liefern zudem sekundäre Pflanzenstoffe und Antioxidanzien, die vor den Folgen erhöhter Blutfettwerte schützen. »Eine gesunde Ernährung wirkt positiv auf den Cholesterinspiegel, weil alle gesundheitsfördernden Bestandteile der Lebensmittel synergistisch wirken«, erklärt Julia Stingl.
Und was ist mit Beta-Glucanen? Stefan Lorkowski empfiehlt, lieber Hafer und Gerste zu essen, statt Nahrungsergänzungsmittel zu schlucken. »Diese Getreide kombiniert mit Joghurt und Obst sind eine ordentliche Mahlzeit, die sättigt, die Verdauung fördert und ganz nebenbei auch noch etwas das Cholesterin senkt.«
Und das ganz ohne teure Kapseln mit Löwenzahnpulver und Artischockenblattextrakt.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Investigativstation entstanden.
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